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»Man sieht eine Art Angst vorm Volk«

Niesco Dubbelboer, Experte für direkte Demokratie, im Gespräch über die Sorge vor Missbrauch von Volksabstimmungen durch Populisten und die Angst der neuen Regierung

  • Lesedauer: 4 Min.

Schon 2005 haben Sie mit zwei anderen Abgeordneten den Gesetzentwurf eingereicht, auf dem der 2015 eingeführte Referendumsmechanismus beruht. Heute, nur zwei Jahre später, will die Regierung das Referendumgesetz wieder loswerden. Wird sie dafür genug Unterstützung bekommen?
Ja, das glaube ich schon. Es ist jetzt ein Kabinett an die Macht gekommen mit dem Ziel, Referenden abzuschaffen. Dafür haben sie eine knappe Mehrheit von drei bis vier Sitzen. Aber jetzt wird es spannend, ob der Raad van Staate (ein niederländisches Verfassungsorgan, AdR) diese Gesetzesänderung referendabel macht. Dann starten wir ein Referendum und lassen die Bürger abstimmen darüber, ob sie in Zukunft weiter Referenden haben wollen.

In der Regierungskoalition sitzt auch die liberale Partei D66. Direkte Demokratie war lange einer ihrer wichtigsten Standpunkte. Wieso hat D66 in Bezug auf das Referendum eine politische Kehrtwende vollzogen?
Das fragen wir uns alle. Seit den 1980er Jahren ist D66 für Referenden eingetreten. Aber nach dem Ukraine-Referendum reagierten sie erschrocken. Die Anti-Europa Stimmung, die hieraus hervorging, hat ihnen missfallen. Also haben sie in ihr Parteiprogramm aufgenommen, dass internationale Abkommen von Referenden ausgeschlossen werden sollen. Jetzt regieren sie mit drei Parteien, die alle gegen Volksabstimmungen sind. Als sie in Regierungsverhandlungen traten, sind sie ganz schnell eingeknickt. Das ist natürlich skandalös.

Zur Person
Niesco Dubbelboer ist Koordinator der NGO Meer Democratie und setzte sich von 2003 bis 2006 als Parlamentsabgeordneter der Sozialdemokratischen PvdA für direkte Demokratie in den Niederlanden ein. Im Interview mit »nd« erklärt er, wieso das 2015 erst eingeführte Referendumsgesetz jetzt schon wieder abgeschafft werden soll. Mit ihm sprach May Naomi Blank.

Was hat sich nach dem Ukraine-Referendum verändert?
Man sieht eine Art Angst vorm Volk. Auch nach dem Brexit war das so, was natürlich ein spezielles Referendum war, weil es von David Cameron selbst initiiert und organisiert wurde. Und selbst die Wahl von Trump wird in diesen Kontext gestellt. Nach dem Motto: Das Volk weiß nicht, was es will. Wenn man ihm zu viel Macht gibt, dann läuft es schief. Kurzum: Eine Demophobie.

Gegner von Volksentscheiden argumentieren, dass Populisten diesen Mechanismus missbrauchen können, um Xenophobie und Hass zu schüren. Muss man diese Bedenken nicht ernst nehmen?
Natürlich. Absolut. Aber das ist auch ein Einwand, den man gegen Wahlen bringen könnte. Natürlich können Volksentscheide frustrierten, machtlosen Wählern ein Ventil bieten, aber das gilt auch für das Demonstrationsrecht, das Versammlungsrecht und Parlamentswahlen. Gleichzeitig können Referenden auch einen friedensstiftenden Effekt haben. Wenn die Politik Beschlüsse fällt, die gegen den Willen der Bevölkerung sind, dann finde ich es sehr gesund, wenn der Bürger die Möglichkeit kriegt, die Politik zu korrigieren. Ja, und dann kann es auch passieren, dass der Bürger sagt: Wir wollen weniger Migration. Aber was jetzt passiert, ist, dass extreme Parteien es enorm einfach für sich nutzen können, dass die Bevölkerung in diesem Punkt kein Mitspracherecht hatte. Wenn die Politik sich korrigieren lässt, ist das viel weniger gegeben.

Im Frühjahr steht das Sleepwet-Referendum an, bei dem es um die Befugnisse des Sicherheitsdienstes und Datenschutz geht. Was für einen Einfluss könnte dies auf die Diskussion über die Zukunft des Volksentscheids haben?
Ich glaube, dass mit dem Sleepwet- Referendum eine neue Dynamik entstehen wird, weil es wirklich um die Situation in den Niederlanden geht. Außerdem steckt in dem Referendum auch die Frage: Wie viel Privatsphäre möchte ich aufgeben, um mehr Sicherheit zu kriegen? Das ist ein großartiges Thema für gesellschaftliche Diskussionen. Und drittens zeigt sich in dem Referendum genau das, was ich als Initiativnehmer des Gesetzes gehofft hatte, nämlich dass Menschen sich organisieren, um ein Referendum auf die Beine zu stellen. Das sind fünf Studenten, die alle 19 bis 20 Jahre alt sind. Ich bewundere es, dass sie das hingekriegt haben!

Wie schätzen Sie die Chancen ein, dass das nicht-bindende Referendum gerettet werden kann?
50 zu 50. Wir haben drei Möglichkeiten, mit denen wir den Prozess beeinflussen wollen. Der erste Weg ist juristisch, indem wir prüfen, ob die Abschaffung des Referendums selbst referendabel ist. Der zweite Kanal ist die öffentliche Meinung, indem wir die Diskussion angehen und immer wieder darauf hinweisen, wie schlecht eine Abschaffung wäre. Der dritte ist Lobbyarbeit. Mit Parlamentariern reden und sie davon überzeugen, wieso sie nicht zustimmen sollten.

Schließlich habe ich noch eine persönliche Frage. Sie arbeiten schon seit den 1990er Jahren am Thema Demokratisierung - inner- und außerhalb des Parlamentes. Was ist Ihre persönliche Motivation?
Das ist eigentlich ganz einfach. Ich konnte noch nie Leute ausstehen, die anderen Menschen vorschreiben wollen, was gut für sie ist - und die findet man viel in der Politik. Das ist ein ganz tiefes Gefühl. Ich denke immer: Hallo, gebt Menschen doch einfach ein bisschen mehr Mitspracherecht bei dem, was über sie beschlossen wird.

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