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  • EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft

Die Begeisterung ist vergangen

Gipfel zur Östlichen Partnerschaft der EU erstmals in Brüssel / Dem Anliegen soll so Gewicht verliehen werden

  • Kay Wagner, Brüssel
  • Lesedauer: 4 Min.

Es ist mal wieder Gipfelzeit in Brüssel, doch dieser Gipfel ist ein besonderer. Noch nie hat ein EU-Gipfel zur Östlichen Partnerschaft (ÖP) in Brüssel stattgefunden. Prag, Warschau, Vilnius und Riga waren bislang die Stationen. Alles Hauptstädte von mittel- und osteuropäischen Ländern. Auch der jetzt anstehende Gipfel hätte gut und gerne in Osteuropa stattfinden können: Denn wenn Estland dem Beispiel der Vorgänger gefolgt wäre, den EU-ÖP-Gipfel immer in dem Land abzuhalten, das aktuell die rotierende EU-Ratspräsidentschaft innehat, dann hätte der Gipfel in der estnischen Hauptstadt Tallinn stattgefunden.

Doch die Esten entschieden sich bewusst gegen Tallinn. Brüssel sei der bessere Ort. Dadurch werde allen EU-Mitgliedstaaten deutlich gemacht, dass die ÖP die ganze EU anginge und nicht nur Angelegenheit einiger Staaten am östlichen Rand der Union sei, begründet Estlands Außenminister Jürgen Ligi die Wahl von Brüssel.

Menschenrechtler fordern Druck

Menschenrechtsorganisationen haben vor dem EU-Gipfel Druck auf Aserbaidschan wegen der Verfolgung von Oppositionellen und Journalisten gefordert. Die EU-Staats- und Regierungschefs müssten von Präsident Ilham Alijew verlangen, »das Vorgehen gegen Kritiker zu beenden« und konkrete Reformen für die Einhaltung der Menschenrechte umzusetzen, erklärte Human Rights Watch (HRW) am Donnerstag.

Human Righs Watch zufolge wandten sich 37 Menschenrechtsorganisationen Ende Oktober in einem Brief an die EU-Staats- und Regierungschefs. Sie verlangten die Freilassung von Regierungskritikern, Journalisten und Aktivisten, die auf Grundlage »politisch motivierter« Anschuldigungen im Gefängnis seien.

Die EU-Staats- und Regierungschefs dürften zu dieser Situation dem aserbaidschanischen Präsidenten gegenüber »nicht schweigen«, erklärte HRW-Vertreter Philippe Dam. »Sie müssen Alijew darauf hinweisen, dass er das Bekenntnis zu Menschenrechten unter Beweis stellen und greifbare Reformen liefern muss.« AFP/nd

Estland geht mit dieser Entscheidung eines der großen ÖP-Probleme offensiv an: Der Enthusiasmus der Anfangszeit ist vorbei. Die Notwendigkeit der ÖP wird nicht mehr in allen EU-Mitgliedstaaten mit der gleichen Dringlichkeit gesehen. »Die osteuropäischen und skandinavischen Länder sind sehr engagiert, aber je weiter westlich und südlich man in der EU geht, desto mehr nimmt das Interesse an der ÖP ab«, sagt auch Rebecca Harms, Grünen-Abgeordnete im Europaparlament.

2008 war das noch anders. Damals brachte der bewaffnete Konflikt zwischen Georgien und Russland die EU dazu, einen bereits seit Jahren von Polen und Schweden vorgebrachten Vorschlag aufzugreifen. Nämlich die Beziehungen zu sechs ehemaligen Sowjetrepubliken, die meist in unmittelbarer Nachbarschaft zur EU liegen, zu verstärken. Gerade die östlichen EU-Mitgliedstaaten sehen darin einen Schutz vor dem Einfluss Russlands, den diese Staaten immer noch fürchten.

2009 wurde dann die ÖP gegründet. Belarus, Republik Moldau, Ukraine, Armenien, Aserbaidschan und Georgien wurden zu EU-Partnern. Ziel: Die Länder sollten modernisiert, demokratisiert, an EU-Standards herangeführt werden, jeweils individuell abgestimmt nach den Bedürfnissen der einzelnen Staaten, zunächst mit dem Ziel, so genannte Assoziierungsabkommen zwischen der EU und einzelnen Staaten abzuschließen. Alle zwei Jahre sollten EU-ÖP-Gipfeltreffen stattfinden, um sich auf Ebene der Staats- und Regierungschefs der betroffenen Länder über den Stand der Dinge auszutauschen. Der bislang letzte Gipfel fand 2015 in Riga statt.

Einiges ist seit der ÖP-Gründung geschehen. Assoziierungsabkommen mit Georgien, der Republik Moldau und der Ukraine sind in Kraft getreten, die Verhandlungen zu solchen Abkommen mit Armenien und Aserbaidschan machen Fortschritte. Mit Armenien soll auf dem Gipfel ein »Abkommen zur verstärkten Partnerschaft« unterzeichnet werden. Bürger aus der Republik Moldau, Georgien und der Ukraine können bereits ohne Visa in EU-Länder reisen. Nur mit Belarus gibt es bislang keine nennenswerten Fortschritte.

»Aber ich bin froh, dass wir Belarus weiter mit dabei haben«, sagt Harms, die auch Ko-Vorsitzende von Euro-Nest ist, der parlamentarischen Versammlung von Abgeordneten des Europaparlaments und der nationalen Parlamente der ÖP-Länder. Lange habe es sogar danach ausgesehen, als ob Belarus-Präsident Viktor Lukaschenko selbst zum Gipfel kommen würde. Nun lässt er sich aber durch seinen Außenminister vertreten. »Die Bereitschaft, bei der ÖP weiter dabei zu sein, zeigt den Willen von Belarus nach Unabhängigkeit«, sagt Harms. Und meint damit die Unabhängigkeit von Russland.

Ist die Eigenwilligkeit von Lukanschenko seit langem ein Hindernis für eine schnelle Annäherung zwischen Belarus und der EU, so sind es bei den anderen Ländern eine Fülle anderer Probleme. Wechselnde nationale Regierungen, die mal einen pro-europäischen, mal einen pro-russischen Kurs verfolgen; fehlende Fortschritte auf dem Weg zur Rechtsstaatlichkeit; Herrschaft von Oligarchen, die die einzelnen Länder in ihrem Griff halten; sogar bewaffnete Konflikte zwischen ÖP-Ländern, wie aktuell zwischen Armenien und Aserbaidschan - die Liste der Punkte, die nach EU-Wünschen verbessert werden müssen, ist lang.

35 Empfehlungen hat das Europaparlament im Vorfeld des Gipfels formuliert. Auf 20 Punkte haben die EU-Mitgliedstaaten in ihrem Gremium, dem EU-Rat, die Forderungen reduziert, die sie wieder in vier Untergruppen unterteilt haben: Stärkung der Wirtschaft, der demokratischen Einrichtungen, der Verkehrs- und Energienetze sowie der Einbindung der Zivilgesellschaft. In all diesen Bereichen sollen die ÖP-Länder, die das wollen, auch weiter an EU-Programme herangeführt werden und dadurch von EU-Unterstützung profitieren. Zu allen vier Punkten sollen auf dem Gipfel Vereinbarungen geschlossen werden. 2020 sollen dazu konkrete Ergebnisse vorliegen. So wünscht es sich der EU-Rat.

Dass solche Fortschritte zu einem baldigen EU-Beitritt der ÖP-Länder führen könnten, glaubt Harms nicht. Der Wandlungsprozess werde kaum in wenigen Jahren zu schaffen sein. »Das wird wohl eine Generation dauern«, bremst Harms zu hohe Erwartungen in den ÖP-Ländern. Die EU dürfe die Tür zum Beitritt aber auf keinen Fall schließen. Erstens würde das den Reformeifer der europafreundlichen Teile in den ÖP-Ländern bremsen. Zweitens müsse sich die EU eingestehen, dass Europa größer sei als die heutige EU.

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