Bullrichsalz für die Weltanschauung

Martin Buchholz verabschiedet sich in den »Wühlmäusen« von der Bühne: »Alles Lüge - kannste glauben!«

  • Volkmar Draeger
  • Lesedauer: 4 Min.
Ein Monument des Politkabaretts verlässt seinen Sockel, auf dem es allerdings nie wirklich gestanden hat. Martin Buchholz bringt das Kunststück fertig, trotz des gelegentlichen Sockels allzeit erdverbunden zu sein. Doch seine Sockelzeit neigt sich aus freien Stücken. Und so lädt er ein letztes Mal in so etwas wie sein Stammetablissement, die »Wühlmäuse«. Hausherr Dieter Hallervorden war und ist generös genug, auch dem ein Zuhause zu bieten, der vielerorts Gast, häufig nur Zaungast geblieben ist. Auch darüber plaudert Martin Buchholz ebenso nonchalant wie bissig von der Bühne herunter ins Zusehvolk. Ausverkauft hatte es zur Premiere den beliebten Spielort und war voller Erwartung. Die wurde nicht enttäuscht, eher übertroffen.

Ein Bartischchen zum Auflümmeln, darauf ein Laptop als Text-Kompass durch den Abend, dahinter in schlichtem Schwarz der Meister der Verbaljonglage. Mit leicht zerknittertem Antlitz, doch hellwachem Geist. Den hält er gut zweieinhalb Stunden lang unter scharfer Kontrolle. »Alles Lüge - kannste glauben!« lautet sein eigentlich widersinniges Motto. Doch dazu liefern Politiker und Menschen wie du und ich reichlich Beitrag. Auch die im Saal: »Wieso kommen Sie zu mir, kommen Sie zu sich«, fordert Buchholz gleich eingangs hinterhältig. Und konstatiert, dass die Medien politisches Kabarett besprechen wie Warzen. Heute fühle er sich wie bei einer Leichenschau, Aas sei ja genug da. Und gleitet dann, welcher Kabarettist ließe sich das entgehen, sanft nach Jamaika über, das Politasyl für Dame Merkel. Selbst sei er nur kurz auf jener Insel gewesen, mit Gattin, und wurde von einer verlockenden Schönheit angemacht, was Jamaika sein könnte: a wonderful fuck for all of you.

Es folgt ein Ausflug in die Philosophie der Löcher: ein Nichts mit Rand, und den können manche nicht halten. Bei Markus Söder entdeckt er katalanische Bestrebungen, beim einsamen Martin Schulz ein persönliches Dacapo: Aus »Ja, aber« wird »Aber ja!« Der Namensvetter inspiriert den Wortveteran zur Rückschau auf die Kindheit. Geboren 1942 im roten Wedding, Vater gefallen, die Mutter eine verblühende Nazisse mit Operetten-Vorliebe. Das führt über Eunuchen-Witze, die er als Knabe nicht verstand, zurück zur großen Politik von heute: zu SPD-Kastraten in der Sackgasse. Zu den Grünen, die Kröten schlucken, weshalb die Tierchen so dezimiert seien. Zur AfD und zu Trump, doch dazu im zweiten Teil dann mehr. Und unvermeidlich zum Luther-Jahr: Auch er, Buchholz, sei ein Bibelforscher, denn er gehe forsch mit der Bibel um. Was er an einer Tor-Tour durch die Galerie der prophetischen Ahnen beweist.

Das muss vor der Menschwerdung bei Bananen und Affen landen, einer Vorliebe, die sie mit den Ossis teilen. Als Affen einen Stock aufhoben und zum Werkzeug machten, wurden sie Urheber. Auch die 68er-Polizisten nutzten ihn, schlugen indessen nicht Bananen herunter, sondern auf Rüben. Immer wieder nimmt Martin Buchholz die Wörter ernst, geht ihnen auf den Grund, entdeckt sprachspielerisch Verknüpfungen, die auf der Hand liegen, aber zunächst nur auf seiner. Dann jedoch teilen sie sich genussreich dem Zuhörer mit, schärfen seinen Umgang mit dem Wort. Das ist zwar nicht Lüge, wohl aber Rabulisterei, worin die Politiker wiederum unübertroffen sind.

Nach der Pause holt Buchholz im Rederausch zu heftigerem Angriff aus. Von Sebastian Brants mittelalterlicher Schrift »Das Narrenschiff« prescht er über Mark Twain und dessen Wissen um die fatal rasche Verbreitung von Unwahrheit direkt zu den Kriegen in Serbien und Vietnam, alle auf Lügen beruhend wie auch die Irak-Intervention. Dank dem rechten Sendungsbewusstsein der Intendanten habe Buchholz, als Linker damals Journalist im Funk, andauernd Sendeplätze verloren und nicht wiedergefunden. Kriege werden vergessen, Mythen bleiben, wie der von der nicht maulfaulen Lady Lewinsky und von Maria, die jeglichen Sex bestritt. Es gehe um Glauben ohne Wenn und Aber - sonst sei es schließlich Aberglauben.

Die versprochene Trump-Attacke stellt den Präsidenten als Putin-Kreatur aus Amöbe und Barbiepuppe aus, schlicht als »Das Trump«. Bei den AfD-Wählern war am Kreuz in der Kabine wohl ein Haken, jenen, die Fremde überhaben, obwohl es dort, in Sachsen, kaum welche gibt. Rundum verteilt Buchholz mit Berliner Slang seine Schelte, weist auf die 17 Millionen Wirtschaftsflüchtlinge aus dem »nahen Osten« hin, die freundlich aufgenommen worden sind. Und aufs Grundgesetz: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Also nicht zu begreifen. Spitzfindig und zungenflink laviert der gewitzt subversive Begriffsumdeuter zwischen den Zeilen, berichtet von einer Kreuzfahrt, die bewies, dass man auch außerhalb Deutschlands braun werden kann.

Nach 20 Jahren als Journalist, 35 Jahren als Kabarettist bricht Martin Buchholz nun zu neuen Ufern auf, ist in Büchern und Live-Mitschnitten indes verfügbar - und will wieder mehr schreibend der Welt ein Licht aufgehen lassen. Man wird ihn gern beim Wort nehmen.

Bis 27.1. Nächste Vorstellungen: 10. und 17. Dezember, Wühlmäuse, Pommernallee 2-4, Charlottenburg.

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