Berlin ist nicht Weimar

Die Minderheitskabinette der ersten deutschen Republik waren nicht Ursache, sondern Ausdruck instabiler Verhältnisse

  • Georg Fülberth
  • Lesedauer: 3 Min.

Von den zahlreichen Parteien der Weimarer Zeit standen nur drei zumindest am Anfang rückhaltlos zur demokratischen Republik: die SPD, die katholische Zentrumspartei (und ihre Schwesterpartei, die Bayerische Volkspartei, BVP) sowie die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP). Die KPD wollte Rätedeutschland, die Deutschnationale Volkspartei (DNVP) war monarchistisch, ganz rechts außen agierte die faschistische NSDAP. Mitglieder der Deutschen Volkspartei (DVP), bis 1929 unter der Führung Gustav Stresemanns, waren ursprünglich ebenfalls Monarchisten, gaben sich aber taktisch als Vernunftrepublikaner.

Sie wurden von den Kapitänen der Schwerindustrie unterstützt. Auch die sahen die parlamentarische Demokratie als ein unvermeidliches Übel, das man gern im geeigneten Moment zugunsten einer autoritären Herrschaft abgeschüttelt hätte. In der Chemie- und Elektrobranche neigte man eher zur DDP und hatte ein paar Jahre lang etwas mehr Geduld mit der Demokratie.

DDP, SPD und Zentrum konnten nur ein Jahr lang (1919 bis 1920) gemeinsam allein regieren: als Resultat der Wahlen zur Nationalversammlung, die in Weimar tagte, daher der Name »Weimarer Koalition«. 1920 verlor diese ihre Mehrheit, und es begann die Zeit der Minderheitskabinette, die nur kurz - 1923 und 1928 bis 1930 - durch Große Koalitionen unter Einschluss der SPD unterbrochen wurde.

Ausweislich der Wahlergebnisse nach 1920 war auch die Mehrheit der Volksmassen nicht pro-republikanisch. Auf der rechten Seite waren sie seit Kaisers Zeiten nationalistisch und antisemitisch verhetzt, links außen verloren sie jede Hoffnung, dass eine bürgerliche Republik ihre oft miserable wirtschaftliche Lage bessern könne.

Im Kern der Minderheitskabinette befanden sich meist die DVP, das Zentrum (oder die BVP) und die DDP. Links sprach man von »Bürgerblockregierungen«. Das traf zu, aber die Zentrumspartei hatte nicht nur einen Unternehmer-, sondern auch einen starken Gewerkschaftsflügel. Ihm ist zu verdanken, dass 1927 unter einer Minderheitsregierung die Reichsanstalt für Arbeit gegründet und die Arbeitslosenversicherung eingeführt wurde.

Die Jahre 1924 bis 1928 gelten als »die goldenen Zwanziger« - eine Periode relativer Stabilität zwischen Inflation und Weltwirtschaftskrise. Während dieser gesamten Zeit gab es Bürgerblockregierungen. Die Reichstagsmehrheit war nur eine numerische, denn sie zerfiel in eine sozialdemokratische und eine kommunistische Linke sowie eine völkische Rechte, konnte zwar Kanzler stürzen, aber keine eigene Regierung bilden. Deshalb hat die SPD die bürgerlichen Kabinette in der Regel toleriert.

Minderheitsregierung war nicht gleich Minderheitsregierung. Der Kanzler Heinrich Brüning (1930 bis 1932) hatte bald keinerlei parlamentarische Basis mehr. Weiterhin wurde er aber von der SPD toleriert, um die NSDAP von der Regierung fernzuhalten.

Waren die Minderheitskabinette eine Ursache für den Verfall der Weimarer Republik? Nein. Umgekehrt: Alle Kombinationen auf der parlamentarischen und der Regierungsebene waren Ergebnis der schon früh bodenlosen Situation der ersten deutschen parlamentarischen Demokratie. Vergleiche mit der Lage seit der Bundestagswahl 2017 führen vorerst in die Irre.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken von Socken mit Haltung und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.