Alles rein in den Kopf

In den Sophiensaelen schleicht sich Turbo Pascal über »Böse Häuser« auf leisen Sohlen ins Bewusstsein

  • Lucía Tirado
  • Lesedauer: 3 Min.

Künstler können sehr feinnervig sein. Wie ein Seismograf nehmen sie tendenzielle Veränderungen in der Gesellschaft wahr, verarbeiten sie auf ihre Art und geben Signale. Momentan sendet die freie Theater- und Performance-Szene auf unterschiedliche Weise aus, dass wir uns durch eine Zeit großer Verführung bewegen. Vernebelung führt weg von den brennenden gesellschaftlichen Themen, lenkt geschickt davon ab, erklärt andere zu den sogenannten wahren Problemen oder zielt auf diesen oder jenen Schwerpunkt auf die vom Absender gewünschte Weise.

Das seit 2004 mit der Bündelung von Prozessen befasste Berliner Theaterkollektiv Turbo Pascal arbeitet in seiner jüngsten Produktion »Böse Häuser« in den Sophiensaelen mit Gedankenexperimenten, inspiriert durch einen Satz des Philosophen Hegel: »Man meint, wenn das Denken über den gewöhnlichen Kreis der Vorstellungen hinausgehe, so gehe es zu bösen Häusern.«

Turbo Pascal will unsere Gedanken schärfen und betäubt sie dafür erst einmal. Die Kantine in den Sophiensaelen wird dafür zu einem mit hellem, weichem Teppichboden ausgelegten Raum, den das Publikum auf Socken oder in Pantoffeln auf leisen Sohlen betritt (Ausstattung: Janina Janke).

Warm ist es hier. Man fühlt sich willkommen, wird eingelullt von angenehmen Rhythmen aus Kopfhörern. Die sind zum einen als Pflicht ausgewählt, damit während der, in Kooperation mit dem Theater Rampe und den Sophiensaelen entstandenen, Produktion mehrere Abläufe in mehreren Gruppen im selben Raum gleichzeitig passieren können. Zum anderen soll sich der Einzelne auf sich konzentrieren und ungestört den sanften Stimmen folgen, die ihn beabsichtigt ganz persönlich ansprechen: Du allein bist gemeint. Folge mir. Ich bin für dich da. Hier kümmert sich jemand nur um dich. Das ist die Botschaft. Das ist der Trick. Natürlich geben sich dem in dieser kalten Welt alle gern hin.

Ein scheinbar harmonisches, doch in der Tat gefährliches Spiel kommt da in Gang, während sich alle vorstellen sollen, dass sie sich in einem exakt von den Künstlern beschriebenen, dem Verfall preisgegebenen Haus befinden. Erschreckend willig folgen hier Menschen bei dem Experiment allem, was angesagt wird. Sie lassen sich leicht lenken, setzen sich auf freundlich angeordnete Plätze, legen sich auf den Boden, lassen sich hypnotisieren, laufen auf der Stelle, während sie positive, doch letztlich negative Botschaften empfangen.

Wo sind die Hirne der Leute hin? Das anfangs gesäuselte Angebot, dass jeder über die 80 Minuten der Theaterproduktion jegliche Kontrolle über sich behalten könne, scheint irgendwo im Raum verdunstet zu sein. Niemand verweigert sich. Kaum jemand lässt erkennen, dass er das eine oder andere nicht mehr mitmachen will.

Am Ende stehen sich zwei große Gruppen gegenüber und empfangen die Botschaft, dass sie jeweils auf der richtigen Seite stehen, dass die anderen sie unterdrücken und ihren Platz einnehmen wollen. Darauf mache sich mal jeder später sein eigenes Bild angesichts aktueller politischer Prozesse und Argumente von Parteien. Adressaten werden bis auf angedeutete kleine Ausnahmen nicht genannt.

Raffiniert durchdacht, psychologisch geschickt eingefädelt, hintergründig von klarer politischer Absicht ist all das von Bettina Grahs, Friedrich Greiling, Angela Löer, Frank Oberhäußer, Luis Pfeiffer und Eva Plischke mit der Musik von Friedrich Greiling, im Licht von Fabian Stemmer.

Wie auch immer das jeder aufnahm - irgendwie schienen alle Besucher der Premiere zum Schluss durch die Suggestion stiller geworden zu sein. Kaum einer geht so fröhlich schwatzend hinaus, wie er vielleicht derart in die Falle hineinspaziert ist. Turbo Pascal ermöglicht mit »Böse Häuser« eine interessante Erfahrung. Die Gedanken sind frei. Sollten sie auch bleiben.

Nächste Vorstellungen: 30. November, 1. und 2. Dezember in den Sophiensaelen, Sophienstraße 18, Mitte

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