Erdogans blutiger Olivenzweig

Türkische Truppen rücken in Nordsyrien ein / Kämpfe mit kurdischen Verbänden

  • Jan Keetman
  • Lesedauer: 4 Min.

Auch in der Türkei gilt der Olivenzweig als Friedenssymbol. Also sollte die Benennung der türkischen Offensive als »Operation Olivenzweig« dem ganzen wohl den Anschein einer Friedensmission geben. Übertroffen wird der Zynismus nur noch von Erklärungen des türkischen Militärs, das sich beruft, in Selbstverteidigung zu handeln, weil man am Freitag und Samstag aus Afrin - das ist die jetzt angegriffene kurdisch besiedelte Region in Nordsyrien - beschossen worden sei. Außerdem wolle man Terroristen treffen, inklusive des Islamischen Staates (IS). Dabei waren es kurdische Milizen, die den IS von dort vertrieben haben.

Die Offensive begann am Freitagabend mit massivem Artilleriebeschuss, zu dem am Samstag auch Luftangriffe und am Sonntag Bodenoffensiven von mehreren Seiten kamen. Während die türkische Armee vor allem mit schweren Panzern vorgeht, stellen mit der Türkei verbündete syrische Milizen unter dem Label »Freie Syrische Armee« das Gros der Bodentruppen.

Die Offensive scheint lange und gut vorbereitet zu sein. Kleinere Vorstöße testeten die Reaktionen der Verteidiger aus, bevor die eigentlichen Angriffe erfolgten. Die türkischen Streitkräfte bauten extra eine Brücke über den kleinen Fluss Karasu. Nicht weniger gut vorbereitet scheint die Pressearbeit. Bei den ersten Bildern von den Verbündeten kam kein Mann mit langem Bart vor die Kamera, obwohl einige der von der Türkei mobilisierten Milizen einschlägig als Islamisten bekannt sind.

Die kurdische Verwaltung von Afrin machte vor allem Russland für die Offensive verantwortlich. Dies wurde unterfüttert vom türkischen Ministerpräsidenten Binali Yildirim, der erklärte, es habe keine Kritik von Seiten Russlands an der Operation gegeben. Der Rückzug russischer Beobachter aus Afrin erfolgte trotz eines nicht eindeutig formulierten Dementis von Außenminister Sergej Lawrow wohl schon am Freitag.

Allerdings ist die Rolle der USA nicht rühmlicher. Der Plan, eine »Grenzschutztruppe« von 30 000 Mann zur Hälfte aus Kräften der kurdischen Volksverteidigungseinheiten (YPG) aufzustellen, alarmierte Ankara aufs äußerste. De facto kontrollierten die YPG bzw. die von ihr dominierten »Syrischen Demokratischen Kräfte« bislang bereits rund 700 km Grenze zwischen beiden Ländern. Die der PKK nahe stehende YPG erlangte so einen halboffiziellen Status. Das bedeutete für Ankara höchste Alarmstufe.

Andererseits kann es auch Damaskus, Moskau und Teheran nicht recht sein, wenn ein Drittel Syriens praktisch zum Protektorat der USA würde. Das dürfte der Türkei in Moskau manche Türen geöffnet haben. Dafür schweigt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan zu den Angriffen der syrischen Regierungstruppen und der russischen Luftwaffe auf das Rebellengebiet in der Nordwestprovinz Idlib, die nach den Gesprächen von Astana eigentlich in die »Obhut« der Türkei kam und wo Erdogan Verbündete hat, die man nun wohl an die Afrin-Front schicken will.

Der Türkei geht es nicht nur um Afrin. Laut Yildirim soll die Operation zu einer 30 Kilometer breiten Sicherheitszone fast entlang der gesamten syrisch-türkischen Grenze führen. Dort sollen dann auch syrische Flüchtlinge angesiedelt werden. Man sollte das mit den 30 Kilometern auch nicht zu wörtlich nehmen. Afrin hat eine besondere Bedeutung, denn es handelt sich um das größte fast rein kurdische Siedlungsgebiet in Syrien, den Djabal al-Akrad (Berg der Kurden) wie es auf Arabisch auch genannt wird. In vielen anderen der von ihnen kontrollierten Gebiete repräsentieren die Kurden nur eine Minderheit. Aus der Sicht von Damaskus ist die Frage, ob die USA oder die Türkei im Land ist, eine Wahl zwischen Pest und Cholera.

Für Erdogan ist die Offensive in Nordsyrien innenpolitisch bisher ein voller Erfolg. Im nationalen Eifer stellte sich auch die Opposition, mit Ausnahme der kurdischen und linken Kräfte wie der Demokratischen Partei der Völker uneingeschränkt hinter die Offensive. Trotz Ausnahmezustands, unterdrückter Medien, beschädigter Justiz und hoher Inflation scheint heute offenbar die Parole zu gelten, der »nationalen Sache« der Türkei nicht in den Rücken zu fallen.

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