- Politik
- Vor den Wahlen in Katalonien
Polarisierter Wahlkampf
Katalonien: Mehrere Kandidaten im Gefängnis / Republikanische Linke führt bei Umfragen
Der aus Spanien abgesetzte katalanische Vize-Regierungschef Oriol Junqueras und weitere sieben ehemalige Mitglieder der Regierung von Carles Puigdemont wurden am Freitag vor dem Obersten Gerichtshof in Madrid vernommen. Sie waren vor einem Monat von der Richterin am Nationalen Gerichtshof Carmen Lamela wegen »Rebellion, Aufruhr und Veruntreuung« von Steuergeldern inhaftiert worden, weil Geld für das Unabhängigkeitsreferendum am 1. Oktober eingesetzt worden sein soll, das Spanien verboten hatte.
Richter Pablo Llarena hat dieses Verfahren an sich gezogen. Es wird erwartet, dass er die acht ehemaligen Minister nun freilassen wird. Doch das wird frühestens am Montag geschehen. Erst dann will Llarena eine Entscheidung treffen, war aus dem Gericht zu erfahren. Aus seinem Exil in Brüssel hatte Puigdemont zuvor seine Kollegen aufgefordert, »alles Notwendige zu tun, um aus dem Knast zu kommen«. Das bedeutet, formal die Anforderungen der spanischen Justiz zu erfüllen.
Die betroffenen Inhaftieren sollen Wahlkampf machen. Denn aus den von Spanien verordneten Zwangswahlen am 21. Dezember will die Unabhängigkeitsbewegung gestärkt hervorgehen. Junqueras, Chef der Republikanischen Linken (ERC), wurde als Erster vernommen, dann folgten am Freitagvormittag seine ERC-Kollegen. Junqueras führt die ERC-Liste an, die Prognosen zufolge die Wahlen klar gewinnen könnte.
Aus gut informierten Kreisen war schon im Vorfeld durchgesickert, dass die Ex-Minister die Anwendung des Verfassungsparagrafen 155 tatsächlich anerkennen würden. Über den Paragrafen war die katalanische Regierung am 27. Oktober abgesetzt worden, seither wird aus Madrid in der Region durchregiert. Allerdings haben die ehemaligen Minister ihre »energischste politische und juristische Diskrepanz« schon in einem Schreiben an den Richter zum Ausdruck gebracht.
Der Paragraf 155 »erlaubt es in keinem Fall, Regierungsmitglieder abzusetzen, sich der Funktionen der katalanischen Regierung zu bemächtigen oder die Aktivitäten des Parlaments zu blockieren«, schreiben sie. Man werde die Anwendung des Paragrafen 155 über »geeignete juristische Wege anfechten«.
Entscheiden wird Richter Llarena auch über die Präsidenten der großen zivilgesellschaftlichen Organisationen »Katalanischer Nationalkongress« (ANC) und »Òmnium Cultural«, die federführend hinter den Mobilisierungen der letzten Jahre stehen. ANC-Chef Jordi Sànchez und Òmnium-Chef Jordi Cuixart wurden schon Mitte Oktober wegen »Aufruhr« inhaftiert. Sànchez kandidiert nun auf dem zweiten Listenplatz hinter Puigdemont auf der Liste »Gemeinsam für Katalonien«. Der ANC hat bestätigt, man habe in der »Widerstandskasse« fast zwei Millionen Euro. Das dürfte genug sein, um alle Kautionen sofort bezahlen zu können und die »politischen Gefangenen« schnell aus dem Gefängnis zu holen, wie der ANC erklärt. Für Forcadell wurde Anfang November mit 150 000 Euro die höchste Kaution verhängt. Für die zehn Gefangenen wird mit insgesamt 1,5 Millionen gerechnet.
Wege zur Anfechtung des Paragrafen 155 wurden bereits eingeschlagen, um vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg ziehen zu können. Am Donnerstag hat die spanische Linkspartei Podemos Klage vor dem Verfassungsgericht angekündigt. Das können die katalanischen Parteien nicht, weil man in Spanien dafür mindestens 50 Parlamentarier benötigt.
Erst nach einer Bestätigung der Maßnahmen durch das Verfassungsgericht, das von Richtern dominiert ist, die der konservativen Volkspartei (PP) von Regierungschef Mariano Rajoy nahe stehen, ist ein Gang nach Straßburg möglich. Dort wurde Spanien in den letzten Jahren immer wieder wegen Eingriffen in demokratische Grundrechte oder Folter verurteilt.
Den Gang nach Brüssel treten in der kommenden Woche indes Zehntausende Katalanen an, die am Donnerstag im Herzen Europas ihren »legitimen Regierungschef« unterstützen und für ein freies und unabhängiges Katalonien demonstrieren wollen.
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