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Honduras’ geheime Revolution
Der amtierende Präsident Juan Orlando Hernández plant den Ausverkauf des Landes an Investoren
Juan Orlando Hernández hat keine Scheu vor großen Worten, wenn es um die Zukunft seines Landes geht. »Mit den ZEDE werden wir Honduras revolutionieren«, ruft der honduranische Präsident seinen Anhängern bei einem Wahlkampfauftritt in der Stadt Choloma zu. »Die ZEDE werden neue Jobs ins Land bringen - für Sie, für Ihre Kinder - und für Ihre Enkelkinder.« Hinter dem sperrigen Kürzel verbergen sich die »Zonas de Empleo y Desarrollo Económico« - auf Deutsch »Zonen für Arbeit und wirtschaftliche Entwicklung«. Dass diese das Land revolutionieren könnten, ist wahrscheinlich nicht einmal übertrieben. Denn mit ihnen entstünden neue, fast autonome Mini-Staaten, in denen nicht die Gesetze und Rechtsprechung von Honduras, sondern die des jeweiligen Investors gelten. Sicherheitskräfte, Steuergesetzgebung, Bildungs- und Gesundheitspolitik - über all das kann der Investor selbst bestimmen.
Neoliberaler Vorzeigestaat
Seit mehreren Jahren schon arbeitet die honduranische Regierung an der Umsetzung des umstrittenen Konzepts. Nach dem Militärputsch im Jahr 2009 gegen den liberalen Präsidenten Manuel Zelaya hat die neue Regierung - erst unter Regierungschef Porfirio Lobo Sosa, nun mit dem aktuellen Präsidenten Juan Orlando Hernández - Honduras in wenigen Jahren zum neoliberalen Vorzeigestaat umgebaut: Zahllose Konzessionen für Bergbau- und Infrastrukturprojekte wurden an honduranische und internationale Großkonzerne vergeben. Die Errichtung der ZEDE ist da nur der nächste Schritt bei der Entwicklung eines Landes, in dem vor allem die Interessen der Investoren zählen.
Als intellektueller Kopf hinter dem ZEDE-Konzept gilt Paul Romer. Der US-amerikanische Wirtschaftswissenschaftler arbeitet heute als Chef-Ökonom der Weltbank. Um ein von Arbeitslosigkeit, Korruption und hoher Kriminalitätsrate geplagtes Land wie Honduras wieder auf die Beine zu bringen, müssten autonome Modellstädte ausgewiesen werden, die aufgrund ihrer günstigen Rahmenbedingungen internationale Investoren anziehen könnten, so Romer. Mit diesem Konzept überzeugte er auch Ex-Präsident Porfirio Lobo Sosa, der schon vor fünf Jahren die erste Modellstadt an der honduranischen Karibik-Küste errichten lassen wollte.
Doch der Versuch scheiterte. 2011 hatte das honduranische Parlament die Gesetzesgrundlage für die Mini-Staaten geschaffen, die damals noch unter dem Namen »Regiones Especiales de Desarrollo« (RED) - auf Deutsch »Sonderentwicklungszonen« - fungierten. Kurz darauf landete das Gesetz vor dem honduranischen Verfassungsgericht, das das Vorhaben für verfassungswidrig erklärte. Doch die renitenten Richter wurden einfach vom Parlament abgesetzt - und schon ein paar Monate später war ein neues Gesetz zu dem Projekt verabschiedet.
Keine Auskunft über Details
Präsident Hernández hat die vergangenen vier Jahre genutzt, um sämtliche Schaltstellen der Macht mit treuen Gefolgsleuten zu besetzen. Nur deshalb war es möglich, dass er erneut als Präsidentschaftskandidat antreten durfte - auch wenn die honduranische Verfassung eine Wiederwahl explizit ausschließt. Während des Wahlkampfs ließ er keine Möglichkeit ungenutzt, um öffentlich für das ZEDE-Projekt zu werben. Doch wenn es um Details zum Stand des Projektes geht, wird die Regierung einsilbig. Ein Interviewtermin wird erst zu-, dann aber kurzfristig wieder abgesagt, selbst Minister sind offenbar nicht befugt, Auskunft zu geben.
Der Direktor des honduranischen Unternehmerverbandes COHEP hat indes keine Scheu, seine Meinung öffentlich zu sagen. »Die einheimischen Unternehmer unterstützen jede Initiative, die neue Jobs für die honduranische Bevölkerung schafft«, sagt Armando Urtecho. Doch auch er findet es seltsam, dass ausgerechnet neue Mini-Staaten das schaffen sollen, was der honduranischen Regierung in den vergangenen Jahren nicht gelungen ist. »Mit dem ZEDE-Projekt sollen langfristige und stabile Bedingungen für Investoren garantiert werden, weil es die heutzutage in Honduras nicht gibt«, sagt Urtecho. »Das ist natürlich ein Widerspruch, und ich glaube, dass sich die politische Klasse mit dem Projekt selbst abschafft.«
Wahlen sind nicht vorgesehen
Denn Wahlen sind in den ZEDE-Projekten nicht vorgesehen, gesteuert werden sollen sie vom »Komitee zur Anwendung guter Praktiken«, kurz CAMP. Dabei handelt es sich um eine Art Aufsichtsrat aus maximal 21 internationalen Mitgliedern, die vom honduranischen Präsidenten ernannt und vom Parlament bestätigt worden sind. Wie viele es momentan genau sind, weiß niemand zu sagen. Es ist eine Gruppe aus Konservativen, Neoliberalen und Vertretern der libertären Bewegung, die allesamt die freie Entwicklung der Wirtschaft ohne starke Einmischung des Staates predigen. Zum CAMP gehört auch Barbara Kolm, österreichische Ökonomin und Direktorin des FPÖ-nahen Hayek-Instituts. Doch auch sie hüllt sich in Schweigen: Schriftlich eingereichte Fragen zu ihrer Tätigkeit im CAMP bleiben auch nach zwei Monaten und mehreren Rückfragen unbeantwortet.
So wird die Recherche zum ZEDE-Projekt in Honduras immer mehr zur Jagd nach einem Phantom. Aber dann erscheint Carlos Cruz auf der Bildfläche - ein junger honduranischer IT-Unternehmer, der an der Idee der Sonderentwicklungszonen Gefallen gefunden hat. »Agile Solutions« heißt sein Unternehmen für IT-Lösungen mit Standorten in Honduras, Brasilien und den USA. Das Büro in Tegucigalpa sieht aus wie ein hipper Co-Working-Space in Berlin-Mitte: In einem hellen Großraumbüro mit Blick auf die Stadt sitzen rund 70 Männer und Frauen in Kleingruppen an ihren Rechnern, arbeiten, reden und trinken Kaffee.
Eine private Startup-Stadt
Zwei Dinge hat Cruz im Angebot: Zum einen will er für das ZEDE-Projekt eine digitale Verwaltungsplattform für Themen wie Steuern, Bildung und Gesundheit entwickeln. »Wir wollen die Verwaltung automatisieren, sie soll klein und effizient sein. Wenn wir könnten, würden wir den Staat komplett automatisieren«, sagt der Unternehmer. Zum Zweiten will er sein Unternehmen selbst zu einer kleinen ZEDE in Tegucigalpa ausbauen - als private Start-up-City mit angeschlossenem Campus, die vor allem beim Thema Bildung nicht an die Vorgaben des nationalen Lehrplans gebunden ist. So will er junge Honduraner schneller fit machen für den globalen Arbeitsmarkt. Bedenken wischt er vom Tisch: »Wir werden sagen: Arbeitet hier, wenn ihr wollt, studiert hier, wenn ihr wollt, lebt hier, wenn ihr wollt - wenn nicht, dann geht einfach.«
Das mag für ein internationales IT-Unternehmen mit mehrsprachigen, mobilen Programmierern und Projektmanagern stimmen, doch die Realität im ländlichen Süden des Landes sieht anders aus. Hier, im Golf von Fonseca an der honduranischen Pazifik-Küste, ist eines der ZEDE-Projekte geplant. Auf der kleinen Vulkaninsel Isla del Tigre liegt Amapala, ein verschlafenes Fischerdorf mit morschen Holzhäusern. Doch mit dem ZEDE-Projekt könnte auch in Amapala neues Leben einziehen. Ein leistungsfähiger Tiefseehafen könnte hier errichtet werden, auch ein neues Logistikzentrum ist geplant. Große Flächen würden benötigt, starke Eingriffe in den Naturraum wären unausweichlich.
Angst vor Vertreibung durch den Tiefseehafen
Pedro Canales erfüllt all das mit Besorgnis. Canales arbeitet wenige Kilometer nördlich von Amapala als Fischer und Bauer, daneben kämpft er schon seit Jahren für die Rechte der Landbevölkerung. Er weiß, dass Großprojekte wie der neue Tiefseehafen für die lokale Bevölkerung vor allem eins bedeuten: mehr Druck auf die angestammten Siedlungsgebiete und Angst vor Vertreibung. »Viele Menschen leben hier in extremer Armut, und die Reichen leben direkt nebenan«, erzählt Canales. Die meisten der lokalen Familien haben keine Landtitel für die von ihnen bewirtschafteten Flächen, obwohl sie schon seit mehreren Generationen in der Region leben. Deshalb können Großinvestoren die Flächen kaufen, sie für sich mit Unterstützung der Behörden ins Grundbuch eintragen lassen und die ursprünglichen Siedler von ihren Flächen vertreiben. Das ZEDE-Gesetz sieht ausdrücklich auch die Möglichkeit der Enteignung vor. »Wie also kann die Regierung uns sagen, dass wir mit den ZEDE reich werden, wenn die Reichen uns doch nur vertrieben und den ärmsten Familien das Land weggenommen haben?«, fragt der Aktivist.
50.000 Arbeitsplätze?
In Tegucigalpa gibt es derweil neue Spekulationen über die Sonderentwicklungszonen. Die honduranische Presse berichtet von acht internationalen Unternehmen, die daran interessiert seien, hohe Millionenbeträge in ZEDE-Projekte zu investieren. Mindestens 50 000 neue Jobs sollen entstehen - doch konkrete Informationen von der Regierung gibt es nicht. Auch der frühere Wirtschaftsminister Fernando García, Autor einer ausführlichen Studie zu den Sonderentwicklungszonen, hat mehr Fragen als Antworten. »Das wichtigste Element einer Demokratie ist doch die Beteiligung ihrer Bürgerinnen und Bürger, und dafür braucht man den freien Zugang zu Informationen«, findet García. »Aber wenn es keine Transparenz gibt, sondern nur Vertuschung, dann kann man nicht von einer wirklichen Demokratie sprechen.« Die von Präsident Juan Orlando Hernández propagierte wirtschaftliche Revolution des Landes findet weiter im Geheimen statt.
Die Recherchen für diesen Beitrag wurden unterstützt durch ein Stipendium von netzwerk recherche.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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