Ernstes Problem im Dauerfeuer
Evy Schubert inszenierte E.M. Forsters Roman »Die Maschine steht still« im Theater an der Parkaue
Al sich vor einigen Tagen der Chaos-Computerclub zu seinem Hackerkongress traf, drängte ein Problem unabweisbar ins Zentrum: die zu befürchtende totale Abhängigkeit des Menschen von immer undurchschaubareren Überwachungssystemen, seine permanente Bewertung. Lange bevor es Computer gab, hat der englische Erzähler E.M. Forster eine Anti-Utopie, eine Schreckensvision des Internets entworfen.
In »Die Maschine steht still« hat ein gigantischer Kontrollapparat die Macht übernommen. Die Menschen leben in abgekapselten, wohltemperierten Zellen - in vollkommener Abhängigkeit von dieser »Maschine«. In die schreckliche Welt führt auch eine gleichnamige Theaterfassung von Evy Schubert. Auch in der ist den Menschen die körperliche Berührung verboten - ebenso wie eigene Ideen und Kommentare. Wissensvermittlung ist auf die Erkenntnisse aus »zweiter, dritter oder zehnter Hand« beschränkt, die Vorschriften der »Maschine« sind bibelgleich geworden. Aus dieser Abhängigkeit will der junge Kuno ausbrechen, weil er die verschwiegenen Seiten der Geschichte erkunden will.
Er schaltet die Druckpressen am Luftschacht um, zieht eine Atemmaske über und lässt sich auf die Erdoberfläche hinausschleudern. Im Flug erkennt er die berühmten Hügel von Essex, wo einst die Dänen geschlagen wurden, und er sieht Luftschiffe aufsteigen. Von einen Riesenwurm überwältigt, wird er in den Luftschacht gebracht und sehnt dort den Stillstand der »Maschine« herbei. Die aber schlägt zurück und entzieht den Menschen die Lebensgrundlage. Ein Todesengel berichtet von deren Überlebenskämpfen. Der sterbende Kuno bejubelt die Wiedergewinnung der eigenen Wahrnehmung. Ein Grund seines Ausbruch war das Treffen mit seiner Mutter auf der Erdoberfläche. Die taumelt zwischen Sorge um den ausgebrochenen Sohn und den Untertanengeist gegenüber der »Maschine« und begrüßt schließlich die Strafmaßnahmen der unsichtbaren Herren.
Der Gegenstand von Forsters Schreckensszenario ist von bedrängender Aktualität. Die kann die Inszenierung der Autorin Evy Schubert bei allem Bemühen nicht leisten. Der jungen Regisseurin fehlt es offensichtlich an der Erfahrung, wie man sperrige Texte in die Sprache des Theaters im Allgemeinen und in die Erzählweise der Schauspieler im Besonderen übersetzen kann.
Unter einem Gewirr von silbern glänzenden, biegsamen Röhren agieren, begleitet von den schrillen Tönen der »Maschine«, die Darsteller. Melina Borcherding gibt die Mutter Vahti, Johannes Schäfer den aufbegehrenden Sohn. Denis Pöpping ist die Personifikation der »Maschine« und gibt dem Todesengel sowie der Stewardess, die die Überholung der Erdrotation durch das Luftschiff bejubelt, eine Stimme. Das Problem der Aufführung: Sie findet keine sinnlich erfahrbare Geschichte. Schwer verstehbare Verkündungen, Befehle und Appelle fliegen den Kindern und Jugendlichen (gezielt den 12- bis 16-Jährigen) um die Ohren, ohne dass sich eine logische Abfolge des Geschehens herstellt.
Die Darsteller hetzen schreiend und flehend über die Texte hinweg, zerdehnen und zerhackstücken sie, sodass nicht selten im Dunkeln bliebt, worum es geht. Hinzu kommt ein Hang zum überflüssigen Illustrieren. Tote Gegenstände und lebendige Aktionen werden lautmalerisch oder durch bebildernde Bewegungen der Hände beschrieben. Figurenbeziehungen können sich so nicht einstellen, tragische Momente sind nicht zu erkennen. Die hätte es doch durchaus gegeben. So wären die inneren Kämpfe der Mutter eine lohnende schauspielerische Aufgabe gewesen. An die Stelle von situativem Partnerspiel tritt die Suche nach auffälligen Tönen und bizarren Körperhaltungen. Melanie Bocherding bewegt sich fast durchgängig in einer x-beinigen Ganghaltung, Johannes Schäfer mit sich ständig wiederholenden Sprung- und Drehbewegungen und Denis Pöpping mit leicht tuntigen Trippelschritten.
Ein Aufatmen, wenn konkrete Haltungen gefunden worden sind, so wenn Denis Pöpping die Zahlen des Systems herausflüstert oder unbeirrt die Strafen gegen Kuno verkündet. Trotz dieser Lichtblicke bleibt der Endruck, dass hier ein unerledigtes Menschheitsproblem unter dem Dauerfeuer von angestrengten Tönen und Bewegungen untergegangen ist.
Nächste Vorstellung 5.Januar
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