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Schwarzer Tag für die Sejm-Opposition
Zwei marktliberale Parteien lassen ein liberaleres polnisches Abtreibungsrecht scheitern
Im Oktober 2016 erhob sich massiver Protest von Frauen in Polen gegen geplante Verschärfungen des ohnehin im europäischen Vergleich restriktiven Abtreibungsgesetzes. Das Kennzeichen des außerparlamentarischen Protests damals: die Farbe Schwarz. Widerstand gegen mögliche Verschärfungen wird es auch in Zukunft höchstens außerhalb des Sejms geben – und das hat mit einer schwarzen Stunde der Opposition im Sejm am Mittwochabend zu tun.
Zwei Gesetzesinitiativen standen am gestrigen Abend in Warschau zur Debatte und Abstimmung: Einer, der weitere Einschränkungen der Möglichkeiten von Frauen vorsieht, und ein zweiter, der eine Liberalisierung vorsah und auf ein Bürgerbegehren gründete. Für letzteren stimmten selbst 58 Abgeordnete der regierenden PiS-Partei, darunter sogar Jarosław Kaczyński – und trotzdem scheiterte der Entwurf, während der erste weiter beraten wird. Denn die notwendigen Stimmen fehlten ausgerechnet bei den beiden liberalen Oppositionsparteien Bürgerplattform (PO) und Moderne (Nowoczesna). Von beiden Parteien blieben 39 Abgeordnete der Abstimmung fern, so dass der Antrag schließlich an ganzen neun Stimmen scheiterte.
Die Abstimmungen zum Abtreibungsrecht offenbaren zweierlei: »Liberal« bedeutet für die Bürgerplattform (PO) und Moderne (Nowoczesna) vor allem marktliberal. Emanzipation und Selbstbestimmung der Menschen in anderen Bereichen sind im Zweifel nicht so wichtig: Auf eine parlamentarische Opposition, die sich auch auf die starke Frauenbewegung stützen will, können sich ebenjene Frauen wiederum nicht verlassen. Beiden Parteien dürfte es künftig deutlich schwerer fallen, außerparlamentarische Bündnispartner zu gewinnen. Offener Streit tobt bereits über Konsequenzen aus dem Debakel – schon werden disziplinarische Maßnahmen bis hin zu Parteiausschlüssen verkündet, treten Abgeordnete von sich aus aus. Ein schwarzer Tag für Opposition im Sejm, die sich selbst auseinandernimmt.
Für die PiS ist es dagegen ein Sieg auf der ganzen Linie: Das Gesetzesvorhaben zur Verschärfung des Abtreibungsrechts hat die nächste parlamentarische Hürde genommen. Und die vielen PiS-Stimmen für den liberaleren Entwurf senden das Signal, dass die Partei Bürgerbegehren ernst nimmt, während das konkrete Anliegen einer Liberalisierung des Abtreibungsrechts selbst auf der ganzen Linie scheiterte. Wirklicher Protest ist wieder nur außerhalb des Parlaments zu erwarten – wo er die Regierung nur beeindruckt, wenn er in die Hunderttausende geht.
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