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Moralkeulen und andere Instrumente
Zur Debatte über Raubkunst, Restitution und Mäzenatentum
Unsere medial vermittelte Öffentlichkeit ist manisch fixiert auf Betrachtungsweisen, deren Einseitigkeit verblüffend ist. Diese Eingleisigkeit erlaubt keinen Gegenverkehr. Es sei denn, wir riskieren eine verheerende Kollision. Das will zwar niemand wahrhaben. Aber wir erleben immer wieder die Nötigung, ohne Widerspruch Behauptungen von angeblich glasklar erwiesene Tatsachen zu schlucken. Wir haben schon den Schluckauf von Vokabeln, die keinen Zweifel erlauben. Unrechtsstaat oder Flüchtlingswelle etwa.
Auch der Begriff Raubkunst gehört dazu. Klingt recht bedrohlich. Dass die Nazis den absoluten Rekord in räuberischer Aktivität aufstellten, ist hinreichend erwiesen. Dass genau das nicht ohne Antwort bleiben konnte, ebenfalls. Dass Hekatomben ihnen nicht passender progressiver Kunst der Vernichtung preisgegeben gewesen wären, wenn nicht Experten Wege der Rettung gefunden hätten, müsste ebenso klar sein.
Wie ehrenhaft deren Methoden waren, steht auf einem anderen Blatt. Mit welchem Ergebnis sollte schon eher interessieren. Dass der Exponent der Galeristenfamilie Gurlitt unter den gegebenen krassen Bedingungen da eine für die Kunst selbst rettende Lösung fand, ging im Getümmel einer beispiellosen medialen Aufregung völlig verloren. Kein Wunder. Denn die ideelle Entstehung von Kunst gilt gemessen am materiellen Besitz dieser Kunst kaum etwas. Ein Schelm, wer in diesem Zusammenhang an das Urheberrecht denkt.
Plötzlich ging es nur noch um Geldbeträge. Recht und Unrecht bemaßen sich ausschließlich an vermeintlichen pekuniären Wertvorstellungen. Cornelius Gurlitt wurde stellvertretend für seinen längst verblichenen Vater Hildebrand rückwirkend krasser Benachteiligung jüdischer Bürger geziehen. Um atemberaubend hohe Summen seien diese seinerzeit geprellt worden. Die den Erben vorenthaltenen kostbaren Kunstwerke horte Cornelius Gurlitt in seiner Wohnung. Als das ruchbar wurde, waren die Obwalter der absoluten Moral zur Stelle. Damaliges, hurtig nach heute erzielbaren Renditen hochgerechnet, erschien unendlich kostbar. Die Experten für Immerschlechtmachung riefen zur Wiedergutmachung.
Ob das oder das nunmehrige Vorgehen gegen den alten Gurlitt rechtens war, ist immer noch ein Zankapfel. Die betroffene Kunst will unabhängig von Besitzer-Rangelei gesehen und bewundert werden. Die jüdischen Alt-Erwerber erlebten und begleiteten als intime Freunde von Künstlern und Kunst deren Entstehen. Oft genug waren sie - anders als die Sponsoren von heute - uneigennützig wahre Mäzene. Ihre Erben müssen nicht diese enge Beziehung dazu haben. Gewinnstreben ist legitim. Jahrzehnte sind vergangen. Diese Kunst mag ihnen nicht so viel bedeuten, wie denen, denen sie inzwischen als Museumsgut ans Herz gewachsen ist. Das hässliche Wort Restitution kennt immer nur Gewinner und Verlierer. Die Moralkeule ist ihr kunstfremder Helfer.
Nunmehr beherrscht Provenienzforschung die Szene. Wann wurde wo was gekauft? Wonach jahrzehntelang niemand gefragt hat, das soll fix ermittelt werden. Die personell schon äußerst schmerzhaft ausgedünnten Museen werden darauf fixiert, ein Besitzdenken zu bedienen, dem sie bei der üblich gewordenen Entgegennahme von üppigen Schenkungen längst entsagt haben. Geldmittel? Ein Fremdwort. Jetzt kommt die Moralkeule zum Einsatz. Es ist geradezu ehrenrührig, da Zweifel anzumelden. Die inzwischen nur schlecht als recht von ihrer Kunst Lebenden fragen, wieso das Besitzen von Kunst höher bewertet wird als das Machen von Kunst. Wenn sie das Zeitliche segnen und Erblasser werden - wieso sehen die Finanzämter plötzlich immense versteuerbare Werte in ihren Ateliers? Welch geheimnisvoller Vorgang: Was zeitlebens unverkäuflich blieb, soll post mortem nun ein Wert an sich sein?
Wobei die Absatzkrise von Kunst im breiteren privaten Sektor lediglich ein getreues Spiegelbild einer staatsoffiziellen Geringschätzung ist, die historisch ohne Beispiel ist. Gekrönte Häupter wie frühe Firmengründer, Päpste wie Reformatoren, Parteibosse wie Diktatoren, alle legten mehr Wert darauf, Kunst in Auftrag zu geben, als die Demokratie. Einige neu gebackene Potsdamer Demokraten werden nicht müde dabei, ihren vorgestrigen preußischen Selbstherrschern die Füße zu küssen und ihnen zuliebe die Gebäude zu opfern, die ihr gestriges Leben bedeuten. Die deklarierte Moral, alten Kulturbesitz wieder herstellen zu müssen, lähmt den Impuls, selbstbestimmt Heutiges zu gestalten.
Warum können sich die Schöpfer von künstlerischen Leistungen nicht dagegen wehren? Bedenkenlosen Abrissen wird - vergeblich - von jungen Leuten widersprochen. Noch lebende Erbauer aber sind so wenig gefragt, dass nun schleunigst über eine um sich greifende Anonymität zu sprechen ist. Selbst die Vollzieher der restaurativen Umgestaltung bleiben ja namenlos. Fragen Sie mal Restauratoren, wie offiziell ihre oft genug schöpferische Leistung bewertet wird! Sie wird mit einem neu eingeführten höheren Umsatzsteuersatz bestraft. Die Firmen und die Agenturen, das Management und die Geldgeber, die Kuratoren und die Besitzer sind heute die Helden der Kulturszene. Bis in die Medien hinein ist die aktuelle Bildkunst unterbelichtet: Bücher und Zeitschriften, Kalender und Plakatwände sind davon weitgehend entblößt. Jeder schauspielerisch Tätige hat mehr Publicity.
Potsdam, Landeshauptstadt mit bisher deutlicher Präsenz der Linken, stimmt ab. Die Vernunft und die Kultur - sie müssen sich oft genug pseudodemokratischen Mehrheiten beugen. Das ist das Traurigste: Der heute vollzogene Raubbau an kulturellen Errungenschaften wird auf dem Weg durch die Parlamente abgesegnet. Alles wird lupenrein demokratisch durchgezogen: Dresdens Bevorzugung leitender Museumsleute von sonst wo. Leipzigs Unfähigkeit, seinen Stadtraum künstlerisch zu gestalten. Rostocks rabiate Theatersparpolitik. Schwerins Hörigkeit dem Bildkünstler Uecker gegenüber: Dem hier geborenen Abgewanderten wird mit einem Museumsanbau und der Benennung der Landesbibliothek wie einem Fürsten gehuldigt. Die Moralkeule schlägt zu: Wiedergutmachung.
Man sehe sich die neuen Bundesländer genauer an. Da entstand einmal die Kunst, die in einem bemerkenswerten Ausschnitt jetzt im Barberini Potsdam wieder die Gemüter bewegt. In dem Gebäude, dessen zweckmäßige Abmessungen das nachempfunden antiquierte Äußere akzeptabel machen, ist sie durchaus gut aufgehoben. Kunstbesitzer Hasso Plattner als Initiator ist eben nach den längst verblichenen Herren Ludwig und Seiz leider eine Ausnahmefigur. Man - und das betrifft Ost- und Westmenschen gemeinsam - sollte allerdings die Chance wahrnehmen, das Drumherum ernst zu nehmen. Bis in die offiziell inspirierten Palastbilder hinein kommt eine auf den Menschen bezogene Kunst zum Ausdruck. Ganz persönlich jeweils die Handschrift und der Ausdruck und die Botschaft. Merkwürdig, wie viel davon bereits abgemeldet war. Kein besitzfördernder Marktwert. Wie moralisch.
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