Everybody hates Catholics

Martin Leidenfrost über die Nachkommen der irischen Auswanderer in Schottland, die Rangers-Welt und den Brexit

  • Martin Leidenfrost
  • Lesedauer: 4 Min.

170 Jahre nach der großen irischen Hungersnot »Famine«, las ich in einem Buch, leiden die Nachkommen der irischen Auswanderer in Schottland immer noch unter »antiirischem Rassismus«. So hätten schottische Iren »ein sehr viel schlechteres Gesundheitsprofil« und seien »überproportional in Gefängnissen vertreten«. Gleichstellung am Arbeitsmarkt hätten sie in Glasgow erst 1991 erreicht.

Der Autor des Buchs »Minority Reporter« war ein Glasgower Journalist, der 1996 in seine irische Urheimat nach Donegal gezogen war und seinen Namen irisiert hatte, zu Phil Mac Giolla Bháin. Er verfolgte in seinen Blogs den Fußballklub »Rangers«, dessen Fans bis zu einem von der UEFA verhängten Verbot gesungen hatten: »Wir sind bis zu den Knien in irischem Blut«. Glasgow ist gespalten in zwei Klubs mit weltweiter Anhängerschaft: Die blauen Rangers, protestantisch mit britischen Fahnen, gegen das grüne »Celtic«, katholisch mit irischen Fahnen. Bis zum Verbot des »Famine-Songs« höhnten die Blauen: »From Ireland they came / Brought us nothing than trouble and shame / Well, the Famine is over / Why don’t they go home?«

Ich wollte so ein Glutnest der Irenverachtung besuchen und bat Phil um einen Tipp. Er war sogleich um mich besorgt. Er beschwor mich: »Erwähn bloß nicht, dass du Katholik bist!« - »Soll ich lügen?« - »Ja, absolut. Du bist ein deutscher Protestant oder so was. Die sind überbritisch. Sag, dass der Brexit eine gute Sache ist, dass so auch Österreich die Migranten stoppen könnte!« In mehreren Mails und Telefonaten diktierte mir Phil die Legende, dass ich nach Glasgow gekommen sei, weil mir ein Freund auf Wienurlaub, der englische Soldat John, von der Rangers-Atmosphäre vorgeschwärmt habe. »Und trag bloß nichts Grünes, auch nichts Sozialistisches! Diese Leute sind Faschisten. Du wärst in Gefahr.«

An einem Sonntag, an dem die Rangers Aberdeen »drei zu nüscht vernichtet« hatten, stand ich im Osten Glasgows vor einer plastikblauen Baracke. Viele Union Jacks wehten darauf. Ich betrat die »Louden Tavern« nicht gerne. Drei besoffene Mädels, sonst junge Männer, im Zentrum ein Trio feister Schweinchen mit heimtückischen Augenschlitzen. Ich setzte mich an die Bar. Ich wurde angesehen. Gegen meine Gewohnheit trank ich, wie von Phil aufgetragen, ein Bier. Nach einiger Zeit entspannte ich mich. Plötzlich sang ein zu mir schielendes Schweinchen: »Everybody hates Catholics!« Das ganze Pub sang es ihm nach. Ich erschrak fürchterlich. Ich brauchte verräterisch lange, bis ich ein amüsiertes Lächeln zu spielen vermochte.

Ein altes illuminiertes Paar tänzelte herein. Er hatte eine pockennarbige Nase, sie pockennarbige Wangen und in ihrem engen dunkelgelben Kleid einen kaputten Sexappeal. Er hieß Harry, hatte an jenem Tag mit Wetten auf Pferde und die Rangers 2000 Pfund gewonnen, alle kannten und grüßten ihn. Der Bauunternehmer bestand darauf, mich in sein eigenes Rangers-Pub nebenan zu führen. Zwei Wände im »Bristol« waren von einem Gemälde belegt, einer Stadionszene mit Hunderten fotografisch gemalten Gesichtern aus der Rangers-Welt. Der Künstler hatte ein halbes Jahr daran gemalt. Harry war sicher, noch nie Celtic-Fans in seinem Pub gehabt zu haben, »das Viertel ist kompakt protestantisch«. Er war für den Brexit. Er lud mich ein, Whiskys, Bristol-Schal, Bristol-Mütze.

Derart geadelt kehrte ich ins »Louden« zurück. Nun fragte mich eins der Schweinchen: »Und was machst du hier?« Endlich brachte ich die stark erweiterte Geschichte vom britischen Soldaten John an, »meine Cousine geheiratet«, »Fitnessclub aufgemacht«. Bevor ich ausgeredet hatte, stob die Runde auseinander, gelangweilt. Nur Scot blieb stehen. Er »hasste Celtic«, hatte aber katholische Freunde, die durfte er nur an Derby-Tagen nicht sehen. Die Ausschreitungen von 150 000 Rangers-Fans in Manchester 2008 waren für ihn eine schöne Kindheitserinnerung mit Papa.

Aus der Jukebox erklang das reiche Liedgut der Rangers. Scot spielte »Englishman’s Command«. Kerzengerade stehend, sang der schmächtige Bursche von den nordirischen Freiwilligen, die 1916 an der Somme von englischen Generälen verheizt worden waren. Er war zutiefst bewegt. Er rührte mich.

Anderntags bombardierte mich Phil aus dem sicheren Irland mit besorgten Nachfragen. Mehr als dies hier hatte ich aber nicht zu berichten. Es reichte ihm für einen weiteren empörten Blog.

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