Europa muss Afrika entgegenkommen

Entwicklungsökonom Helmut Asche über falsche und richtige Ansätze in der Brüsseler Politik

  • Lesedauer: 6 Min.

Fast einstimmig hat das EU-Parlament gerade noch rechtzeitig vor dem Gipfel in Abidjan den »Bericht über die EU-Afrika-Strategie: ein Ansporn für die Entwicklung« gebilligt. Der Fokus soll in Afrika künftig auf Privatinvestitionen liegen. Dazu sollen afrikanische Staaten attraktivere Rahmenbedingungen schaffen, um europäische Geldgeber anzuziehen, und Garantien und Risikoabsicherungen für Privatunternehmen bereitstellen. Klingt nach altbekannten Forderungen, oder?
Einerseits ja. Es handelt sich in der Tat um die alte Logik, die uns in Deutschland aus einem ganz anderen gesellschaftlichen Bereich bekannt ist, nämlich Fordern und Fördern à la Hartz IV. Das ist auch die alte Logik der Strukturanpassungsprogramme à la Internationaler Währungsfonds: die Rahmenbedingungen via Liberalisierung oder Privatisierung immer noch ein bisschen »verbessern«, und dann purzeln die Investitionsmilliarden. Es ist im Wesentlichen die Logik, die auch in den G20 und dem dazugehörigen Compact with Africa gepflegt wird, den sich das Bundesfinanzministerium unter Wolfgang Schäuble ausgedacht hat. Andererseits gibt es eine grundsätzliche Veränderung im Jahr 2017. Der Schwerpunkt wird auf die Förderung von Privatinvestitionen statt auf klassische Entwicklungshilfe gesetzt. Wenn es nicht um Bildung, Gesundheit und andere öffentliche Leistungen geht, führt daran meines Erachtens auch kein Weg vorbei.

Weshalb?
Die logische Kette ist relativ leicht erzählt. Zentral soll es nun um Arbeitsplätze in Afrika gehen, vor allem für junge Leute. Die klassische staatliche Entwicklungshilfe schafft aber kaum Arbeitsplätze, außer in der Entwicklungshilfe. Das ist ihr nicht unbedingt vorzuwerfen, da wir ja in Afrika keine Staatsbetriebe gründen wollen. Also muss es hauptsächlich die Privatwirtschaft richten, gerne auch die deutsche. Hier stellt sich die Frage, wie man das mit gezielter Förderung intelligenter hinkriegt als mit der Liberalisierungs-Logik und wie man die falschen Investitionen verhindert, die Umwelt zerstören oder auf Hungerlöhnen beruhen.

Helmut Asche
Helmut Asche ist Entwicklungsökonom mit über 30 Jahren Erfahrung in der Arbeit in Afrika. Unter anderem arbeitete er als volkswirtschaftlicher und sozialpolitischer Regierungsberater in Burkina Faso, Ruanda und Kenia. Vor dem Ruhestand hat er als Professor an den Universitäten Leipzig und Mainz gearbeitet. Über den Gipfel zwischen Europäischer und Afrikanischer Union in Abidjan sprach mit ihm für »nd« Martin Ling.

Die zentralen Ziele der Afrikapolitik der EU sind kein Geheimnis: eine Eindämmung der Migrationsbewegungen in Richtung EU sowie sichere Bedingungen für europäisches Investitionskapital. Laut Bericht sind faire Handelsbeziehungen, eine schnellere Industrialisierung und die Schaffung einer entsprechenden Infrastruktur die Voraussetzungen, damit die afrikanischen Länder die vor allem jungen Menschen in den Arbeitsmarkt integrieren können. Dazu müssen die afrikanischen Staaten bis 2035 jährlich rund 18 Millionen neue Arbeitsplätze schaffen. Allein der Infrastrukturbedarf in Afrika wird auf 75 Milliarden Euro jährlich geschätzt. Stellt die EU für diese großen Aufgaben bisher die richtigen Weichen?
Infrastrukturförderung kann grosso modo nicht verkehrt sein, der entscheidende Punkt schließt an das gerade Gesagte an: Das ist die Schaffung von Arbeitsplätzen in Afrika, vor allem in der Industrie. Die Landwirtschaft alleine reicht nicht. Wenn das von der EU ehrlich gemeint ist, ist es ein Fortschritt. Denn seit den 1950er Jahren ist Afrika von europäischen Mächten de facto als reiner Rohstoff- und Agrarlieferant definiert worden. Verarbeitender Industrie in Afrika gab man keine Chance, daher gab es auch kaum Verständnis für Förderung und Schutz neuer Industrien dort. Wenn man jetzt anerkennt, dass ohne eine breite, verflochtene, verarbeitende Industrialisierung das nötige Arbeitsplatzwachstum nicht zustande kommt, ist das erst mal ein Fortschritt.

Unfug ist jedoch die Kopplung an die sogenannte Fluchtursachenbekämpfung. Die ganze Fachwelt ist sich in diesem Punkt ausnahmsweise einig: Wenn das Haushaltseinkommen in armen Ländern ansteigt, geht mitnichten die Migration zurück, sondern steigt erst mal an. Das ist der so genannte migration hump. Dieser statistische Migrationsbuckel besagt quasi, dass man den ältesten Sohn nach Europa schickt, sobald es das Einkommen der Familie ermöglicht. Erst auf höheren Einkommensniveaus nimmt der Migrationsanreiz wieder ab.

Dass die EU-Kommission den Punkt »Jugend« als ersten Tagungsordnungspunkt in Abidjan haben will, ist mehr als unglücklich. »Jugend« gilt Brüssel eben als Chiffre für Migrationsbekämpfung, und die Afrikaner wissen das. Migrationsbekämpfung soll also ganz oben in der politischen Hierarchie angesiedelt sein, und über das kritische Thema Handel soll in Abidjan am besten gar nicht mehr geredet werden. Nachdem Europa strukturell über Jahrzehnte zur Verlängerung der Unterentwicklung beigetragen hat, ist das unangebracht.

Ein Kernstück der EU-AU-Beziehungen sind die geplanten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen EPAs, die an die Stelle der Präferenzabkommen von Cotonou aus dem Jahre 2002 treten sollen. Wie ist der Stand in Bezug auf die drei EPAs mit den afrikanischen Regionalblöcken Ostafrika, Westafrika und südliches Afrika?
Im Prinzip könnten die EPAs die bestehenden Regionalgemeinschaften in Westafrika, Ostafrika und im südlichen Afrika konsolidieren, durch einen gemeinsamen Außenzoll gegenüber dem wichtigsten Handelspartner - nämlich der EU, und auch Investoren dauerhaft Planungssicherheit bieten, weil sie unwiderruflich zollfrei in den EU-Markt exportieren könnten. Trotz Einwänden zu den Zollverlusten, die den afrikanischen Ländern entstehen werden: So weit, so gut.

Was jetzt passiert, ist eine Katastrophe. Nigeria und Tansania haben sich Einwände zu eigen gemacht, wonach diese Abkommen die Industrialisierung gerade nicht fördern, sondern sie aufhalten, und wollen deswegen nicht unterschreiben. Das Ergebnis ist ein Desaster: die westafrikanische Regionalgemeinschaft wird zerlegt, weil jetzt die Individualabkommen mit Côte d’Ivoire und Ghana greifen. Die ostafrikanische Gemeinschaft wird zerlegt, weil jetzt für Kenia eine Individuallösung gilt. Ohne diese Einzellösungen müssten Côte d’Ivoire, Ghana, Kenia und auch Kamerun wieder Zolle für die Exporte in die EU zahlen. Und im südlichen Afrika gilt das EPA eh nur für sechs aus 15 Mitgliedsstaaten der dortigen Entwicklungsgemeinschaft. Diese Situation läuft der erklärten Absicht der EU-Kommission und des Europaparlaments, Regionalintegration nach dem Muster der EU in Afrika zu fördern, diamental entgegen. Die EU muss zum Gipfel mit einem Lösungsvorschlag kommen, der berechtigte Einwände von Nigeria und Tansania aufnimmt und sagt, in der Tat sind die Klauseln, die es in diesen Abkommen für industrielle Strukturpolitik und für die Weiterverarbeitung der eigenen Rohstoffe gibt, nicht recht handhabbar. Wir bieten Nachbesserungen an.

Beispiel gefällig?
Gerne. Wenn man will, dass sich in Afrika eine Milch verarbeitende Industrie aufbaut, die nicht auf subventioniertem Billigmilchpulver aus der EU beruht, dann müssen diese Länder das Recht haben, so hohe Importzölle auf Milchpulver zu erheben, dass dies unattraktiv wird und die afrikanischen Kleinbauern in der Milchproduktion eine Chance bekommen. Diese Möglichkeit wird durch die Abkommen extrem eingeschränkt. In solchen Punkten müsste die EU den afrikanischen Vertragspartnern entgegenkommen. Noch sehe ich dieses Angebot nicht. Immerhin scheint das Problem bei der deutschen Kanzlerin Angela Merkel inzwischen angekommen zu sein. Und sie fährt nach Abidjan, obwohl sie bekanntlich auch andere Probleme hat.

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