Ein Schneeberger zieht vom Leder

Im Erzgebirge hat die Handschuhmacherei Tradition, doch heute ist Nils Bergauer einer der Letzten dieser Zunft

  • Steffi Schweizer, Schneeberg
  • Lesedauer: 3 Min.

Die weißhaarige Dame hat vom Handschuhmacher in der Zeitung gelesen, die Fahrt mit dem Bus auf sich genommen und steht nun vor der Tür der Werkstatt im sächsischen Schneeberg - außerhalb der Öffnungszeit. Doch Nils Bergauer unterbricht seine Arbeit, hört zu und erklärt die Ledereigenschaften von Lamm, Hirsch oder Peccary, die möglichen Varianten für das Innenfutter aus Web- oder echtem, angewachsenem Pelz - und dass er eigentlich zwei Handschuhe fertigt, die später einen einzigen geschmeidigen, haltbaren ergeben.

Die Preise für ein Paar made in Schneeberg liegen zwischen 80 und 270 Euro. Dennoch stellt der junge Handwerker fest, dass zunehmend mehr Kunden seine Arbeit in dieser Qualität schätzen. Nicht nur der modebewusste Cabriofahrer aus Dresden, auch der örtliche Klempnermeister und eben die Rentnerin aus dem Nachbarort. Der 34-Jährige betreibt seine wie aus der Zeit gefallene Manufaktur seit 2012 mitten im Zentrum Schneebergs. Ein neuer Magnet in der kleinen Barockstadt im Erzgebirge.

In der Region von Johanngeorgenstadt, an der Grenze zu Tschechien, wo Bergauer aufgewachsen ist, wurden lange schon Handschuhe hergestellt. Hier liegen die Wurzeln des Handschuhmachers, Ur-Ur-Großvater August Bergauer 1876 legte den Grundstein. Doch Ur-Großvater Alfred blieb 1944 im Krieg und sein Sohn Karl-Heinz ging in den Bergbau, wo es mehr Geld zu verdienen gab. Die Frauen der Familie übernahmen das Zepter. Großmutter Doris arbeitete bis zur Wende im Volkseigenen Betrieb »Eleganta« in Johanngeorgenstadt, wo jährlich drei Millionen Paar genäht wurden - vom Herrenhandschuh bis zum exklusiven Damen-Abendhandschuh. Nachdem sich 1991 die Tore des Großbetriebes schlossen, gab es nur noch Wenige, die vom Ausziehen und Schneiden des Leders über das Schlagen einer Ziernaht bis zum Bügeln des Handschuhs dieses Handwerk komplett beherrschten. Frank Zahor war einer von ihnen. Die Großmutter nähte für ihn in Heimarbeit. »Dort hab ich mich umgeschaut«, sagt Bergauer, »ihm Löcher in den Bauch gefragt…« So erlernte er ab dem 15. Lebensjahr - sozusagen nebenher und nahezu absichtslos - das Handwerk eines Handschuhmachers. Nach der Schule, an den Wochenenden, in den Ferien.

Nach dem Abitur studierte Bergauer und arbeitete als Fotograf. Dann spielte der Zufall Schicksal. Mitten im Weihnachtsgeschäft wurde Meister Zahor krank und rief Bergauer zu Hilfe. Der war der Einzige, dem er alles beigebracht hatte. Und so begann es. »Natürlich ein Wagnis! Aber ich dachte, ich fang an, es wird wachsen.« Und es wuchs. Nahezu jede Anfertigung erfolgt nach individuellen Wünschen, so entstehen Unikate. Sie bestechen als Klassiker in gedeckten Farben mit zeitloser Eleganz oder als peppiges Modeaccessoire mit auffälligem Schick: Biesen, aufgesetzte Ziernähte, Paspeln, knallige Punkte auf dunklem Grund, echte Schneeberger Klöppelspitze, lederbezogene Druckknöpfe. Aktuell liegen rote Stulpenhandschuhe und karierte Schleifchen im Trend. Als Evergreens bei den Damen gelten die Farben Rot und Schwarz, bei den Herren Blau und Cognac.

Für eine Show des Berliner Revuetheaters »Friedrichstadtpalast« fertigte die Manufaktur 30 Paar in Latex. Das Historische Museum Dresden orderte für seine »Rüstkammer«. Und obwohl die Deutschen wohl als Modemuffel gelten, gibt es unter seinen Kunden bereits Wiederholungstäter. Bergauer strahlt: »Dann weiß ich, auch an Tagen, an denen die Maschine mal nicht so näht, wie ich es will, dass ich den richtigen Beruf habe.« Übrigens einen, den man hierzulande offiziell nicht mehr erlernen kann: Er wurde vor Jahren schon als Lehrberuf und aus der Handwerksrolle gestrichen. Und es gibt nur noch etwa fünf Handschuhmacher in Deutschland, die einen Lederhandschuh komplett selbst fertigen können.

Der Handschuhmacher Bergauer empfängt Besucher in seiner Werkstatt am Fürstenplatz 6 in 08289 Schneeberg/Erzgebirge. Bisweilen stellt er seine Arbeit auch außerhalb vor, so vom 5. bis 7. Januar auf der Messe room+style in Dresden. Mehr Informationen: www.lederhandschuh-manufaktur.de

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