Rot-Rot-Grün in Berlin will Ängste nehmen

Vizeregierungschef Klaus Lederer über ein Jahr im Berliner Senat, linke Positionen und die höchste Aufstockung des Kulturetats seit Jahren

  • Martin Kröger
  • Lesedauer: 11 Min.
Glückwunsch! Sie stehen seit Monaten an der Spitze der Rangliste der beliebtesten Politikerinnen und Politiker in Berlin. Ein Jahr Rot-Rot-Grün, das scheint sich auch persönlich für Sie auszuzahlen?

Ich habe mich gefreut, als es diese erste Umfrage gab, aber ich gebe nicht zu viel darauf. In dem, was man tut, sollte man sich nicht davon abhängig machen, inwieweit man dadurch seine Beliebtheit steigert, oder eben nicht. Wichtig ist, als Linker die Auseinandersetzung nicht zu scheuen und klar Position zu beziehen: Wie vor kurzem beispielsweise als Schirmherr beim Mahnmal-Monument von Manaf Halbouni. Oder gegen den unsäglichen BDS-Boykott, also der Kampagne »Boycott, Divestment and Sanctions« gegen Israel. Das gilt aber genauso für die Debatten um die Volksbühne.

Die Spekulationen in den Medien, dass Sie der kommende Regierende Bürgermeister sind, weil die LINKE vergleichsweise stabil dasteht und schon mal vorne liegt, das finden Sie eher absurd in so unsicheren Zeiten?
Wir sind jetzt seit einem Jahr im Amt, wir haben noch vier Jahre zu arbeiten. Insofern sind das alles Momentaufnahmen. Als Kultursenator leite ich ein tolles Ressort und als Bürgermeister bin ich eine der drei Spitzen der Parteien in der Koalition. Die Aufgabe dort, mit Michael Müller und Ramona Pop zusammenzuarbeiten, macht mir Spaß.

Vor einem Jahr hätten wir nicht gedacht, dass man als Kultursenator so stark punkten kann. Gab es im ersten Jahr Rot-Rot-Grün nicht auch schwierige Momente zu meistern, wie die Räumung der Volksbühne?
Natürlich gab es auch schwierige Momente - und ja, die Besetzung der Volksbühne war einer davon. In dem Kontext war mir wichtig, deutlich zu machen, dass jeder Theaterstreit erlaubt ist. Jede Debatte um die Frage, wie Theater heutzutage zu sein hat, erlaubt ist. Es war aber falsch, kulturelle Räume dadurch zu besetzen, dass man sie anderen wegnimmt. Das ist einfach nicht akzeptabel. Und es geht gar nicht, diese Debatten unter der Gürtellinie zu führen.

Als Kultursenator sind Sie für die kulturellen Räume zuständig. Noch vor Weihnachten soll der nächste Doppelhaushalt verabschiedet werden. Was haben Sie für die Kultur dabei herausgeholt?
Immer vorausgesetzt, dass das Abgeordnetenhaus den Doppelhaushalt beschließt, wird es für den Kulturbereich so viel zusätzliches Geld geben, wie seit dem Mauerfall nicht mehr. Das ist beachtlich. Wir dürfen aber nicht vergessen, dass Kultur ein Feld war, in dem in schwierigen Zeiten besonders hart gestrichen wurde. Wir werden es nun erstmalig schaffen, die Tarifnachträge für die nichttariflich gebundenen Einrichtungen zu sichern. Im Doppelhaushalt werden wir allein dafür einen nicht unerheblichen zweistelligen Betrag in jedem Jahr, also 2018/2019, bereitstellen …

... was heißt »nicht unerheblich zweistellig«?
Im ersten Jahr des Doppelhaushaltes sind das um die 18 Millionen, im zweiten Jahr um fast 30 Millionen Euro, die allein für die Tarifanhebung bereitstehen, die in den Einrichtungen anfallen werden. Das bedeutet, dass die Einrichtungen nicht gezwungen sind, sich aus der tariflichen Absicherung zu verabschieden. Sie müssen die Tarife auch nicht aus dem künstlerischen Etat bezahlen. Auch in anderen Bereichen setzen wir soziale Maßstäbe: Beispielsweise indem wir bei den Fördertöpfen für die Freie Szene soziale Mindeststandards zugrunde legen. Kunst ist eben auch Arbeit und Arbeit muss anständig bezahlt werden. Wir verdoppeln den Bezirkskulturfonds und stärken die Kinder- und Jugendtheater, das heißt, stärken die Kultur in der Fläche und kümmern uns um Zugänge für die Jüngeren.

Jetzt sind Sie ja nicht nur Kultur- und Europasenator, sondern auch Vizeregierungschef. Das ist auch eine wichtige Koordinationsfunktion. Hand aufs Herz, wie oft mussten Sie im vergangenen Jahr eingreifen, damit Rot-Rot-Grün stabil bleibt?
Das gibt es immer mal wieder, dass es kleine Konflikte gibt. Denken wir beispielsweise an die Frage der Anpassung der Beamtenbesoldung. An der Stelle, das kann man sagen, leisten wir was.

Aber die Linkspartei wollte die Anpassung bei den Beamten doch schneller erreichen.
Wir wollten mehr, aber es geht eben voran, und bis zum Ende der Legislaturperiode wird der Beamtensold den Bundesdurchschnitt erreicht haben. Geknirscht hat es auch bei der Frage der Personalentwicklungsplanung. Der beste Fall ist der, wo man nicht intervenieren muss, weil wir durch eine enge Kommunikation und Abstimmung in der Lage sind, die Eskalation von Konflikten zu vermeiden. Die Stadt hat es verdient, dass wir drei Partner uns zusammenraufen und praktische Lösungen für die Probleme finden. Und die gibt es in der Stadt genug. Wir haben hier ein schweres Erbe angetreten. Ich sage das auch mit Blick auf die Bundesebene, wo wir nicht wissen, was uns dazu ins Haus steht.

Den Namen des ehemaligen Wohnen-Staatssekretärs Andrej Holm, der nach Stasi-Vorwürfen zurückgetreten ist, haben Sie an dieser Stelle nicht genannt bei den Problemen innerhalb der Koalition, haben Sie das verdrängt?
Nein, überhaupt nicht. Andrej Holm arbeitet für die Fraktion nach wie vor als Berater. Das war eine harte und schwere Auseinandersetzung, die wir damals hatten. Sie fiel in eine Zeit, in der ohnehin die drei sehr unterschiedlichen Parteien Mühe hatten, ihren Tritt zu finden, eine gemeinsame Kommunikation zu finden. Mir ist wichtig, dass wir im Bereich der Sozial- und Mietenpolitik als Koalition auch in den nächsten Jahren spürbar vorankommen. Etwa über die landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften. Daran werden wir gemessen werden - und mehr: Wir wollen uns daran messen lassen.

Aber trotz einiger Maßnahmen im Mietenbereich - etwa die Anhebung der Mietzuschüsse - steht die Bausenatorin Katrin Lompscher immer wieder im Zentrum der Kritik an Rot-Rot-Grün. Selbst die genannten Wohnungsbaugesellschaften schreiben einen kritischen Brief, der dann veröffentlicht wird. Das gab es in dieser Form noch nicht. Vorwürfe gibt es zudem aus der privaten Wohnungswirtschaft. Da muss doch mehr von Rot-Rot-Grün kommen, oder nicht?
Wenn man gängige Formen infrage stellte, wie hier früher Mietenpolitik gemacht wurde, setzt man sich Kritik aus. Frau Lompscher stärkt die gemeinwirtschaftlichen Akteure in dem Sektor. Es geht darum, dafür zu sorgen, dass ein nicht unerheblicher Anteil des neu zu schaffenden und des existierenden Mietwohnungsraums für Menschen bereitgestellt wird, die eben nicht in der Lage sind, zweistellige Quadratmeterpreise plus entsprechender Nebenkosten zu bezahlen.

Dennoch dreht sich die Spirale bei den Mieten immer stärker, auch die Grundstückspreise steigen in nicht gekannte Höhen.
Wir müssen es aber schaffen, sonst haben wir bald eine Innenstadt, in der sich nur Konzernzentralen oder Repräsentationsbauten befinden, während darum herum diejenigen leben, die die hohen Einkommen haben und der Rest an den Rand verdrängt wurde. In so einer Stadt will ich nicht leben.

Viele stadtpolitischen Initiativen erwarten auch, dass Sie das verhindern.
Die Erwartungen sind erheblich. So erheblich, dass ich glaube, dass man sie nicht in so kurzer Zeit erfüllen kann. Wir haben auf Landesebene bestimmte Spielräume gar nicht, weil das auf Bundesebene verhandelt wird - Gesetzgebung des Bundes ist. Die Mietpreisbremse ist ein Witz. Die Möglichkeiten für profitgetriebene Mieten, auch bei Modernisierungen, sind immer noch zu groß. Wir versuchen zwar, über den Bundesrat Druck zu machen, aber das ändert erst mal nichts an den Mehrheiten auf Bundesebene, die nicht unbedingt für eine soziale Mietenpolitik stehen.

Kommt nicht hinzu, dass sich ein ehemaliger Stadtentwicklungssenator wie Michael Müller (SPD) einen schlanken Fuß macht, und ihre Senatorin Lompscher auch noch öffentlich bloßstellt, wie bei der IHK geschehen?
Wir haben darüber ernsthaft gesprochen, und ganz klar gesagt, dass es vorzuziehen ist, sich gemeinsam an einen Tisch zu setzen und das Problem zusammen aus der Welt zu schaffen. Es gab einen Termin mit dem Regierenden Bürgermeister, den Wohnungsbaugesellschaften und der Stadtentwicklungssenatorin. Seitdem sind die Töne leiser geworden, weil alle merken, dass der mediale Gegenwind auch auf Unterlassungen der Vergangenheit beruht, die nicht von heute auf morgen zu ändern sind.

Am Ende wird es aber auch darum gehen, dass die Neubauzahlen stimmen.
Wir wollen dafür sorgen, dass durch eine vernünftige Personalausstattung und die adäquate Bezahlung des Personals der öffentliche Dienst so attraktiv wird, dass wir nicht an Genehmigungsengpässen scheitern. Baugenehmigungszahlen allein sind aber trügerisch, weil es nach wie vor auch die Beantragung von Baugenehmigungen zu spekulativen Zwecken gibt. Da muss man genau hinschauen. Wir brauchen die gemeinwohlbezogen agierenden Wohnungsbauträger, die bezahlbaren Wohnraum schaffen.

Die Wohnungsfrage wird weiter zentral bleiben. In welchen Bereichen konnte Rot-Rot-Grün im ersten Jahr tatsächlich bereits Erfolge erzielen?
Sie haben die Erhöhung der (Ausführungsverordnung) AV Wohnen, also die Regelung der Miet- und Heizkostenzuschüsse für Transfergeldempfänger, genannt. Hinzu kommt, dass wir ab 2018 den Kitabesuch endgültig kostenfrei stellen und die Bedarfsprüfung abgeschafft haben. Außerdem haben wir das Sozialticket, von dem viele Berlinerinnen und Berliner eine günstigere Mobilität erfahren, von 36 auf 27,50 Euro gesenkt. Wir haben den Mindestlohn im öffentlichen Dienst erhöht und die sachgrundlose Befristung abgeschafft. Einrichtungen, die dem Land nahestehen oder gehören, wie die Charité-Tochter CFM, wollen wir ab 2019 rekommunalisieren. Jede Einzelmaßnahme soll für etwas stehen, das wir wollen, nämlich die sozial-ökologische Weiterentwicklung der wachsenden Stadt Berlin.

Ist das Ihre Überschrift für die Koalition, die wird ja immer noch verzweifelt gesucht, heißt es?
Die Überschrift ist da. Möglicherweise ist noch nicht die Art und Weise gefunden, wie man sie häppchengerecht, PR-konform vermittelt. Es geht um die sozial-ökologische Erneuerung der Stadt. Sicherheit definiert sich - da gebe ich Michael Müller recht - zunächst erst mal darüber, ob ich hier ohne Ängste, ohne Existenzängste, ohne Absturzängste leben kann. Die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen - der Wind wird härter, der Gegenwind wird härter - schreien geradezu danach. Und es wird am Ende, nach den fünf Jahren, das sein, woran die Berlinerinnen und Berliner diese Koalition messen werden.

Wobei das Vermengen von sozialer und innerer Sicherheit selbst bei den Sozialdemokraten kein Konsens ist, sondern schwer kontrovers diskutiert wird.
Natürlich lässt sich streiten, ob die allgemeine Verunsicherung auf einer rationalen Basis beruht, oder ob das einfach individuelle Ängste sind, die durch rechtspopulistische Mobilisierungen hierzulande noch angefeuert werden. Wichtig ist: Soziale Verunsicherung ist ein idealer Nährboden für weitere Verunsicherungen. Nicht richtig ist, darauf mit dem klassisch liberal-konservativen Reflex zu reagieren, also mit großen Paketen Bürgerrechtsfreiheiten abzuschaffen. Vielmehr müssen wir versuchen, für Sicherheit auf den Straßen zu sorgen. Das tut man am besten dadurch, dass man gut qualifizierte und gut bezahlte Polizeibeamtinnen und Polizeibeamte hat, die ihren Job verstehen. Rot-Rot-Grün geht es im Kern darum, den Leuten die Ängste zu nehmen, dass morgen oder übermorgen ihr Leben existenziell gefährdet ist. Das steht für diese Koalition im Mittelpunkt.

Heißt das auch, dass Rot-Rot-Grün die Videoüberwachung ausweitet? In der SPD wollen viele das laufende Volksbegehren gerne übernehmen.
Wir werden uns von Leuten, die wie die CDU in der Vergangenheit nichts gebacken gekriegt haben, nicht treiben lassen. Wir stellen uns den realen Herausforderungen: Es gibt Orte, an denen fühlen sich Berlinerinnen und Berliner unsicher. Da wird eine Kamera nicht helfen, sondern da braucht man die Polizei. Daran arbeiten wir.

Laut einer Umfrage wollen 80 Prozent der Berliner die Ausweitung der Videoüberwachung. Die LINKE bleibt dennoch bei ihrer Ablehnung?
Wir erleben Terror von den verschiedensten Seiten. Das ist politisch-islamistischer Terror, aber es gibt nach wie vor auch den Terror von rechts, der gern aus dem Blick gerät. Viele Menschen glauben, dass mit Kameras eine höhere Sicherheit zu erreichen sei. Die Realität ist aber die, dass Anschläge oft dann verhindert worden sind, wenn Polizeibehörden ordentliche und solide Ermittlungsarbeit geleistet haben. Wer aber versucht, wie die CDU und die FDP, den Rechtsradikalen den Boden dadurch abzugraben, dass man in Vokabular, in Denkweise und in Propaganda auf denselben Zug aufspringt, der wird sich nicht wundern müssen, wenn am Ende die Rechten die grinsenden Sieger sind.

Was den Aufstieg der AfD angeht, muss mit Blick auf Marzahn-Ost und Blankenburg nicht auch die LINKE ihre Hausaufgaben machen?
Die LINKE muss in jedem Fall klar Position für eine weltoffene Politik beziehen. In keinen Fall darf sie auch nur den Versuch machen, an Argumentationsmuster anzuknüpfen, die behaupten, es gäbe Menschen erster und zweiter Klasse - es heißt öfter, den fleißigen weißen arbeitenden Mann wieder in den Mittelpunkt zu stellen - das halte ich schlicht für reaktionär. Wir stehen für eine Politik, in der alle Menschen in Not jede Unterstützung bekommen, die sie brauchen. Und wir wollen praktisch den Beweis erbringen, dass es keinen Grund für Ängste gibt.

Zwölf Monate von 60 Monaten der Legislatur sind um, was ist im nächsten Jahr von Rot-Rot-Grün zu erwarten?
Es wird darum gehen, die Personalsituation im öffentlichen Dienst kontinuierlich zu verbessern. Außerdem müssen wir über den Wohnungsbau, über Kita- und Schulbau, öffentliche Infrastruktur, die Investitionsoffensive verlässlich umsetzen. Nach den Feuerwehrarbeiten des ersten Jahres müssen wir nun die konzeptionellen Fragen anpacken. Die Leute erwarten konkrete Lösungen für konkrete Probleme.

Also die Koalition bleibt stabil und es wird bis zum Ende auch durchregiert?
Durchregieren nicht, aber gut regieren hoffe ich. Und zwar mit Ergebnissen, die die Berlinerinnen und Berliner überzeugen, dass die Entscheidung für Rot-Rot-Grün richtig war.

Klaus Lederer ist Bürgermeister, Kultur- und Europasenator in der rot-rot-grünen Koalition in Berlin, die seit knapp einem Jahr im Amt ist. Zuvor war er seit 2007 Landesvorsitzender der LINKEN in der Hauptstadt.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -