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Solidarische Abschottung
LINKE warnt vor EU-Absichten in Afrika / Freistaaten regen Abschiebungen nach Syrien an
Ob der wichtigste Beweggrund der EU-Staatschefs für den Afrika-Gipfel in Abidjan die Sorge vor einer wieder steigenden Zahl von Flüchtlingen ist, wird nicht bestätigt. Diese Erwartung ist aber nicht schwer zu identifizieren, auch wenn es nicht jeder so unverblümt äußert wie der designierte sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer. Der CDU-Politiker will einen schärferen Kurs in der Flüchtlingspolitik, und er sagt das auch. »Wir müssen deutlich sagen, dass wir mehr Rückführungsabkommen mit den Herkunftsstaaten brauchen, als wir sie bisher haben«, sagte Kretschmer der »Rheinischen Post«. Abschiebungen müssten überdies konsequent durchgesetzt werden.
Ein humanitäres Mäntelchen hängt Kretschmer seinen Abschiebe- und Abwehrfantasien freilich noch um: »Davon abgesehen können wir mit der gleichen Summe, mit der wir einen Flüchtling in Deutschland unterstützen, zehn bis 20 in den Herkunftsländern versorgen. Auch das ist solidarisch.« Das solidarische Wegsperren von Flüchtlingen in afrikanischen Auffanglagern ist durchaus erklärtes Ziel der EU in Ländern des nördlichen Afrika. Im Falle Libyens ist zu erkennen, welche Folgen das für die Betroffenen haben kann. Hilfsorganisationen beklagen, dass an der Flucht nach Europa gehinderte Menschen dort in Lagern vergewaltigt, gefoltert oder gar getötet werden. Unter dem Vorwand, illegale Schlepperbanden bekämpfen zu wollen, finanziert die EU libysche Milizen, die sich von diesen - wenn überhaupt - dadurch unterscheiden, dass sie mit ihrem brutalen Vorgehen direkt im Auftrag der EU handeln.
Andrej Hunko, Europapolitiker der Linksfraktion im Bundestag, weist auf einen weiteren Aspekt der EU-Strategie auf dem Afrika-Gipfel hin. Migrationsabwehr der EU werde als Partnerschaft oder Entwicklungshilfe getarnt. »Hilfszusagen sind oft an die Kooperation bei der Bekämpfung unerwünschter Migration geknüpft.« Hunko findet es besorgniserregend, dass die IOM (Internationale Organisation für Migration) und das UNHCR in den EU-Plänen »zu Gehilfen der europäischen Migrationsabwehr gemacht« werden.
Die Strategie der solidarischen Vorneverteidigung geht mit solidarischen Abschiebungen einher: Erstmals seit Jahren wurde Anfang November wieder ein Iraker in seine Heimat abgeschoben. Der Bund führe bereits mit der irakischen Seite Gespräche, um die Identifizierung und Rückführung von »vollziehbar ausreisepflichtigen Irakern« zu ermöglichen, berichtete die »Welt am Sonntag«. Dies solle sich zunächst auf Straftäter beschränken. Straftäter sind es angeblich auch nur, die nach Afghanistan abgeschoben werden, auch wenn Hilfsorganisationen immer wieder Fälle nennen, in denen die Abgeschobenen ohne Fehl und Tadel waren. In der nächsten Woche ist es wieder soweit. 78 Personen seien für eine Rückführung nach Afghanistan vorgesehen, teilte Pro Asyl unter Berufung auf »Spiegel online« mit. Die Organisation zeigt sich empört darüber, dass Abschiebungen fortgesetzt werden, obwohl kein aktueller Lagebericht des Auswärtigen Amtes vorliegt. Der letzte stammt vom Oktober 2016.
Die Beschränkung auf Straftäter macht Abschiebungen im übrigen nicht besser, wie Ulla Jelpke, Innenpolitikerin der LINKEN im Bundestag, nachdrücklich erklärt. »Im Gegenteil, das ist die übliche Strategie, um eine Akzeptanz für Abschiebungen in Kriegsregionen zu rechtfertigen. Der Schutz der Menschenrechte gilt jedoch absolut.« Jelpke reagierte allerdings mit ihren Worten bereits auf eine weitere Ungeheuerlichkeit. Sachsen und Bayern wollen die Innenministerkonferenz von Bund und Ländern in der kommenden Woche zur Debatte über Abschiebungen ins kriegsgeplagte Syrien veranlassen. Mit ihrem Vorstoß wollen die Länder erreichen, dass der geltende Abschiebestopp nur bis Ende Juni 2018 und damit um ein halbes, statt wie bisher üblich, um ein Jahr verlängert wird. Für Syrien gilt seit 2012 ein Abschiebestopp, der zunächst jeweils um ein halbes Jahr, später jeweils um ein ganzes Jahr verlängert wurde. Sollte eine neue Lagebewertung Abschiebungen wieder erlauben, sei mit Gefährdern und Straftätern zu beginnen, heißt es in der Beschlussvorlage. Mit Agenturen
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