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Zeit für die Bescherung
Wie der stolze Sachse Richard Freitag zur Nummer eins der Skisprungwelt geworden ist
Beschert hat sich Richard Freitag mit drei Weltcupsiegen in diesem Winter schon selbst, Weihnachten kann also kommen. Trotzdem denkt die neue Nummer eins der Skisprungwelt schon an die Zeit nach den Feiertagen: »Fühlt sich gut an, mit dem gelben Trikot zur Vierschanzentournee zu fahren.« Freitag ist spätestens nach seinem Triumph bei der Tournee-Generalprobe in Engelberg Favorit auf den Sieg beim Skisprung-Grand-Slam. Den letzten deutschen Gesamtsieg gab es vor 16 Jahren durch Sven Hannawald, der 2001/2002 als bislang einziger Springer der Tourneegeschichte alle vier Springen gewinnen konnte.
Freitag ist in Erlabrunn im gleichen Krankenhaus wie Hannawald und Jens Weißflog - mit vier Tourneesiegen deutscher Rekordhalter - geboren. Natürlich wäre es eine tolle Geschichte, wenn der Sachse diese spezielle Tradition fortsetzen könnte. Ein Selbstläufer ist das für den 26-Jährigen nach der besten Weltcupphase seiner Karriere aber nicht. »Es gibt keine Garantie dafür, wenn du vorher gut bist, dass es bei der Tournee dann auch klappt«, sagt er: »Ich bin ja schon mal mit einem Weltcupsieg in Engelberg zur Tournee gefahren.«
2014 war das und am Ende landete Freitag in der Gesamtwertung »nur« auf Platz sechs. Allerdings gelang ihm bei jener Auflage in Innsbruck der erste deutsche Tourneeeinzelsieg seit zwölf Jahren. »Richie kann alle vier Schanzen bei der Tournee, er war in den letzten sechs Jahren fünf Mal unter ersten Zehn der Gesamtwertung«, sagt Bundestrainer Werner Schuster und fügt hinzu: »Jetzt kommt die nächste Herausforderung: Er hat bis zur Tournee viel Zeit zum Nachdenken.« Das Kopfkino wird bis zur Qualifikation von Oberstdorf am 29. Dezember auf Hochtouren bei Freitag laufen. Beim Tourneeauftakt werden insgesamt 40 000 Zuschauer erwartet. »Das hatten wir noch nie. Das wird ein Hammer«, freut sich der Oberstdorfer Skiclub-Präsident Peter Kruijer und redet von einem »regelrechten Hype« um die deutschen Flieger mit Richard Freitag an der Spitze.
Der neue Überflieger wirkt trotzdem so, als könnte er mit dem ungewohnten Erfolgsdruck umgehen. »Viele sagen in einer solchen Situation immer Allgemeinplätze wie: ›Ich will Spaß haben‹. Aber Richard ist total authentisch und hat enorm an Reife und Stabilität gewonnen«, so Schuster. Das hängt wohl auch damit zusammen, dass Freitag in seiner Karriere schon viele Enttäuschungen erlebt hat. 2014 zum Beispiel musste er in Sotschi zuschauen, wie vier deutsche Teamkollegen Olympiasieger wurden. Auch bei der Weltmeisterschaft im vergangenen Winter stand Freitag nicht im deutschen Team, das sich Mixed-Gold holte. All diese Tiefschläge haben ihn nicht aus der Bahn geworfen, deshalb hebt er auch nicht ab, obwohl er als erster Deutscher seit Martin Schmitt (1999) als Weltcupführender zur Tournee fährt.
»Ich freue mich auf die Tournee genau wie all die Fans«, sagt Freitag. Beim Auftaktspringen in Oberstdorf wird er erstmals als »Local Hero« angekündigt werden. Denn Freitag ist im vergangenen Sommer gemeinsam mit seiner ebenfalls fliegerisch hochtalentierten Schwester Selina in die Marktgemeinde umgezogen. »Ich wohne zwar im Allgäu, bleibe aber ein Erzgebirgler«, sagt der stolze Sache: »Scheinbar war der Umzug aber ein Schritt, der richtig war.« Freitag trainiert jetzt bei Christian Winkler, der auch für die perfekte Materialabstimmung im deutschen Team zuständig ist. Der Umzug spart ihm zudem die Anreise zu den Trainingslehrgängen in Oberstdorf.
Der neue Lebensmittelpunkt ist aber nur ein kleiner Mosaikstein für den neuen Höhenflug von Freitag, der mit seinem Schnauzbart auch das Outfit geändert hat. Er hat über die Jahre seine Sprungtechnik enorm weiterentwickelt und ist jetzt ein Topmann für alle Schanzen. »Sprunggewaltig war er ja schon immer. Aber jetzt schafft es er es auch, viel mehr Geschwindigkeit in den Sprung mitzunehmen«, sagt Schuster. Das ist auch ein Verdienst des norwegischen Co-Trainers Roar Ljökelsoy. Der einstige Skiflug-Weltmeister ist im deutschen Nationalteam für Freitag zuständig. Ljökelsoys Devise ist: »Stay relaxed, stay offensive« (»Bleib entspannt, bleib angriffslustig.«).
Dieses Motto gilt für das ganze deutsche Team - das stärkste seit der Glanzzeit von Sven Hannawald und Martin Schmitt. Andreas Wellinger ist hinter Freitag Gesamtweltcupzweiter, Markus Eisenbichler wurde beim letzten Springen in Engelberg Fünfter. Schuster: »Alle diese Sportler haben sich bei der Tournee schon die Hörner abgestoßen. Wir haben einen tollen Teamspirit und eine geniale Ausgangsposition - die wollen wir ausnutzen und angreifen. Irgendwann ist die Zeit der Ausreden auch mal vorbei.« Und Zeit für die Bescherung.
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