Für einen Rabbi ist die Gemeinde zu klein
In Rangun gibt es heute 20 Juden und eine prachtvolle Synagoge
Die Straße 26 in Rangun sollte man gesehen, erlebt, gerochen haben. Die Enge ist ein orientalisches Gewusel, wie es im Buche steht. An Ständen bieten Händler Obst, Gemüse, Fleisch, Reis und Gewürze feil. Dazwischen drängen sich Fußgänger, Lastenträger schleppen säckeweise Nachschub an, Autos quetschen sich durch das Gewühl.
An der Ecke 26. Straße, Maha- Bandula-Straße hängt an einer Hauswand ein blaues Schild, auf dem ein weißer Pfeil die Richtung zu einer im zu 90 Prozent buddhistischen Myanmar unerwarteten Sehenswürdigkeit weist: eine Synagoge. Die jüdische Gemeinde in Rangun ist sehr klein. »Wir sind 20 Juden«, erzählt Sammy Samuels. »Wir sind Nachfahren von Juden aus Irak, die Mitte des 19. Jahrhunderts als Händler nach Birma kamen.«
Samuels ist Direktor des familieneigenen Reisebüros Myanmar Shalom Travels. Zwischen den vielen geschäftlichen Terminen fungiert der 36-Jährige als Führer von Besuchergruppen durch die Musmeah-Yeshua-Synagoge. An diesem Tag ist eine birmanische Schulklasse zu Gast. Samuels, mit einer Kippa auf dem Kopf, erzählt von Sitten und Gebräuchen der Juden. Einen Rabbi gebe es allerdings nicht. Dafür sei die Gemeinde zu klein. Aber zu hohen Feiertagen werde ein Rabbiner aus Australien oder den USA eingeflogen.
Einstmals umfasste die jüdische Gemeinde von Rangun mehr als 3000 Mitglieder. Damit war es 1943 vorbei. Die Japaner besetzten Birma, die Juden flohen über Indien nach Israel. »Wegen unserer Nähe zu den Engländern haben uns die Japaner verfolgt«, erzählt Samuels. Von diesem Aderlass habe sich die jüdische Gemeinde in Rangun nie erholt. Heute sei die Gemeinde eben klein, »aber einzigartig«, sagt Samuels. Dieses Selbstvertrauen hat der jungenhaft wirkende Samuels von seinem Vater. »Als Kind habe ich die großen religiösen Feste der Buddhisten, Muslime, Hindus und Christen mit einem gewissen Neid gesehen. Mein Vater sagte mir: ›Zahlen sind nicht wichtig.‹«
Daran musste Samuels dieser Tage wieder denken, als Papst Franziskus in Myanmar zu Besuch war, einem Land im schwierigen und komplexen Übergang von Jahrzehnten Militärdiktatur zu einer demokratischen Gesellschaft. Die Armee spielt Dank ihrer in der Verfassung garantierten Privilegien noch immer die dominierende politische Rolle. Im Kampf um die Macht instrumentalisiert sie mithilfe willfähriger buddhistischer Mönche den Buddhismus als politisches Werkzeug.
Samuels, der als Vertreter der jüdischen Gemeinde bei dem Treffen des Papstes mit den Vertretern der Religionen Myanmars dabei war, erzählt: »Ich habe dem Papst gesagt, dass in meiner Kindheit die Religionen in Myanmar friedlich zusammenlebten. Heute ist Religion zu einem sehr heiklen Thema geworden.« Dann berichtet Samuels den Schülern mehr von seiner Begegnung mit Franziskus: »Der Papst hat über die Religionen gesagt: ›Wir sind unterschiedlich. Aber wir sollten vor diesen Unterschieden keine Angst haben, sondern stolz darauf sein. Um diesen Unterschied zu erleben, seid ihr heute hier.‹«
Die Synagoge liegt mitten im muslimischen Viertel von Rangun. In trauter Nachbarschaft finden sich neben Moscheen die goldene Sule-Pagode, katholische und protestantische Kirchen sowie hinduistische Tempel. »Das ist doch ein wunderbares Beispiel für das harmonische Zusammenleben der Religionen«, findet Samuels. Er räumt aber auch ein, dass die Situation außerhalb Ranguns »eine andere Sache ist«.
Die Armee hat seit August über 630 000 muslimische Rohingya nach Bangladesch vertrieben und erhält dafür innerhalb von Myanmar viel Beifall. Weltweit wird dem Land jedoch »ethnische Säuberung« vorgeworfen. Selbst von Israel, das nach den Menschenrechtsverletzungen an den Rohingya seine Waffengeschäfte mit Myanmar suspendiert hat.
Myanmar und Israel pflegen seit mehr als 60 Jahren diplomatische Beziehungen, wie historische Fotos in der Synagoge zeigen. Als erstes südostasiatisches Land erkannte das damalige Birma Israel als Staat an. Premierminister U Nu besuchte 1955 Israel. 1961 kam Israels Regierungschef Ben Gurion nach Rangun und widmete sich während seines zweiwöchigen Aufenthalts auch Buddhismusstudien.
In den vergangenen Jahren hatte die jüdische Gemeinde Vertreter aller Religionen zu Chanukka - dem jüdischen Lichterfest - in die Synagoge eingeladen. Daraus wurde in diesem Jahr nichts. Nicht etwa wegen der Anerkennung Jerusalems als Hauptstadt Israels durch die USA, sondern weil Samuels auf Geschäftsreise ist. »Jerusalem hat überhaupt keine Auswirkungen auf die Synagoge«, schrieb Samuels in einer E-Mail. »Ich bin mir sogar sicher, wenn wir wieder zu Chanukka eingeladen hätten, hätten die Muslime nicht abgesagt.«
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