Die Schmerzgrenze im Moorwald

Der Streit um ein Skigebiet im Harz wird für die Kenia-Koalition in Sachsen-Anhalt immer mehr zur Belastung

  • Hendrik Lasch, Magdeburg
  • Lesedauer: 4 Min.

Der Moorwald in den Bergen rund um Schierke im Harz ist tückisch. Das hat Claudia Dalbert im Mai 2017 erleben müssen. Die grüne Umweltministerin in Sachsen-Anhalt und ihr Chef, der CDU-Ministerpräsident Reiner Haseloff, hatten bei einem Wandertag versucht, einen Zwist beizulegen, der die seit 2016 unter Einschluss der SPD regierende Koalition belastet. Es geht um eine Seilbahn, die ein geplantes Skigebiet erschließen soll. Die Grünen halten das in Zeiten des Klimawandels für Unfug und wollen keine Bäume dafür fällen lassen; die CDU träumt von Scharen an Skitouristen, die Aufschwung in die Mittelgebirgstäler bringen. Politisch gab es an jenem Maitag keinen Sieger, persönlich erlebte Dalbert ein Ausrutscher. Sie glitt in einem Moorloch aus und eine Regionalzeitung war so erbarmungslos, das Bild zu drucken.

Acht Monate später folgte nun ein politischer Ausrutscher, dessen Folgen für die Koalition noch gar nicht abzusehen sind. Auslöser ist ein mit dem geplanten Bahnbau verknüpfter Flächentausch zwischen der Stadt Wernigerode und dem Landesforst, der bereits 2014 im Kabinett beschlossen, von Dalbert indes, wie jetzt publik wurde, im Herbst gestoppt wurde. Sie wolle den Tausch erst vornehmen, wenn über den Bau der Seilbahn entschieden sei, hieß es. Ob dieser unter Naturschutzaspekten zulässig wäre, ist umstritten. Es gibt mehrere widerstreitende Gutachten. Einen aus dem Harz stammenden Fraktionsvize der CDU brachte das auf die Palme. Er forderte Haseloff auf, das »Problem« zu lösen. Dieser reagierte prompt - und wies die grüne Ministerin an, den Flächentausch im Januar durchzuwinken. Kenner der Landespolitik können sich an eine vergleichbare Intervention des Regierungschefs in den Geschäftsbereich eines Ministers nicht erinnern. Christian Franke, der Chef des grünen Landespartei, sprach von einem »sehr ernsthaften Vorgang« und fügte hinzu, man sei »empört«. Das gleiche Wort benutzte auch Dalbert - und schob im Gespräch mit der »Mitteldeutschen Zeitung« einen Satz nach, der dem Vorfall enorme Sprengkraft verlieh: Sie konstatiere, dass sich die »Harz-Mafia« im Streit um die Fläche »durchgesetzt« habe. Das Blatt titelte danach: »Eine Grüne sieht rot«. Die Wogen schlugen umgehend hoch. CDU-Generalsekretär Sven Schulze forderte eine Entschuldigung von Dalbert; der CDU-Parteinachwuchs fragte, was Dalbert »genommen« habe. Ein Harzer SPD-Abgeordneter, der in Sachen Seilbahn mit Dalbert überquer liegt, kommentierte vielsagend, er kommentiere den Vorfall nicht. Am Morgen danach ruderte die Grüne zurück. Ihre Wortwahl sei »unangemessen« gewesen, gab sie zu. Eine explizite Entschuldigung war das nicht.

Erledigt sein dürfte die Affäre damit nicht. Die Grünen sahen das Agieren von Haseloff als Affront und kündigten an, man werde sich zu dem »Vorgang und unserem Umgang damit« umgehend äußern. Die Wortwahl ist Indiz dafür, dass man bei der Ökopartei die vielen Querschläger aus dem CDU-Lager leid ist, bei denen es mal um den Wolf geht, mal um die Flüchtlings- und mal um die Agrarpolitik. CDU-Politiker hatten zu Anfang der Legislatur offen den Protest von Bauernverbänden gegen die Ernennung Dalberts unterstützt. Die Verbände sorgten erst in dieser Woche erneut für einen Eklat, als sie die Mitwirkung an einem Konzept für die Landwirtschaft aufkündigten.

Die Opposition sieht angesichts der Zerwürfnisse das Ende der Koalition nahen. Er frage sich, wie lange man die Grünen noch so »am Nasenring durch die Manege führen« dürfe, sagt der LINKE-Landeschef Andreas Höppner. Die AfD wiederum fordert die CDU auf, die Konsequenzen aus den »dauernden Angriffen« aus den Reihen ihrer Koalitionspartner zu ziehen. Sie hofft dabei, dass in der Union Befürworter eines schwarz-blauen Bündnisses Oberwasser bekommen, die schon nach der Landtagswahl eine Zusammenarbeit mit der AfD erwogen hatten - und diese in geheimen Abstimmungen, etwa über die Einsetzung einer Enquetekommission zu Linksextremismus, seither unausgesprochen praktizieren.

Vor allem dieses Verhalten bringt nicht nur die Grünen regelmäßig in Harnisch, sondern auch die SPD. Just am Tag des in jenen Mafia-Vergleich mündenden Seilbahn-Streits hatte deren SPD-Landeschef Burkhard Lischka, der am Samstag auf einem Parteitag wiedergewählt werden will, eine offene Drohung an die CDU gerichtet. Wenn weiterhin Abgeordnete aus deren Reihen »aus der Koalition ausbüxen« und mit der AfD stimmten, bewege man sich auf eine »Schmerzgrenze« zu. Werde diese überschritten, könne es sein, »dass diese Regierung scheitert«. Kurz danach wurde klar, dass es in der Magdeburger Koalition gleich mehrere Schmerzgrenzen gibt. Eine verläuft mitten im Moorwald von Schierke.

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