• Kultur
  • Sonderausstellung zum Reformationsjubiläum

Das Gesicht in allen Dingen

Eine Sonderausstellung zum Reformationsjubiläum: Ernst Barlach und Jorge Rando - Mystiker der Moderne

  • Stefan Amzoll
  • Lesedauer: 5 Min.

Eine Weltfigur, umfassend gewürdigt ob seiner figürlichen Universalien, zusammen mit dem kühnen, ausdrucksgewaltigen Jorge Rando, das überrascht schon. Leinwand und Metall dichotomisch in eins gesetzt. Groß versus klein. Jetztwelt versus erstes Drittel des 20. Jahrhunderts. Der Dialog zwischen scheinbar Unvereinbarem markiert die Kultur dieser Ausstellung.

Kaum hat man erste Schritte getan, begegnet einem eine großformatige, farbkräftig hingeworfene »Landschaft« (2007) des spanischen Malers und Bildhauers, in deren Mitte der kalkweiße Fleck die Augen des Betrachters irritiert. Daneben Barlachs kniender »Zweifler« von 1931: Kopf, Schulter, Arme in leichter Schräglage, die Hände gefaltet. Zweifel birgt in sich den Protest der Nichtzweifelnden, was Feindseligkeiten nährt. Ist mit dem »Zweifler« Luther gemeint? Oder ein Gelehrter, der bedauert, nicht genug gezweifelt zu haben?

Landschaften, Aktionen, Passionen, gemalt in Farben der wüsten Art, müssen sich keineswegs beißen mit den Oberflächen aus Bronze, Holz und Porzellan, woraus Barlach eine Figurenwelt formte, die menschlichen Situationen in mittelalterlichen Klöstern durchaus ähnelt. Dort waltete Härte und Gehorsam, dort befahlen die einen, während die anderen freudig gottverbunden alle Weltferne auf sich nahmen, die Zwangsrekrutierten aber Gnade erflehten, Gott möge sie erlösen von den Qualen. Letzteres ist Barlachs existenzieller Punkt, in anderer Art auch Randos. Dieser malt das Gesicht als helle Sonne hinter Gittern aus einem Grün, das tropft, als würde die Wiese bluten. Das Bild hängt genau dort, wo es hingehört, neben Barlachs Relief »Tod und Leben«, das, modelliert 1916/17, eine Begräbnisfeier mit Geigenspieler aufruft.

Die Klostergalerie, in der »Ernst Barlach - Jorge Rando - Mystiker der Moderne« als Sonderausstellung zum Reformationsjubiläum jetzt zu sehen ist, sollte sich die Stadt an der Havel noch lange erhalten. Allein aus folgendem Grund: Martin Luther hat zwar den Klöstern durch sein Machtwort, Nonnen und Mönche sollten darin nicht verdorren, sondern draußen Nützliches tun, den Garaus gemacht, so dass ein Klostersterben begann. Aber die Bauten, große wie kleine, mit dunklen Gängen und engen Zellen, verschwanden ja nicht, sie verfielen allenfalls. Wer neue, allen zugängliche Heimstätten daraus zu machen verstehe, dem gebühre Lob, ging es dem Reformator von den Lippen. Lob mit Fernwirkung.

Nun darf der Betrachter den symbolischen Luther in jenen alten Klostermauern zu Zehdenick sehen, als »Buchleser«, in Bronze gesetzt von Ernst Barlach (1870 - 1938), dem großen Bildhauer, Maler, Dichter und Menschen, der zeitlebens nicht davon abließ, menschlichen Haltungen und Leiden figürlichen Ausdruck zu verleihen. Ist der Buchleser der Mönch Luther? Er ist es. Obwohl der Titel es nicht verrät. Das Motiv des Lesenden ist zentral bei Barlach. Nähme man die an Schriften Sitzenden, Hockenden, Stehenden einmal zusammen, so täte sich ein ganzer Kreis Lesender auf.

Eine der Treppen hinten führt hinunter in das kleine Kellergewölbe. Zwei Filme können die Besucher dort sehen. Der eine zeigt den Spanier Jorge Rando im Gespräch über seine Kunst und deren Resonanz, der andere lenkt den Blick auf Ernst Barlach, den »Mystiker der Moderne«. Bernd Boehm drehte ihn 2007. Die Texte spricht der große Mario Adorf. Kein biografischer Abriss tritt vors Auge, wohl aber eine sensibel gearbeitete Chronologie darüber, zu welchen Zeitpunkten, wie und worin sich jene viel beschworene »Spiritualität« Barlachs zu erkennen gibt.

Barlach, 1911: »Am Ende musste ich immer mehr erkennen, dass das Gesicht in allen Dingen sich nicht enthüllt, wenn man selbst nicht sein Gesicht zeigt ...«. Und der Film zeigt Gesichter. In den fremden wohnt tatsächlich immer auch das eigene des Künstlers, oder das identische Gesicht der Käthe Kollwitz, gleichsam der Zwillingsschwester Barlachs.

Aufschlussreich das Motiv der Kreuzigung, verbunden mit Reflexen auf den Ersten Weltkrieg. Barlach war selbst beim Landsturm. Er wusste, wie das geht, zerreißt der Kopf im Geschützdonner. Aber er zeigt das Grauen nicht, er verbildlicht, was die selbst ernannten heroischen Kriegsherren bis heute mehr fürchten als die Bevölkerung, nämlich die Gestalt des Antihelden, des ins Feuer Getriebenen, des seelisch Zerbrochenen, des Enterbten. Der Teufel möge sie holen, scheinen die Herren zu rufen. Die verheizte Kreatur soll der Held bleiben, mit Eisernem Kreuz um den Hals statt einer rostigen Kette. Tausende Soldatengräber, alte wie im europäischen Osten frisch installierte, und soldatische Treueschwüre unter Fackeln vor Bauten mit Blut an den Mauern zeugen davon. Die Objekte des Ernst Barlach verweigern sich dem. Darum galten sie während der Nazizeit als »entartet«. Hunderte seiner Werke verschwanden aus dem Kunstleben. Bernd Boehm spricht auf Zelluloid, wie Barlach auf Metall, Holz und Keramik spricht. Die Kamera führt nahe heran an die Gesichter der Soldatengruppe im Magdeburger Dom, sie zeigt, wie der »Friedensengel« im Dom zu Güstrow von den Nazis geschliffen wurde, gemahnend an den unvergessenen DEFA-Film »Der verlorene Engel« (1966) von Ralf Kirsten nach einer Vorlage von Franz Fühmann.

Die starren Skulpturen Barlachs wandern in der Klostergalerie je mehr im Raum, je öfter der Betrachter sie umrundet, denn nicht nur das Gesicht zählt, die menschliche Figur als ganze ist schlechthin maßgebend. Parallel dazu figuriert jene großformatige Serie von Aquarellen und Ölbildern mit Gitterlandschaften und umzingelten Blumen des 1941 geborenen Spaniers. Auch solches erwartet die Besucher: Schwere auf der einen, Leichtigkeit auf der anderen Seite kommt in Zehdenick fast spielerisch zur Wechselwirkung. Ernst Barlachs »Vergnügtes Einbein« (1934), Mann, schwer ummantelt, mit Stock und Beinprothese, blickt voll Ingrimm, während Jorge Randos schöne Frau auf einem Bild ganz unverstellt erscheint, diesseitig, wirklich jung, wirklich schön.

»Ernst Barlach - Jorge Rando - Mystiker der Moderne«. Klostergalerie Zehdenick. Am Kloster. Geöffnet Mittwoch bis Sonntag, 13 bis 17 Uhr. Bis 14. Januar 2018.

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