Die Nacht der langen Gesichter
Im Lüneburger Glockenhaus werden Weihnachtsgaben auch diesmal versteigert
Die Frau hat ein Schokofondue unterm Arm. Es wäre ihr viertes gewesen. Der Mann bringt ein Teeservice, das in der Familie von Kaffeetrinkern keiner braucht. Bei der »Nacht der langen Gesichter« können Besucher im Lüneburger Glockenhaus Weihnachtsgeschenke versteigern lassen, die nicht so ganz den Geschmack getroffen haben. Die wenigsten hätten ein schlechtes Gewissen dabei, kurz nach dem Fest Gaben zu Geld zu machen, sagt Sabine Thümer-Bauereiß von der Stiftung Medien- und Onlinesucht, die am 28. Dezember zum fünften Mal die Versteigerung in der niedersächsischen Hansestadt organisiert.
»Die Menschen kommen selbstbewusst. Sie sind froh, etwas loszuwerden und damit noch den guten Zweck zu unterstützen«, sagt Thümer-Bauereiß. Sie hat die Idee aus Nürnberg mit in den Norden gebracht, wo der »Markt der langen G’sichter« nach 20 Jahren schon Kultcharakter hat. Im Norden wie im Süden geht ein Teil des Erlöses an soziale Projekte wie die Lüneburger Stiftung, deren Projekte Medienkompetenz fördern.
Im niedersächsischen Celle korrigiert der Weihnachtsmann bei einer Tauschbörse persönlich schon am zweiten Weihnachtstag seine Irrgriffe. Die Aktion vor dem Alten Rathaus ziehe viele Schaulustige an, sagt Marcus Feuerstein von der Tourismus und Marketing-Gesellschaft der Stadt: »Ein Riesenhappening.« Nicht geliebte Geschenke liegen dann auf einem Tisch, wie Feuerstein beschreibt. Und der Herr im Weihnachtsmannkostüm handelt aus: Wer nimmt das Cocktail-Besteck und will vielleicht lieber den selbst gestrickten Schal? »Im besten Fall gehen beide glücklich nach Hause.«
Tauschbörsen florieren auch im Internet. Im Einzelhandel sinkt laut Handelsverband Deutschland allerdings die Umtauschquote. Wenn nach Weihnachten dennoch die Geschäfte voll sind, liegt das auch daran, dass Gutscheine eingelöst werden. Einer Verbandsumfrage zufolge gab jeder zweite von mehr als 56 000 Verbrauchern an, Weihnachten gerne Gutscheine zu verschenken, sagt der Pressesprecher. Auch deshalb würden nicht einmal mehr fünf Prozent der Geschenke umgetauscht. Eine Ausnahme seien Spielwaren. »Bei Kindern möchte jeder die leuchtenden Augen beim Geschenke-Auspacken erleben. So entsteht aber auch eine größere Zahl an Fehlkäufen.«
Doch selbst ein ungeliebtes Geschenk kann noch Gutes bewirken. So ruft die Hilfsorganisation »Oxfam Deutschland« in der Weihnachtszeit in manchen Regionen dazu auf, die Präsente wie Kleidung, Haushaltswaren oder Bücher in einem ihrer Shops abzugeben. Dort verkaufen Ehrenamtliche die Spenden zugunsten von Projekten der Entwicklungsorganisation. Nach den Festtagen steige der Spendeneingang, sagt Oxfam-Fachreferent Dirk Horn. Das liegt nicht nur an den Geschenken: »Zwischen den Jahren nutzen Menschen oft auch die Gelegenheit zum Ausmisten.«
In Lüneburg bekommt die Stiftung Medien und Onlinesucht in diesem Jahr 25 Prozent aus dem Erlös der Versteigerung. Den Auktionator gibt der Ruhestandpastor Bernd Werner. Nicht nur Verkäufer und diejenigen, die den Zuschlag erhielten, hätten Spaß an der Aktion, sagt er: Ein Künstler setzt auf der Bühne letzte Pinselstriche auf ein Bild, das ebenfalls unter den Hammer kommt. Ein örtlicher Händler spendet Wein, ein Bäcker Brezeln. Und wenn Skurriles wie ein altes Schifferklavier oder ein Elvis-Kochbuch feilgeboten wird, hat das sogar Unterhaltungswert. epd/nd
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