»Wir bilden nicht für die Bühne aus, sondern zur Freude«
Hamburg: Die traditionsreiche Lola-Rogge-Tanzschule feiert den 90. Jahrestag der Gründung - ihr erster Bewegungschor kam aus der Arbeiterbewegung
Wer in Hamburg-Blankenese ins Hirschparkhaus tritt, muss sich zunächst vom Üblichen verabschieden. »Man kann sich sehr viel Wissen holen, das schon fertig ist und als Schrittmaterial vorliegt«, sagt Christiane Meyer-Rogge-Turner. »Aber das finde ich langweilig, solange es nicht durch die eigene Persönlichkeit belebt wurde.« Die 72-Jährige, die kurz »Mütze« gerufen wird, leitet die Lola-Rogge-Schule, in der Tanz und Persönlichkeitsentfaltung nach der Bewegungslehre von Rudolf von Laban zusammen gedacht werden. »Ausdruckstanz machen wir schon lange nicht mehr«, stellt Meyer-Rogge-Turner klar. »Aber die Idee, dass ein Tänzer sich um seinen eigenen Ausdruck bemühen soll, ist für uns eine Wurzel.«
Eine Wurzel, die ihre Mutter Lola 1927 nach ihrem Examen bei Laban bewegte, als 19-Jährige in Altona ihre eigene Schule zu gründen. Deren erster Bewegungschor kam aus der Arbeiterbewegung, in der der Kohlentrimmer Hans Weidt gerade die »Roten Tänzer« formte. Die junge Rogge choreografierte und organisierte Gymnastikkurse für Unternehmen und sogar im neuen Medium Radio.
Unter den Nationalsozialisten war an revolutionären Arbeitertanz nicht zu denken; Rogge erreichte für ihr Haus den Status einer Privatschule und vermied damit Kurse in »Rassenkunde«. Ihre Erfahrungen aus dem Zweiten Weltkrieg verarbeitete sie in dem Stück »Vita Nostra«, das 1950 in Hamburgs Schauspielhaus aufgeführt wurde und das Rogge auch als Choreografin gestaltete. 1983 erhielt sie von der Stadt als fünfte Frau die Biermann-Ratjen-Medaille. Sechs Jahre zuvor hatte sie die Schulleitung 1977 nach 50 Jahren in die Hände ihrer Tochter gelegt. »Auf der Feier haben wir mit vollen Wasserkanistern zu Händel-Variationen getanzt«, erinnert sich Christiane Meyer-Rogge-Turner, die damals mit der experimentellen Gruppe ZNAT gegen die etablierten Strömungen antanzte. »Der klassische Tanz traut den Menschen nicht zu, ihr Ding zu machen«, sagt sie heute. »Erstmal musst du alles können, heißt es da, erst dann kannst du improvisieren.«
Im Oktober 2016 inszenierte sie zusammen mit Nele Lipp »Die Zelle« neu, ein surreales Werk, mit dem der vor den Nazis geflohene Arbeitertänzer Hans Weidt 1947 unter dem Namen Jean einen bedeutenden Wettbewerb in Kopenhagen gewann. Eine Videoaufzeichnung davon wird zu sehen sein, wenn die Schule am Sonnabend ab 15 Uhr im Kiebitzhof ihren 90. Geburtstag feiert. Zudem gibt es Live-Vorführungen, Vorträge und schließlich die Party »Lola roggt ab«.
»Da kommen Menschen, die noch von meiner Mutter ausgebildet worden sind«, sagt Meyer-Rogge-Turner. Sie ist gespannt auf »ein buntes Gemisch von zwölf bis 85«. Und sie wird selbst »Der Moment« inszenieren, eine 15-minütige tänzerische Auseinandersetzung mit dem Thema Gleichgewicht, bei der ein Kunstwerk ihres Bruders Jan und die Musik des estnischen Komponisten Arvo Pärt zum Einklang gebracht werden sollen.
Ihre Schule bietet heute Kurse zu modernem Tanz, Folklore, Ballett, Improvisation und Jazz-Hip Hop an. Neben einer kleinen Zahl angehender Tanzlehrer gehören überwiegend Laien zu den rund 750 Schülern im Hirschparkhaus und im Eilbeker Kiebitzhof. »Wir bilden nicht für die Bühne aus, sondern zur Freude. Ich möchte, dass Leute offen an andere Thematiken herangehen«, sagt die Schulleiterin. Und: »Manchmal kommt jemand mit einem Ideal vom klassischen Tanz hierher und landet schließlich in der Hip-Hop-Branche.«
Balance ja, Ruhestand nein. Meyer-Rogge-Turner leitet noch eine Tanzgymnastik-Gruppe für über 60-Jährige und unterrichtet Improvisationstheorie. Außerdem gilt es, über eine Choreografie für 2019 nachzudenken, wenn in der HafenCity der Lola-Rogge-Platz eingeweiht werden soll. Vorher steht 2018 eine Ausstellung auf dem Ohlsdorfer Friedhof an. Dort ist Lola Rogge im »Garten der Frauen« begraben.
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