- Politik
- Seenotrettung im Mittelmeer
Libyen gibt Schüsse nahe deutscher Fregatte zu
Bundeswehr wertete Vorfall als Provokation / EU will dennoch Training für libysche Küstenwache fortsetzen / Hilfsorganisationen beklagen Behinderung
Berlin. Die libysche Küstenwache hat sich einem Medienbericht zufolge für ein gefährliches und aggressives Seemanöver in unmittelbarer Nähe der deutschen Fregatte »Mecklenburg Vorpommern« im Mittelmeer entschuldigt. Wie der »Spiegel« berichtete, räumte Libyen gegenüber EU-Diplomaten und der EU-Mittelmeer-Mission »Sophia« Fehler der eigenen Seeleute ein.
Der Vorfall ereignete sich demnach bereits am 1. November bei einer Mission der deutschen Fregatte »Mecklenburg Vorpommern« zur Rettung von Flüchtlingen rund 50 Kilometer vor der libyschen Küste. Die Besatzung habe auf einem bereits leeren Flüchtlingsboot Spuren sichern wollen, als ein libysches Patrouillen-Boot auf die Soldaten zugerast sei. Warnungen per Funk seien ignoriert worden.
Als das Patrouillenboot abgedreht sei, hätten die deutschen Soldaten Schüsse gehört, die offenbar ins Wasser gefeuert worden seien. Daraufhin habe sich der deutsche Kapitän beim EU-Kommando über das Verhalten der Libyer beschwert, das als bewusste Provokation gewertet worden sei.
Der Chef der libyschen Küstenwache, Abdalh Toumia, zeigte sich laut »Spiegel« gegenüber EU-Diplomaten und dem Kommandeur der EU-Mission nun »persönlich enttäuscht« über das »unprofessionelle Verhalten« seines Bootsführers. Toumia versicherte demnach, dass sich solche aggressiven Manöver nicht wiederholen würden. Die abgegebenen Schüsse erklärte er als Test der Bordwaffen.
Die libysche Küstenwache versucht mit europäischer Unterstützung Flüchtlinge abzufangen, ehe sie internationale Gewässer erreichen. Die EU wolle trotz des provokanten Vorfalls Anfang November das Training für die libysche Küstenwache fortsetzen, berichtete der »Spiegel«.
Zivile Seenotretter beklagen Behinderung
Hilfsorganisationen beklagen unterdessen eine zunehmende Behinderung bei der Suche nach schiffbrüchigen Flüchtlingen auf hoher See. Am Samstag wurde das Rettungsschiff »Aquarius« aber zu einem Holzboot in Seenot geschickt und habe mehr als 400 Menschen gerettet, wie die Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen mitteilte. Die Nichtregierungsorganisation hatte vor einem »Herbst der Schiffbrüche« gewarnt.
In einem neuen Bericht bezeichnete die Internationale Organisation für Migration das Mittelmeer als die »mit Abstand tödlichste Grenze« weltweit: In diesem Jahr sind nach offiziellen Angaben annähernd 3000 Migranten bei dem Versuch umgekommen, mit seeuntauglichen Booten Europa zu erreichen. Nach den neuesten Schiffbrüchen dürfte die Zahl noch höher liegen.
Denn Ende dieser Woche könnten erneut mehr als 50 Menschen im Mittelmeer ertrunken sein. 31 Leichen seien am Samstag vor der Küste Libyens geborgen worden, berichtete die Nachrichtenagentur Ansa unter Berufung auf die libysche Marine. Etwa 20 Flüchtlinge seien ertrunken, als sie in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag von einem überfüllten Schlauchboot ins Wasser gefallen seien, sagte ein Sprecher des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR der Deutschen Presse-Agentur am Samstag in Rom. Dies hätten Gerettete berichtet, die mit den Vermissten an Bord gewesen und am Samstag in Augusta auf Sizilien an Land gegangen seien.
Am Samstag seien östlich der libyschen Hauptstadt Tripolis mehrere im Wasser treibende Leichen entdeckt worden, sagte ein Sprecher der libyschen Marine Ansa. 60 Menschen seien gerettet worden. Einen anderen Schiffbruch überlebten demnach 140 Migranten. Die Geretteten wurden nach Libyen zurückgebracht. Auch die Leichen wurden dorthin überführt. Von der libyschen Küstenwache selbst war zunächst keine Stellungnahme zu erhalten.
Der UNHCR-Sprecher hatte am Samstag zunächst keine weiteren Informationen über die jüngsten Unglücke vor der libyschen Küste. Er berichtete aber von dem Fall in der vergangenen Woche: Etwa 20 Menschen seien von Bord eines Bootes ins Wasser gefallen. Die übrigen Insassen seien später gerettet und am Samstag in Sizilien an Land gegangen.
Seit Mittwoch mehr als 1000 Menschen gerettet
Seit Mittwoch waren der italienischen Küstenwache und Hilfsorganisationen zufolge mehr als 1100 Menschen gerettet worden. Die Teams der »Aquarius«, dem gemeinsam von SOS Méditerranée und Ärzte ohne Grenzen betriebenen Rettungsschiff, haben nach eigenen Angaben am 22. und 23. November 387 Menschen an Bord genommen. Für eine junge Frau sei jede Hilfe zu spät gekommen. Laut Augenzeugenberichten starb sie während der Überfahrt von Libyen an den Folgen einer Totgeburt. Überlebende haben berichtet, dass Frauen der Gewalt in Libyen schutzlos ausgeliefert seien.
»Die Menschen, die mit der jüngsten Welle angekommen sind, befinden sich in einem sehr schlechtem Zustand«, sagte ein UNHCR-Sprecher. Viele derer, die sich monatelang bis zu eineinhalb Jahre in libyschen Haftzentren befunden hätten, seien dehydriert und wiesen Spuren von Folter und Gewalt auf. Die Vereinten Nationen hatten erst kürzlich ein dramatisches Bild von den Zuständen in den Haftzentren in dem Bürgerkriegsland gezeichnet. Nach libyschen Angaben befinden sich in den Lagern derzeit 19.900 Menschen. Im September waren es erst 7000. Agenturen/nd
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