Wir sind alle Kaspar
1968 sei nicht nur die Geburtsstunde einer Neuen Linken, sondern auch die einer Neuen Rechten. Das ist die zentrale These, die der Journalist Thomas Wagner in seinem Buch »Die Angstmacher« entfaltet. Wo damals die linke Spaßguerilla gegen Autorität und Muff agiert habe, da wende heute die rechte Spaßguerilla der »Identitären Bewegung« dieselben Mittel an, um Gegensätzliches zu erreichen. Die Jungrassisten wünschen sich eine geschlossene Gesellschaft ohne Widerworte, ohne Debatte und ohne Vielfalt.
Da trifft es sich gut, dass ausgerechnet jetzt Lea Barletti und Werner Waas das 1968 in Frankfurt am Main (Regie: Claus Peymann) uraufgeführte Stück »Kaspar« von Peter Handke im Theaterdiscounter auf die Bühne bringen. Nach dem historischen Vorbild des Kaspar Hauser zeigt das Werk einen Menschen auf der Bühne, der zu Beginn nur einen einzigen Satz hat. Anonyme Sprecher drillen ihn zu einem einseitigen Weltbild und zu konventionellen Verhaltensweisen. Man hätte das Stück auch, wie Peter Handke einmal sagte, »Sprechfolterung« nennen können.
Den Gedanken an das Gemeinschafs- und Sinnstiftende, das viele Menschen in Regeln und Geboten finden, treibt »Kaspar« auf die Spitze. Zu Beginn eines Jubiläumsjahres, in dem wohl wieder einmal die Fronten »Die 68er sind an allem schuld« und »Den 68ern verdanken wir alles Gute« die abwägenden Stimmen niederwalzen werden, macht das Performancehaus in Mitte damit eine klare Ansage: Wir sind alle Kaspar. cba
Vorstellungen am 6. und 7. Januar (jeweils 20 Uhr) im Theaterdiscounter, Klosterstraße 44, Mitte
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