G20-Klage: Polizisten konnten sich absprechen

Beamte berichten von Ordnern mit Vernehmungsprotokollen / Kritik an Öffentlichkeitsfahndung

  • Sebastian Bähr
  • Lesedauer: 3 Min.

Vor einem Prozess gegen einen G20-Protestierer konnten Polizisten gegenseitig ihre Zeugenaussagen und Vernehmungsprotokolle lesen. Dies hatte der Außerparlamentarische Untersuchungsausschuss, eine Initiative zivilgesellschaftlicher und linker Gruppen aus Hamburg, am Dienstag öffentlich gemacht. Polizisten berichteten laut Prozessbeobachtern in einem Verfahren gegen den wegen Flaschenwürfen angeklagten Konstantin P. von den Protokollen.

Nach Angaben der Initiative sei demnach mitgeteilt worden, dass in der Dienststelle einer Beweissicherungs- und Festnahme-Einheit in Hessen ein Aktenordner existiert, in dem Vernehmungsprotokolle und Zeugenaussagen von vor Gericht geladenen Beamten gesammelt und anderen Beamten zugänglich gemacht werden. Ein Polizist habe zudem einen eigenen Ordner mit Vernehmungsprotokollen angelegt und herumgereicht, ein weiter Beamter dazu seine Protokolle beigesteuert. Laut dem Außerparlamentarischen Untersuchungsausschuss händigte das LKA Hamburg den Beamten ihre Vernehmungsprotokolle direkt aus.

Der Hamburger Gerichtssprecher Kai Wantzen bestätigte gegenüber »nd«, dass es gemäß der Zeugenaussagen einen »Sachbearbeitungsordner« geben soll, zu dem aber lediglich der Dienststellenleiter Zugang habe. Polizisten hätten hier auch nur eigene Vernehmungsprotokolle lesen können. Wantzen bestätigte weiter, dass von einem »Schnellhefter« berichtet wurde, den Polizisten an Kollegen weiterreichten. »Das Gericht wird zu beurteilen haben, ob und welche Bedeutung es hat, dass Polizeizeugen Zugang zu den Protokollen über die Vernehmung anderer Zeugen hatten«, so der Sprecher. Zugriff auf Gerichtsprotokolle hätte die Polizei »selbstverständlich« nicht. Der Republikanische Anwältinnen- und Anwälteverein kritisierte das Vorgehen scharf: »Polizeizeugen sprechen sich ab, werden gecoacht und als Zeugen 1. Klasse behandelt.«

Im Falle der umstrittenen Öffentlichkeitsfahndung nach G20-Protestierern zeigten sich wiederum überraschende Ergebnisse. Einer der »gesuchten Straftäter«, wie es zeitweise auf der Webseite der Innenbehörde hieß, entpuppte sich als rechter Blogger namens »Orwellzeit«. Dieser hatte bereits im Juli öffentlich berichtet, während der Plünderungen im Schanzenviertel vor Ort gewesen zu sein und entsprechendes Videomaterial zu besitzen. »Der Fall zeigt, welche Unwägbarkeiten eine solche massenhafte öffentliche Fahndung mit sich bringen kann«, bemerkte der Journalist Patrick Gensing.

Die Kritik an der Fahndung weitete sich indes aus. »Der größte Teil der veröffentlichten Videos der Polizei dürfte mit Strafverfolgung tatsächlich nichts zu tun haben«, erklärte Philipp Krüger von Amnesty International am Mittwoch. Auch der Satiriker Jan Böhmermann stellte das Vorgehen der Beamten in Frage: »Hoffentlich täuscht der Eindruck, dass die unseriöse Fahndung politisch statt strafrechtlich motiviert ist.«

Aufgrund der »Bild«-Titelseite mit dem Foto einer Frau und der Überschrift »Polizei sucht diese KrawallBarbie« gingen bis zum Dienstagabend alleine fünf Beschwerden beim Deutschen Presserat ein. Die LINKE-Bundestagsabgeordnete Sabine Leidig warnte vor den Reaktionen auf die »von der Polizei losgetretene« Kampagne: »Linkenhass mischt sich mit Vergewaltigungs- und Vergasungsfantasien.«

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