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Ein Quäntchen Sozialpolitik

In Göteborg will die EU eine neue Strategie proklamieren - als unverbindliche Empfehlung

Die Geburt hat lange gedauert - über 60 Jahre. Seit ihrer Gründung 1957 hat es die Europäische Union noch immer nicht geschafft, eine gemeinsame und tatsächlich handhabbare Sozialpolitik auf die Beine zu stellen. Nun soll der Staatenbund eine »Europäische Säule sozialer Rechte« (ESSR) erhalten. Zum offiziellen Geburtstermin am Freitag wurde eigens ein Gipfeltreffen ins schwedische Göteborg einberufen, zu dem zahlreiche europäische Staatsspitzen erwartet werden.

Für eine soziale Säule hatte die EU-Kommission bereits im April die Vorschläge vorgestellt, die in Göteborg auf dem Tisch liegen - und für die Brüssel heftige Kritik geerntet hatte. Dabei liest sich das Papier gut: Mit drei Hauptkapiteln, die sich »Chancengleichheit und Arbeitsmarktzugang«, »Fairen Arbeitsbedingungen« und »Sozialer Sicherheit und Inklusion« widmen, will die Kommission Bildung und Chancengleichheit, Hilfsangebote bei der Arbeitssuche, faire Löhne und »angemessene Lebensstandards« fördern. Allerdings ist mehr als ein Schönheitsfehler, dass die benannten Rechte nicht einklagbar sind. Begriffe wie Mindestlohn oder Grundsicherung fallen, sind jedoch nicht untersetzt. Letztlich bleibt es den Mitgliedsstaaten überlassen, wie und in welchem Umfang die soziale Säule in reale Politik überführt wird. Die EU brauche aber »keine mit großem Brimborium verkündete soziale Säule, die keine wirklichen Rechte enthält«, meint die Linksfraktionschefin im Europaparlament, Gabi Zimmer. Auch die Gewerkschafterin Susanne Wixforth hält im nd-Interview mehr als Worte für nötig: »Die europäischen Arbeitnehmer müssen umgehend konkret Verbesserungen in ihrem Alltag spüren.« Eine Folge des Fehlens einer verbindlichen EU-Sozialpolitik sei gerade in Krisenzeiten das Wachsen des Sozialgefälles in Europa.

Pünktlich zum Göteborg-Gipfel hatte dies eine Studie der Bertelsmann-Stiftung erneut bestätigt. Zwar listet der »Social-Justice-Index 2017« kleine Fortschritte auf. So waren im vergangenen Jahr 23,4 Prozent der Menschen in der EU von Armut bedroht, 2013 waren es noch 24,7 Prozent. Auch die Arbeitslosigkeit ging zurück, auf 8,7 Prozent gegenüber 11 Prozent 2013. Die nationalen Unterschiede bleiben aber erheblich. In Griechenland ist weiterhin über ein Drittel der Menschen von Armut und sozialer Ausgrenzung bedroht, in Spanien liegt die Quote bei 27,9 und in Italien bei 28,7 Prozent. Auch die Jugendarbeitslosigkeit liegt im Süden Europas dramatisch höher als im Norden - in Griechenland bei etwa 50 Prozent.

Zumindest aber wird mit der ESSR der Nachdenkprozess über eine soziale Dimension Europas forciert. Auch wenn, wie der LINKE-Bundestagsabgeordnete Alexander Ulrich in »nd« sagt, die Säule sozialer Rechte nicht mehr als ein »ambitionierter Versuch« bleibt. Seiten 2 und 4

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