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Andere Töne aus Warschau für Brüssel
Polens neuer Premier Morawiecki auf national-konservativem Kurs, aber Streiter gegen die Isolation des Landes
Mit einer enormen Machtfülle ausgestattet ist Polens neuer Premierminister Mateusz Morawiecki. Er fungiert nach wie vor als »Superminister« für Finanzen und wirtschaftliche Entwicklung. Wie erwartet hat der Regierungschef am Mittwochmorgen die Vertrauensfrage im Sejm überstanden. Anders als erwartet setzt der neue Premier die Regierungsarbeit mit allen bisherigen Ministern fort, jedoch stünden Anfang 2018 weitere Personalwechsel an, so Morawiecki. Die vor einigen Tagen als Ministerpräsidentin abgelöste Beata Szydlo bleibt in der Regierung und kümmert sich künftig um Soziales.
Obgleich sie mit dem Posten des Vizepremiers vertröstet wurde, kam der Wechsel an der Spitze für viele Kommentatoren einer Degradierung gleich. »Aus Szydlos Sicht wäre es versöhnlicher gewesen, wenn sie Parlamentsvorsitzende geworden wäre«, glaubt Dominika Wielowieyska, Redakteurin der »Gazeta Wyborcza«. Es bleibt ungewiss, ob diese personelle Rochade einen positiven Effekt auf die Wählergunst haben wird.
Szydlo hatte mit der Umsetzung sozialer Wahlversprechen viele Anhänger gewonnen. Der Wirtschaftsfachmann Morawiecki hingegen nötigt zwar mit seiner Weltgewandtheit vielen Wählern Respekt ab, gilt aber bestimmt nicht als Personifizierung einer Partei, die sich als Schutzschild für sozial Benachteiligte darstellt. Die Skepsis bleibt, auch wenn das Gehalt des 49-jährigen Ex-Bankers beim Wechsel aus der Finanzwelt in die Politik angeblich von 70.000 auf 3000 Euro geschrumpft ist.
Auf einen gewissen Widerwillen stößt Morawiecki selbst in der eigenen Partei, der er erst vor zwei Jahren beitrat. Zwar hat er einen mächtigen Freund im Präsidentenpalast, aber in der national-konservativen Partei Recht und Gerechtigkeit (PiS) schmerzt manche noch allzu sehr, dass er einst den Amtsvorgänger und heutigen EU-Ratspräsidenten Donald Tusk in Wirtschaftsfragen beriet.
Andererseits kann Morawiecki auf ein Leben zurückblicken, das den PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski beeindruckt. Der Vater des Premiers war Mitbegründer der »Solidarnosc Walczaca«, eines besonders unversöhnlichen Flügels der antikommunistischen Widerstandsbewegung. Der junge Mateusz beteiligte sich tatkräftig an vielen Aktionen, wurde mehrmals entführt und musste gar eines Tages mit der Pistole an der Schläfe sein eigenes Grab schaufeln.
»Wenn einer schon in jungen Jahren einem solchen Druck standhält und keine Informationen preisgibt, ist er aus ganz besonderem Holz geschnitzt«, sagte Kaczynski in einem Gespräch mit dem Journalisten Piotr Gociek. Polens informeller Alleinherrscher wird sich also an Morawieckis Beratertätigkeit im Kabinett Tusk nicht stören, solange dieser die kontrovers bewerteten Reformen seiner Partei umsetzt.
Deren Notwendigkeit hat der neue Regierungschef in seiner Antrittsrede bekräftigt: Morawiecki will zwar vor allem die Wirtschaftspolitik in den Fokus rücken und die Investitionen ankurbeln, stellt sich jedoch ebenfalls hinter die umstrittenen Justizreformen, durch die viele Polen eine Einflussnahme auf die Gerichtsbarkeit befürchten.
Auch in der Flüchtlingspolitik wird er kaum von Kaczynskis Kurs abweichen. Dass Morawiecki früher auf mehreren politischen Hochzeiten tanzte, kann aus Sicht des PiS-Vorsitzenden auch zum Vorteil gereichen. Der mehrsprachige Ministerpräsident könnte in Brüssel andere Töne anschlagen, den Konflikt mit der EU entschärfen und sein Land aus der Isolation führen. Es drohen Polen bereits konkrete Gefahren, die wegen Verstößen gegen die Rechtsstaatlichkeit zum Entzug der Stimmrechte im EU-Ministerrat führen können. Zwar gilt dieser »finale Schlag« als unwahrscheinlich, weil er auch mit der Zustimmung Ungarns versetzt werden müsste, aber Morawiecki wird dennoch schwere Abwehrkämpfe führen müssen.
Für die Opposition jedoch macht der Wechsel an der Regierungsspitze auch auf internationaler Ebene keinen Unterschied. »Es ist egal, ob man in Brüssel auf polnisch oder auf englisch lügt«, meint der Fraktionschef der Bürgerplattform, Slawomir Neumann, gegenüber TVN 24. Die regierungsnahe Medienaufsicht KRRiT hat über den privaten Nachrichtensender kürzlich eine Rekordstrafe von mehr als 350.000 Euro verhängt. Wegen »eigenwilliger Berichte« über die Proteste im Dezember 2016.
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