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Parteitag der Selbstberauschung
Die Grünen feiern ihr Sondierungsteam und bleiben im Bund gesprächsbereit
Sie lächeln, winken und klatschen, als aus den Lautsprechern die Titelmelodie des A-Teams erklingt. Allerdings will die Ökopartei nicht nur mit den Helden der US-amerikanischen Actionserie aus den 80er Jahren in Verbindung gebracht werden. Für die Menschen, die damit nichts anfangen können, hat Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt eine andere Analogie parat. Man habe sich auch »die Wilde 14« genannt, sagt sie in Anspielung an das berühmte Buch von Michael Ende.
Dass die »Wilde 14« vor wenigen Tagen noch kurz davor war, in den schwarz-gelb-grünen Sondierungsgesprächen für ein paar kleine Zugeständnisse in der Klimapolitik das Asylrecht weiter zu schleifen, haben viele Grüne geräuschlos akzeptiert. Union, FDP und Grüne hatten sich bei der Einrichtung von sogenannten Rückführungszentren angenähert, in denen faire Asylverfahren in der Regel behindert werden. Zudem galt unter anderem der Ausbau der EU-Grenzagentur Frontex, die vor allem für die Flüchtlingsabwehr zuständig ist, in einem Sondierungspapier, in dem Zwischenergebnisse aufgelistet worden waren, als schwarz-gelb-grüner Konsens.
Nichtsdestotrotz gibt es in der Berliner Arena viel Lob für das Sondierungsteam. Männer und Frauen, die aus unterschiedlichen Gegenden der Republik kommen und als Basismitglieder bei den Grünen aktiv sind, treten während der Generaldebatte ans Mikrofon und danken den 14 Grünen. Es fallen Sätze wie: »Wir hätten lieber 50 Prozent in der Regierung durchsetzen sollen, als immer nur 100 Prozent unseres Programms in der Opposition zu fordern.« Oder: »Das grüne Profil war bei Verkehr und Klimaschutz so deutlich sichtbar wie lange nicht mehr.« Eine junge Frau nennt das Scheitern der Sondierungen sogar einen »schwarzen Tag für die Humanität und die Flüchtlingspolitik«. Denn Ursache für Flucht und Kriege sei die »Klimakrise«, welche die Grünen bekämpfen wollten.
Wenn die Sondierungen erfolgreich beendet worden wären, hätten die Delegierten darüber abstimmen müssen, ob die Grünen Koalitionsverhandlungen mit Union und FDP aufnehmen sollen oder nicht. Das wäre kein Selbstläufer gewesen. Denn einige Funktionäre hatten auch Sorgen, dass die Grünen in einer solchen Konstellation untergegangen wären. Die Fraktionschefin im Europaparlament, Ska Keller, sagt etwa, sie sei froh, dass es nicht zu Jamaika gekommen sei. »Wir sind in der Flüchtlingspolitik nicht nur an die Schmerzgrenze, sondern weit darüber hinaus gegangen«, kritisiert die Grüne-Jugend-Chefin Ricarda Lang.
Weil sich die kontroverse Frage nach einer Regierungsbeteiligung nun vorerst nicht mehr stellt, verläuft der Parteitag weitgehend harmonisch. Das liegt auch daran, dass die grünen Sondierer nun ihre ganz eigene Sicht auf die Gespräche präsentieren und die Schuld für das Scheitern allein der FDP zuschieben können. Parteichef Cem Özdemir erinnert sich daran, wie die »taffen Frauen der Grünen« die schwarz-gelben »Herrenrunden gerockt« hätten. Er schaut Claudia Roth und Katrin Göring-Eckardt an, die im Publikum sitzen. »Die Claudia hat um jedes Wort in der Flüchtlingspolitik gerungen und die Katrin hat sich durchgebissen und gefightet«, verkündet der Grünen-Vorsitzende. Der FDP wirft er vor, dass sie nicht aus inhaltlichen, sondern aus taktischen Gründen den Verhandlungstisch verlassen habe. »Sie war berauscht von ihrem Wahlerfolg und noch immer traumatisiert von ihrer Niederlage im Jahr 2013«, meint Özdemir. Kaum Kritik äußert er hingegen an CDU und CSU. In der Partei heißt es, dass die Konservativen in den Sondierungsgesprächen »fair« mit den Grünen umgegangen seien.
Die Führung der Ökopartei geht nun davon aus, dass sich Union und Sozialdemokraten trotz des Widerstands in Teilen der SPD erneut auf eine Große Koalition verständigen werden. Sie halten sich aber eine Hintertür offen, falls die Sozialdemokraten doch nicht für Schwarz-Rot bereitstehen sollten. Möglich wäre dann auch die Bildung einer schwarz-grünen Minderheitsregierung. Im Leitantrag der Grünen heißt es, dass die Partei weiterhin bereit sei, »Verantwortung zu übernehmen und gesprächsbereit bleibt«. Dagegen wird ein Antrag von linken Basismitgliedern, der eine Regierungsbeteiligung der Grünen an einer unionsgeführten Regierung ohne eigene Mehrheit ausgeschlossen hätte, von einer deutlichen Mehrheit der Delegierten abgelehnt.
Ihre internen Debatten haben die Grünen erst einmal verschoben. Im Januar wollen sie bei einem Parteitag ihre neue Führung wählen. Auch im Fraktionsvorstand stehen Wahlen an. Özdemir hat bereits seinen Rückzug von der Parteispitze angekündigt. Er ist seit November 2008 Chef der Grünen. Ob Özdemir stattdessen ein anderes Amt anstrebt, ist noch offen. Die Kovorsitzende Simone Peter will erneut kandidieren. Ein Antrag auf Satzungsänderung, der es dem schleswig-holsteinischen Umweltminister Robert Habeck ermöglicht hätte, sein Amt zu behalten und zugleich Parteivorsitzender zu werden, wurde kurz vor dem Parteitag wieder zurückgezogen.
Es soll aber auch noch einige weitere Grüne geben, die Interesse an der Nachfolge Özdemirs haben. Im Gespräch sind Bundesgeschäftsführer Michael Kellner sowie der Europaabgeordnete Sven Giegold. Auch von den Bundestagsabgeordneten und Mitgliedern des Jamaika-Sondierungsteams, Agnieszka Brugger, Annalena Baerbock und Katja Dörner, werde man noch viel hören, sagte Özdemir vor dem Parteitag in einem Interview mit der »taz«. Möglich ist, dass die Realos den Flügelproporz in der Partei, wonach die linken Grünen an der Doppelspitze in Fraktion und Partei beteiligt werden, bald infrage stellen werden. Die harmonische Atmosphäre bei den Grünen könnte also schon bald wieder verflogen sein.
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