Teures Ticket statt voller Lohn

Trotz positiven Urteils der ILO bleiben die Bedingungen auf Katars Baustellen miserabel

  • Oliver Eberhardt, Katar
  • Lesedauer: 4 Min.

Zu sagen, dass dieses Gebäude spektakulär ist, wäre noch untertrieben: Funkelnd, mächtig erhebt sich die komplexe Architektur des Stadions Khalifa International über die umstehenden Gebäude in der katarischen Hauptstadt Doha. Ein paar Arbeiter, Filipinos, fegen vor dem Eingang, während es draußen auch im November noch um die 30 Grad hat. Ein paar Meter entfernt steht Christian Aquino, ein Mitarbeiter des philippinischen Gewerkschaftsdachverbandes, schaut auf dieses Gebäude, und zählt Fakten auf, die auf andere Art spektakulär sind: Sieben schwere Arbeitsunfälle auf 100 Arbeiter im Jahr habe es bis zur Fertigstellung des Baus im Sommer gegeben, haben er und seine Kollegen von Gewerkschaften aus anderen Staaten ausgerechnet. Mediziner, die sich im Land um ausländische Arbeiter kümmern, halten diese Zahl für realistisch.

Doch nun hat die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ein Verfahren eingestellt, in dessen Verlauf die Arbeitsbedingungen der gut 2,3 Millionen Arbeitsmigranten in Katar untersucht wurden. Die Regierung habe eine Reihe von Reformen eingeleitet, die die Lage der Migranten erheblich verbessert hätten, so die ILO. Dieses Urteil wird von Gewerkschaftsfunktionären in westlichen Ländern begrüßt, aber von Aktivisten vor Ort kritisch gesehen. »Es ist eben längst nicht alles in Ordnung«, sagt Aquino.

Nun führt Katar zumindest zeitweilig einen Mindestlohn von 166 Euro pro Monat für die ausländischen Arbeiter ein, wie die Nachrichtenagentur AFP am Donnerstag vermeldete. Schon im Herbst 2016 hat die Regierung das Kafala-System abgeschwächt, das vorschrieb, dass Arbeitgeber den Pass eines Arbeitnehmers für die Dauer des Vertrages einbehalten dürfen. Außerdem ist die Eröffnung eines Bankkontos vor Arbeitsantritt vorgesehen. Dem Gesetz nach dürfen Löhne nicht mehr bar ausgezahlt werden. Auch wurde eine Schlichtungsstelle geschaffen, an die sich sowohl Arbeiter als auch Firmen wenden können. Denn vielfach wurden die Migranten dazu gezwungen, weiter zu arbeiten, obwohl weniger Lohn als vereinbart ausgezahlt wurde oder der Vertrag ausgelaufen war.

Wenn man mit Vertretern der Regierung spricht, dann heben diese die neuen Regeln gerne hervor. Auch fährt man ausländische Journalisten jetzt gerne an die oft mitten in der Wüste liegenden Baustellen der noch nicht fertiggestellten Stadien und zeigt die Unterkünfte von freundlich lächelnden Filipinos und Nepalesen, jener beiden Nationen, die den größten Anteil an Gastarbeitern im Land stellen. Doch es ist ein schiefes Bild, das dort gezeigt wird, weil die Menschen auf diesen Baustellen für staatliche oder westliche Unternehmen arbeiten.

Schaut man auf den Baustellen von Privatunternehmen mit Sitz in der Region genauer hin, stellt man fest, dass sich wenig geändert hat. Die Arbeiter schlafen in extrem heißen Baracken, und ja, es werden Konten eröffnet, aber trotzdem wird nur ein Teil des Lohnes ausgezahlt. Der Trick: In vielen Fällen zahlen die Unternehmen den Arbeitern die Flüge. Diese können sie nach Auskunft der philippinischen Botschaft stark reduziert einkaufen. Den Angestellten aus dem Ausland jedoch stellen sie die Tickets zum vollen Preis plus Wucherzinsen von um die 20 Prozent in Rechnung.

Arbeiter, die für solche Unternehmen tätig sind, berichten von Einschüchterungen: Wer sich an die Schlichtungsstelle wende, müsse damit rechnen, dass der Lohn nicht gezahlt wird. Manche Unternehmen setzten auch ihre eigenen Sicherheitsdienste ein, um Arbeitsniederlegungen niederzuschlagen oder Arbeiter, die versuchen, einen Betriebsrat zu gründen, zu bedrohen.

Die katarische Regierung will darüber offiziell nicht reden. Man habe die geforderten Reformen eingeleitet, sei sich sicher, dass die Weltmeisterschaft »ein spektakuläres Fest« werde, heißt es offiziell. Doch hinter vorgehaltener Hand bestätigen auch Regierungsangestellte, dass es Probleme mit der Umsetzung der Reformen gibt. Das größte davon: Es gibt im Land keine Aufsichtsbehörde, die über die Einhaltung von Arbeitsvorschriften wacht. Die Polizei hat gerade einmal rund 2500 Beamte.

Zudem sind die Gewerkschaften stark unterentwickelt. 2012, 40 Jahre nach dem Beitritt Katars zur ILO, wurde auf Geheiß der Regierung die erste Gewerkschaft gegründet, die aber bis heute weitgehend inaktiv ist. Deshalb haben die Gewerkschaften aus den Philippinen, Nepal sowie Bangladesch seit Längerem eigene Leute vor Ort, deren Möglichkeiten aber stark eingeschränkt sind: »Wir haben immer nur Touristenvisa, müssen jederzeit mit Festnahme oder Ausweisung rechnen«, sagt Aquino.

Einen Erfolg haben er und seine Kollegen dennoch erzielt: Man berät potenzielle Arbeiter für Katar schon in den Herkunftsländern, weist auf die Nachteile hin und worauf man achten muss. Das Ergebnis ist, dass der Strom der Migranten in Richtung Katar um die Hälfte zurückgegangen ist.

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