Sizilianische Mafia Cosa Nostra in der »Findungsphase«

Der Tod vom obersten Boss Salvatore Riina stellt die verbrecherische Organisation vor eine Richtungsentscheidung

  • Anna Maldini, Rom
  • Lesedauer: 3 Min.

Der Boss ist tot, es lebe der Boss. So müsste es eigentlich gehen: Ein relativ schmerzloser Übergang zwischen einem unangefochtenem Alleinherrscher und dem nächsten. Ob das der sizilianischen Mafia Cosa Nostra gelingt, wird sich zeigen. In der vergangenen Woche ist in einem Gefängniskrankenhaus im norditalienischen Parma Salvatore Riina, »Boss der Bosse«, oberster Chef der sizilianischen Mafia Cosa Nostra, im Alter von 87 Jahre gestorben. Nun wird ein neuer Anführer gesucht. Aber klar ist, dass mit dem Tod von Riina eine extrem blutige Ära der Mafia zu Ende geht, die von grausamen Morden aber auch von undurchsichtigen Verbindungen zur Politik und zu Teilen des italienischen Staates gekennzeichnet war.

In die fast 50 Jahre seiner Herrschaft, die er zur Hälfte im Untergrund und zur Hälfte im Gefängnis verbrachte, fand in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts ein extrem blutiger interner Machtkampf mit etwa 1000 Toten statt. Das führte auf der einen Seite zu einer starken »Ausdünnung« des »fähigen Führungspersonals« aber auch zu einem Umdenken bei einigen Bossen, die begannen, mit der Justiz zusammenzuarbeiten. Das wiederum ermöglichte den Richtern um das Anti-Mafia-Pool in Palermo den starken Schlag gegen das organisierte Verbrechen, der 1992 im »Maxiprozess« gipfelte, bei dem fast 500 Mafiosi auf der Anklagebank saßen. Riina beschloss einen Frontalangriff gegen den Staat; er ließ die Richter Giovanni Falcone und Paolo Borsellino umbringen, den sizilianischen Politiker Salvo Lima, der als direkter Verbindungsdraht zur Nationalregierung in Rom galt, verübte Anschläge auch in Florenz und Rom und begann mit Hilfe vom Teilen der Geheimdienste eine regelrechte Verhandlung, um Vergünstigungen für die Mafia und vor allem für die interessanten Wirtschaftszweige (zum Beispiel die Bauindustrie) herauszuschlagen.

Dann wurde es relativ ruhig um die Mafia, was bei den meisten Experten ein Zeichen dafür ist, dass Salvatore Riina aus dem Gefängnis heraus seine Macht gefestigt hatte. »Eine Mafia die tötet, ist eine schwache Mafia; wenn es keine eklatanten Gewalttaten gibt, geht es der Mafia gut«, ist ein viel zitierter Satz unter den Wissenschaftler, die sich mit dem Phänomen befassen. Tatsache ist, dass sich Cosa Nostra immer mehr auf den Sektor der Finanzdienstleistungen, auch für andere kriminelle Organisationen »spezialisiert« hat. Die »dreckigen Geschäfte« wie den Drogenhandel hat sie zum Beispiel an die kalabresische ‘Ndrangheta abgegeben, die sich über den ganzen Erdball ausgedehnt hat. Das heißt aber nicht, dass Cosa Nostra nicht auch weiterhin Teile Siziliens kontrolliert. Das sieht man zum Beispiel an den Reaktionen auf Riinas tot in Corleone, seiner Heimatstadt. Dort trauern viele ganz offen um den verstorbenen Boss, der einmal bei einem Prozess erklärte, er habe das Wort »Mafia« nie gehört und auch keine Ahnung, was es sein könnte.

Jetzt erwartet man mit Spannung, wen die »Kuppel«, die Versammlung der wichtigsten Bosse der Insel, zum Nachfolger von Salvatore Riina wählen wird. »Es gibt zwei Möglichkeiten«, sagt der sizilianische Journalist Attilio Bolzoni, der seit Jahren unter Polizeischutz lebt. »Entweder beginnt ein blutiger Kampf um die Vorherrschaft und an den Toten können wir ablesen, welche Gruppe, welche Interessengemeinschaft das Rennen macht. Oder plötzlich geht ohne ersichtlichen Grund einer der Bosse in den Untergrund, was heißt, dass er die Zügel von Cosa Nostra fest in der Hand hat«. Erst nach dieser »Findungsphase« wird man sehen können, welchen Weg diese kriminelle Organisation einschlagen wird. Klar ist, dass eine Ära vorbei ist und eine neue beginnt: Nicht nur in Sizilien sondern in der ganzen Welt, wo Cosa Nostra weiterhin extrem mächtig ist.

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