- Politik
- Sondierungen von Union und SPD
Maulwürfe, heiße Kohlen und Spitzen bei Steuern
SPD kritisiert Indiskretionen von Seiten der Union / Grüne empört über Aufgabe der Klimaziele 2020 / Streit bei Steuerreformen
Berlin. Die Sondierungen für eine Regierungsbildung zwischen CDU/CSU und SPD werden von Debatten über Indiskretionen und vermeintliche Einigungen in der Klima- und Energiepolitik überschattet. Vor der Fortsetzung der Gespräche am Dienstagmorgen in der bayerischen Landesvertretung in Berlin äußerten sich Vertreter der SPD verärgert über Indiskretionen von Seiten der Union und mahnten mehr Disziplin an. »Es war sehr ärgerlich, dass es da gestern Durchstechereien gegeben hat von Zwischenergebnissen«, sagte SPD-Fraktionschefin Andrea Nahles bei ihrer Ankunft.
Allerdings gab es auch positive Töne. »Ich gehe davon aus, dass wir alle gemeinsam ein Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit haben«, sagte SPD-Chef Martin Schulz. Daher schaue er »ganz optimistisch in den Tag«. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) sagte: »Zunächst einmal kann ich sagen, dass wir gut und zielorientiert verhandeln.«
Rasche Einigung in der Energiepolitik
Als erstes Zwischenergebnis war am Montag bekannt geworden, dass Union und SPD offensichtlich das deutsche Klimaziel für 2020 aufgeben wollen, wonach die Treibhausgasemissionen bis dahin um 40 Prozent in Vergleich zu 1990 sinken müssten. Vertreter der Parteien sprachen offiziell von einem Zwischenstand, der noch nicht abschließend vereinbart sei. Gleichwohl stieß die Entscheidung auf massive Kritik.
»Das Erreichen der Klimaziele wäre schwierig geworden, aber machbar«, sagte etwa Grünen-Fraktionschef Anton Hofreiter am Dienstag im ARD-»Morgenmagazin«. Allerdings hätte man dazu damit anfangen müssen, die schmutzigsten Kohlekraftwerke abzuschalten. Hofreiters Parteikollege Robert Habeck hat Union und SPD vorgeworfen, den Klimaschutz insgesamt zu vernachlässigen. »Wer kämpft in der großen Koalition für den Kohleausstieg oder für eine wirkliche Verringerung des CO2-Ausstoßes, auch im Verkehr? Da ist niemand, den ich kenne«, sagte der schleswig-holsteinische Umweltminister der Deutschen Presse-Agentur. »Da wird mir angst und bange.« Sigmar Gabriel (SPD) tue Klimaschutz als grünen Firlefanz ab, Armin Laschet und Thomas Bareiß (beide CDU) seien noch nie als Klimaschützer aufgefallen. Sie wollten das Gegenteil. »Insofern erwarte ich da gar nichts«, sagte Habeck.
FDP-Fraktionsvize Michael Theurer sagte zur offensichtlichen Aufgabe der 2020-Klimaziele der dpa: »Das ist ein erstaunliches Rendez-vous mit der Realität ... Wir hätten uns gewünscht, dass der Unionsteil in den Jamaika-Gesprächen schon vor Wochen bereit gewesen wäre, das einzugestehen.« Vielleicht hätte dies auch zu einer anderen damaligen Diskussion in der Klimapolitik mit Grünen und FDP führen können. Die FDP habe darauf gedrungen, »dass man sich ehrlich macht«.
Zum Ärger der SPD hatte Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) die Einigung seiner Arbeitsgruppe zur Energiepolitik öffentlich gemacht. Danach hätten sich Union und SPD vom realistischerweise nicht mehr erreichbaren deutschen Klimaziel für 2020 auch verabschiedet.
Offiziell hält Deutschland bis heute am Vorhaben fest, seinen Kohlendioxid-Ausstoß bis 2020 um 40 Prozent im Vergleich zu 1990 zu reduzieren. Kanzlerin Angela Merkel (CDU) hatte im Wahlkampf noch zugesichert, Deutschland werde sein Klimaschutzziel bis 2020 schaffen. »Wir werden Wege finden, wie wir bis 2020 unser 40-Prozent-Ziel einhalten. Das verspreche ich Ihnen«, hatte sie damals gesagt.
Nach dem bekannt gewordenen Ergebnispapier der Klima-AG soll eine Kommission einen Aktionsplan zum schrittweisen Ausstieg aus der Kohleverstromung erarbeiten. Darauf hatte sich die geschäftsführende große Koalition nach langem Hin und Her bereits im November 2016 geeinigt, als Teil des Klimaschutzplans 2050. Die Unterhändler streben zudem einen Anteil von 65 Prozent erneuerbarer Energien am Stromverbrauch bis 2030 an. Das wäre ein Fortschritt - bislang waren 50 Prozent vorgesehen.
CSU lehnt SPD-Forderung nach höherem Spitzensteuersatz ab
Differenzen zwischen Union und SPD gibt es dagegen offenbar in der Steuerpolitik, über die an diesem Dienstag beraten werden soll. Die CSU lehnt die Forderung der SPD nach einer schrittweisen Anhebung des Spitzensteuersatzes von 42 auf 45 Prozent ab, wie am Montagabend aus Verhandlungskreisen verlautete.
Beim Spitzensteuersatz soll die schrittweise Erhöhung um drei Punkte nach SPD-Vorstellung als Ausgleich für Pläne dienen, ihn erst bei etwas höheren Einkommen greifen zu lassen, wie es weiter hieß. Demnach soll er statt bei knapp 55.000 Euro künftig erst ab 60.000 Euro Jahreseinkommen fällig werden.
Zugleich wurde in den Verhandlungskreisen darauf hingewiesen, dass von dieser Verschiebung viele Angehörige der Mittelschicht wegen steigender Mieten und sonstiger Lebenshaltungskosten nicht stark profitieren würden. Umgerechnet würde der Satz dann bei einem Einkommen von knapp 5000 Euro monatlich greifen.
Gleichzeitig wurde verneint, dass es erheblichen Handlungsbedarf bei der Erbschaftsteuer für Privatpersonen gebe. So gilt derzeit für Kinder und Enkelkinder bereits ein Freibetrag von 400.000 Euro.
Der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) hatte am Montag vor einer Umverteilung von Steuergeldern und zusätzlichen Belastungen für Unternehmen gewarnt. Unionsfraktionschef Volker Kauder (CDU) hatte umgehend versucht, die Äußerung einzufangen und sie als nicht berechtigt bezeichnet.
Konflikte ja, aber nicht öffentlich
Mit Konflikten bei den Sondierungen war zwar gerechnet worden. Jedoch hatten sich die Sondierer zu Beginn der Gespräche geeinigt, dass am Ende jedes Verhandlungstages nur ein Vertreter der jeweils gastgebenden Partei eine Erklärung abgibt. In dieser Eigenschaft war am Montag kurz vor Laschet Unionsfraktionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer (CDU) aufgetreten, hatte sich inhaltlich bedeckt gehalten und lediglich betont: »Es ist nichts vereinbart, solange nicht alles vereinbart ist.« Darauf verwiesen nach Laschets Äußerung die Sozialdemokraten: »In der SPD herrscht Erstaunen darüber, dass ein professioneller Verhandler wie Armin Laschet sich nicht an diese Regel hält«, sagte ein Parteisprecher der dpa.
Am Dienstag wollen die Parteien die erste Runde der Beratungen in allen Facharbeitsgruppen abschließen. Dazu sollen am Morgen in der bayerischen Landesvertretung neben der AG Steuern/Finanzen noch all jene Arbeitsgruppen weiterberaten, die mit dem ersten Durchgang durch ihre Themen noch nicht fertig sind.
Parallel dazu will sich die Sechser-Runde der Partei- und Fraktionschefs um Kanzlerin Angela Merkel (CDU), SPD-Chef Martin Schulz und den CSU-Vorsitzenden Horst Seehofer weiter über die Ergebnisse der einzelnen Gruppen beugen.
Bis spätestens in der Nacht zum Freitag wollen sie sich darauf verständigen, ob sie eine ausreichende Grundlage für offizielle Koalitionsverhandlungen sehen. Die SPD-Spitze braucht für Koalitionsverhandlungen die Zustimmung eines Parteitags, der am 21. Januar in Bonn stattfinden soll und als große Hürde gilt.
Nach einem Medienbericht bereitet sich die SPD auf eine härtere Gangart gegenüber dem Kanzleramt in einer eventuellen neuen Koalition vor. Unter Federführung des Auswärtigen Amts von Sigmar Gabriel würden dazu Vorschläge der SPD-Ministerien gesammelt, berichtet die »Passauer Neue Presse« (Dienstag), der ein entsprechendes Schreiben an diese Ressorts vorliegt. Als Negativbeispiel aus der alten Legislaturperiode wird darin unter anderem genannt, dass Gesetzesvorschläge der SPD-Ministerien schon frühzeitig mit dem Kanzleramt sowie der Unionsfraktion abgestimmt werden mussten. Agenturen/nd
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.