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- Journalismus und der Fall Kandel
Warum manche Medien nur zögerlich über Kandel berichtet haben
Zur Bedeutung von Pressekodex, Diskriminierung und Unschuldsvermutung bei der Berichterstattung über Straftaten
Muss bei jeder Straftat die Nationalität der Täter genannt werden? Die AfD und ihr politisch nahestehende Vereinigungen fordern das ausdrücklich bei jedem Verbrechen, bei dem der Täter oder die Täterin nicht deutschstämmig ist, wie aktuell bei dem Mord vor einer Drogerie in der pfälzischen Stadt Kandel. Aber ist das überhaupt von Bedeutung, damit die Tat als solche von den Lesern und Zuschauern richtig eingeordnet werden kann?
Die Fraktionsvorsitzende der AfD, Alice Weidel, spricht in ihren Twitterkommentaren über die Berichterstattung zum Fall Kandel von »einer medialen Schieflage«, die »mitverantwortlich für die immer stärker werdende Spaltung im Land ist«. Im Gegensatz dazu sehen sich die deutschen Medien einem Kodex verpflichtet, der in seinen Grundsätzen die Persönlichkeits-, Grund- und Menschenrechte derer schützen soll, über die sie berichten.
Die Tagesschau hatte nach dem Mord in Kandel die Nationalität des 15-jährigen mutmaßlichen Täters nicht genannt. Damit hielt sie sich an den Pressekodex, der offiziell als »Richtlinien für die publizistische Arbeit« bezeichnet und vom deutschen Presserat herausgegeben wird.
Verleger- und Journalistenverbände sowie Mediengewerkschaften haben den Presserat 1956 nach dem Vorbild des britischen »Press Councils« geschaffen, er ist seitdem ununterbrochen aktiv. Der Presserat hat sich mit Beschwerden, Anfragen, Gesetzesvorhaben und Ereignissen befasst, die mit Blick auf die Pressefreiheit und das Ansehen der Medien im Allgemeinen von grundsätzlicher Bedeutung sind. Er hat sich dazu öffentlich geäußert und wenn nötig Rügen an einzelne Medien ausgesprochen.
Wichtigster Punkt im Zusammenhang mit Gewaltverbrechen wie in Kandel ist die »Richtlinie 12.1 – Berichterstattung über Straftaten«. Dort heißt es: »In der Berichterstattung über Straftaten ist darauf zu achten, dass die Erwähnung der Zugehörigkeit der Verdächtigen oder Täter zu ethnischen, religiösen oder anderen Minderheiten nicht zu einer diskriminierenden Verallgemeinerung individuellen Fehlverhaltens führt. Die Zugehörigkeit soll in der Regel nicht erwähnt werden, es sei denn, es besteht ein begründetes öffentliches Interesse. Besonders ist zu beachten, dass die Erwähnung Vorurteile gegenüber Minderheiten schüren könnte.«
Was nun das begründete öffentliche Interesse ist, liegt in der Verantwortung der Journalisten und Redaktionen und wird von rechten Medien wie der »Jungen Freiheit« anders gesehen als von der Mehrheit, die sich dem Pressekodex und der damit verbundenen Berufsethik verpflichtet fühlt.
Der Pressekodex enthält außerdem eine Reihe weiterer Richtlinien, die »die publizistischen Grundsätze konkretisieren«, wie es dort in der Präambel steht. Die Ziffer 1 fordert unter anderem die »Wahrung der Menschenwürde«, getreu dem Artikel 1 des Grundgesetzes: »Die Würde des Menschen ist unantastbar.« Weitere Punkte sind beispielsweise die Sorgfaltspflicht bei der Recherche, das Berufsgeheimnis von Journalisten und die Unschuldsvermutung für mutmaßliche Täter, die so lange gilt, bis Ermittlungen und Gerichtsverfahren abgeschlossen sind.
Verhängen kann der Presserat verschiedene Strafen, die härteste davon ist eine Rüge, die nach Richtlinie 16 des Pressekodexes von den betroffenen Medien veröffentlicht werden sollte. Weniger drastische Maßnahmen sind Missbilligung und Hinweis. Im Jahr 2017 hat der Presserat 17 Rügen ausgesprochen, die meisten davon gegen »Bravo« und »Bild«. Wegen Verletzung der Richtlinie 12 zur Berichterstattung über Straftaten im selben Jahr wurde allerdings nur eine Zeitung gerügt: die »Frankfurter Allgemeine Zeitung«.
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