Vom uralten Recht, kostenlos Holz im Wald zu schlagen

Rund 2400 Hektar Kommunalwald gehören zur fränkischen Weinstadt Iphofen - für rund 300 Hektar davon gelten bis heute Regeln, die aus dem Mittelalter stammen

  • Christiane Gläser, Iphofen
  • Lesedauer: 5 Min.

Die idyllische Weinstadt Iphofen in Unterfranken hat etwa 4500 Einwohner. Die meisten von ihnen kaufen ihr Brennholz oder ihr Öl ganz regulär im Handel. Doch Familien aus gut 100 Haushalten der Kleinstadt im bayerischen Landkreis Kitzingen ziehen stattdessen im Winter mit der Motorsäge in den Stadtwald und holen sich ihr Holz von dort. Ohne dafür zu bezahlen. Ein uraltes Bürgerrecht aus dem Mittelalter erlaubt ihnen das: das sogenannte Holzrecht.

Das Recht ist in einer Zeit entstanden, in der die Bevölkerung anwuchs und man versuchte, einen Wald dauerhaft und gerecht der Bevölkerung zur Verfügung zu stellen. »Das ist ein Phänomen, das es europaweit in den unterschiedlichsten Ausprägungen gibt«, sagt Landschaftsplaner Thomas Büttner.

Der Heimatkundler hat im Auftrag des Staatsministeriums für Ernährung, Landwirtschaft und Forsten eine Bestandsaufnahme der Kulturlandschaft im Steigerwald gemacht. Dabei hat er festgestellt: Nirgendwo in Bayern werden die Holzrechte in so verschiedenen Formen gehandhabt wie im südlichen Steigerwald. Die Ausübung dieser Holzrechte und die gemeinschaftliche Waldbewirtschaftung seien in Franken »bis heute eng mit der Lebenswelt der alteingesessenen Bevölkerung verbunden«. Allein im Landkreis Neustadt an der Aisch/Bad Windsheim gibt es mehr als 100 bäuerliche Gemeinschaftswälder mit weit über 2600 sogenannten Holzrechtlern.

»Die beeindruckende Vielfalt der bäuerlichen Gemeinschaftswälder, die hinsichtlich ihrer Bewirtschaftungsweise und ihrer Rechtsform ganz unterschiedlicher Natur sein können, ist eine Besonderheit in diesem Raum und tatsächlich ein Aushängeschild für die Region«, erklärt Büttner.

Die Holzrechtler im Steigerwald bewirtschaften noch vielfach sogenannte Mittelwälder - das sind Laubwälder, die in festgelegten Gebieten alle 15 bis 30 Jahre großflächig abgeholzt werden. Einzelne Bäume bleiben jedoch stehen, während aus den Wurzelstöcken der gefällten Stämme junge Bäume nachwachsen. So entsteht der typisch zweischichtige Aufbau des Mittelwaldes - mit einer Oberschicht einzelner Altbäume mit großen Kronen und einem dichten Bestand jüngerer Bäume darunter. Allein in Mittel- und Unterfranken werden Büttner zufolge etwa 2500 Hektar Mittelwald in dieser althergebrachten Form bewirtschaftet. In ganz Bayern gibt es noch rund 5000 Hektar dieser Waldart.

In Iphofen legt Stadtförster Rainer Fell jedes Jahr ein etwa zehn Hektar großes Areal im Stadtwald fest, in dem sich seine Holzrechtler »austoben« dürfen. »Jeder bekommt zwei Flächen, die jeweils zehn mal 42 Meter groß sind - eine gute und eine schlechtere«, erklärt der Förster. Damit sich keiner ungerecht behandelt fühlt, dürfen alle Holzrechtler in einer festgelegten Reihenfolge jedes Jahr im November ihre Lose im Rathaus selbst ziehen. Einzige Ausnahme: Der Pfarrer darf immer zuerst.

Die Losbesitzer haben aber auch Pflichten. So dürfen sie nicht nur das nehmen, was gut ist. Sie müssen - abgesehen von wenigen markierten dicken Bäumen - alles Holz und Gebüsch aus dem Wald holen, und zwar bis spätestens Ende Februar. »Es ist schon ein Haufen Arbeit«, sagt Klaus Scheller aus Iphofen. Seit Jahrzehnten gehört das Holzschlagen für den Franken zum Jahresrhythmus dazu. Etwa fünf Tage braucht er, wenn er gemeinsam mit einem Freund die ausgelosten Waldstücke »aberntet«.

»Man muss ein Stück Idealismus und Spaß mitbringen. Wer das rechnen will, sollte das lieber lassen«, sagt der 64-Jährige. Er ist stolz darauf, ein Teil dieser Tradition zu sein. Etwa 300 Hektar Kommunalwald stehen ihm und seinen Nachbarn für diese historische Nutzungsform zur Verfügung. Rund 2400 Hektar Wald gehören zu Iphofen.

Für die Stadt ist das Konzept ein Zuschussgeschäft. »Wir sehen es als naturschutzfachlichen Beitrag, solche Nutzungsrechte aufrechtzuerhalten«, erklärt Förster Fell. Die Holzrechte seien vergleichbar mit der Stadtmauer. »Die hat auch keinen Zweck mehr, aber sie wird erhalten.« Es sei eben eine Art flächiges Denkmal.

Auch der Erste Bürgermeister der Stadt hat ein Holzrecht, weil er innerhalb der Stadtmauer sein Haus hat. »Ich mache das für mich als Sport und spare gleich noch 3000 Euro Heizkosten. Davon kann ich in den Urlaub fahren«, sagt Josef Mend. Eine Neid-Diskussion sei im Ort deshalb noch nicht aufgekommen. »Das habe ich noch nicht festgestellt«, sagt der seit 27 Jahren amtierende Stadtchef von Iphofen.

Der Bund Naturschutz (BN) weiß die Waldbewirtschaftung durch Holzrechtler zu schätzen. Sie sei ein Stück weit ein Kulturgut, erklärt der BN-Landesbeauftragte Richard Mergner dazu. »Das ist eine Kulturform, die auch schützenswert ist. Die Mittelwälder sind Ersatzlebensräume für bestimmte Pflanzen- und Tierarten.«

Vor wenigen Monaten waren die Holzrechte allerdings auch Anlass für Ärger. Denn zahlreiche Menschen im Spessart und im Steigerwald wähnten diese Privilegien in Gefahr, falls die jeweilige Region zum Nationalpark deklariert worden wäre. Beide Regionen sind mittlerweile aus dem Rennen.

Im Gespräch dürften sie dennoch bleiben: Mehrere Steigerwald-Gemeinden wollen die Kulturform der bäuerlichen Gemeinschaftswälder im Steigerwald und damit auch die gelebten Holzrechte-Traditionen als immaterielles UNESCO-Kulturerbe prädikatisieren lassen. Einen entsprechenden Antrag hat fast ein Dutzend Gemeinden aus Mittel- und Unterfranken vor wenigen Wochen gestellt.

Auf diese Weise sollen das traditionelle Holzrechtlerwesen und die gemeinschaftliche Waldbewirtschaftung wieder stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt werden. Eine erste Entscheidung auf dem Weg zur Eintragung in das Bayerische Landesverzeichnis wird für April erwartet. dpa/nd

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