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Und was verdienst du?

Das neue Auskunftsrecht über die Löhne der Kollegen überlässt den Kampf der Einzelnen - und ist daher wirkungslos

  • Josephine Schulz
  • Lesedauer: 4 Min.

Ein junger Mann und eine Frau im gleichen Alter haben dasselbe Fach studiert, sie haben mit derselben Note abgeschlossen und sich für denselben Beruf beworben. Statistisch wird die junge Frau dennoch mit sieben Prozent weniger Gehalt in das Arbeitsleben starten. Denn der Gender-Pay-Gap, die durchschnittliche Lücke zwischen den Gehältern von Männern und Frauen, macht bei Berufseinsteigern keine Ausnahme. Bezieht man außerdem in die Rechnung ein, dass frauendominierte Branchen schlechter entlohnt sind und Frauen öfter in Teilzeit oder Minijobs arbeiten, wächst der Abstand auf 21 Prozent.

Das kompliziert klingende Entgelttransparenzgesetz soll Abhilfe schaffen. Die Meinungen über dessen Wirksamkeit aber gehen auseinander. Während einige den Schritt in die richtige Richtung loben, halten andere das Gesetz für einen zahnlosen Tiger. Arbeitgeber hatten sich massiv gegen den ursprünglichen Entwurf gesträubt und ein Bürokratiemonster prophezeit. Herausgekommen ist letztlich ein Kompromiss, in dem Einschränkungen und Appelle dominieren.

Mit dem 6. Januar wurde, ein halbes Jahr nach dem eigentlichen Inkrafttreten, ein zentraler Teil des Gesetzes - die Auskunftsmöglichkeit für Beschäftigte - wirksam. Theoretisch kann jeder Mitarbeiter nun Auskunft über den Gehaltsunterschied zu Kollegen des anderen Geschlechts verlangen. Er - oder in den allermeisten Fällen sie - muss dafür allerdings in einem Unternehmen mit über 200 Beschäftigten arbeiten. Zwei Drittel der Frauen fallen damit schon einmal heraus. Sie muss außerdem sechs Kollegen des anderen Geschlechts finden, die gleiche oder gleichwertige Tätigkeiten verrichten. Der Gesetzgeber begründet das mit Datenschutz. Christina Klenner von der Hans-Böckler-Stiftung gibt zu bedenken: »Eine Diskriminierung ist schon dort gegeben, wo es einen Mann gibt, der bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit mehr verdient.«

Erfüllt eine Frau all diese Bedingungen, muss der Arbeitgeber ihr den Medianwert der Kollegengehälter mitteilen. Was sich damit anfangen lässt, ist nicht so ganz klar. Denn ob wirklich eine Diskriminierung vorliegt, müsste die Frau vor Gericht entscheiden lassen. Aber genau da liegt das nächste Problem. Denn wer verklagt schon seinen Arbeitgeber, wenn er vorhat, in dem Betrieb noch ein paar halbwegs angenehme Jahre zu verbringen?

Vera Egenkamp vom »Büro zur Umsetzung von Gleichbehandlung« hat deshalb im Gesetzgebungsverfahren für ein Verbandsklagerecht geworben. »Wenn einzelne Frauen sich zu einer Klage entschließen, dann ist die Befürchtung durchaus berechtigt, dass das ihre Stellung im Unternehmen gefährdet.« Das Büro von Egenkampf unterstützt strategische Klagen gegen Diskriminierung. Vor zwei Jahren war die Organisation schon einmal auf der Suche nach Frauen, die gegen ihre Lohndiskriminierung klagen würden. Aber aus Angst vor Sanktionierung konnte sich keine dazu entschließen.

Auch Christina Klenner findet: »Viel effizienter, als einzelnen Personen die Auskunft zu ermöglichen, ist eine Evaluierung der gesamten Entgeltstruktur im Unternehmen.« Für sie hätte der Schlüssel deshalb eher im zweiten Teil des Gesetzes liegen können, in dem es um solche Prüfverfahren geht. Hätte. Denn dort heißt es lediglich, dass private Arbeitgeber ab 500 Beschäftigten aufgefordert werden, ihre Entgeltregelungen systematisch auf das Gleichheitsgebot zu prüfen. »Das ist ein reiner Appell«, meint Klenner. »Nur bestimmte Arbeitgeber mit über 500 Beschäftigten, nämlich lageberichtspflichtige nach Handelsgesetzbuch, müssen Berichte zur Entgeltgleichheit erstellen. Das sind aber die wenigsten Unternehmen.«

Gut findet Klenner wiederum, dass in dem Gesetz neben gleicher auch gleichwertige Arbeit festgeschrieben ist. Was gleichwertige Arbeit im konkreten Fall bedeutet, dafür bedarf es ausgefeilter und transparenter Bewertungssysteme. Die Hans-Böckler-Stiftung hat unter anderem den Comparable Work Index erarbeitet, mit dem Tätigkeiten auf Basis zahlreicher Faktoren, etwa körperliche und psychische Belastungen, verglichen werden können. Oft, so erklärt Klenner, würden bei klassischen Frauentätigkeiten die körperlichen Anstrengungen nicht ausreichend berücksichtigt, zum Beispiel in der Pflege. Ein Problem, das auch innerhalb von Tarifverträgen auftritt.

In der strukturellen Ungleichbewertung von Arbeit liegt also eine wichtige Ursache des Gender-Pay-Gap. »Das hängt auch mit Stereotypen zusammen«, meint eine Sprecherin des Netzwerks Business and Professional Women. Sie hält die Diskriminierung nicht für Vorsatz. »Unterbewusst werden Männern und Frauen im Unternehmen oft andere Rollen zugeordnet. Männer werden beispielsweise stärker mit Führung assoziiert.« Solche Stereotype verschwinden natürlich nicht über Nacht aus den Köpfen. Wären Unternehmen zu einer umfassenden Prüfung von Arbeitsbewertungen und Gehaltsstrukturen verpflichtet, müssten diese Klischees aber wenigstens nicht den Lohn bestimmen.

Diesen Weg geht Island nun. Seit Anfang des Jahres müssen Unternehmen ab einer Größe von 25 Beschäftigten ein Zertifikat beantragen, das die Lohngleichheit von Männern und Frauen bestätigt. Die Behörden prüfen die Gleichbehandlung - finden sie diskriminierende Gehälter, müssen die Unternehmen Strafe zahlen. »Die Zeit ist reif, um mal etwas Radikales zu unternehmen«, sagte der isländische Sozialminister Thorsteinn Viglundsson zu dem weltweit einzigartigen Gesetz. Vielleicht setzt sich diese Erkenntnis auch in Deutschland durch, sollte sich zeigen, dass die isländische Wirtschaft nicht zusammenbricht und reine Appelle von Unternehmen gern ignoriert werden.

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