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Wie die Legende erzählt

Folge 128 der nd-Serie »Ostkurve«: Zweitligist 1. FC Union Berlin zwischen Fußballzirkus und Kulturkampf

Nach fest kommt ab. Handwerker wissen das, Schlosserjungs also auch. Und das sind sie ja irgendwie immer noch beim 1. FC Union Berlin - »so erzählt die Legende« vor jedem Heimspiel in der Vereinshymne. Eine Schraube haben die Eisernen sowieso und schon immer locker, ganz im positiven Sinne. Überdreht hatten sie zuletzt in Köpenick aber auch. Dafür steht ein Satz des Klubpräsidenten Dirk Zingler zur großen Aufregung um die Entlassung von Jens Keller: »Wie kann sich eigentlich dieser kleine Ostverein Union Berlin erdreisten, den großen Champions-League-Trainer zu entlassen?«

In diesen Fußballzirkus der Sensationen und billiger Erregungen hatte sich der Klub der Kulturkämpfer selbst gestellt: mit dem Ziel des Bundesligaaufstiegs, Millioneninvestitionen in Steine und Beine - und dem Sprung auf das trostlose Trainerkarussell. Der Schwabe Keller sollte dem Verein dieses sogenannte Sieger-Gen einpflanzen.

Aufsteigen will der 1. FC Union immer noch, wenn nicht heute, dann eben morgen. Gebaut wird weiterhin, mit Weitsicht. Beides ist richtig. Ziele muss man sich setzen. Wer sich nicht weiterentwickelt, wird erst überholt und dann abgehängt. Im Fußball steigt man ab. Und das wollen nicht mal diejenigen Fans, die sich im Taumel erhöhten Erfolgsdrucks und Siegeszwangs plötzlich verloren vorkamen.

Euphorie ist zwischen Wuhle und Waldseite schon länger nicht mehr zu spüren. Entsetzen auch nicht. Weil mittlerweile wohl jeder insgeheim weiß, dass die Trennung von Jens Keller keine sportlichen Gründe hatte. Die wahren werden wahrscheinlich nie öffentlich. Und in diesem Fall profitiert der 1. FC Union, natürlich auch der Trainer, von den Geschäftsbedingungen des Profifußballs. Der Ball rollt weiter, das nächste Spiel ist das wichtigste, der nächste Sieg der schönste. Und was in der Kabine passiert, bleibt auch dort.

Wirklich jubeln konnten die Union-Fans seit Anfang Dezember nicht mehr. Nach dem Trainerwechsel gab es vor der Winterpause zwei Niederlagen, zum Zweitligaauftakt im Jahr 2018 am Dienstagabend ein Unentschieden in Kiel. Dass die Gefühlswelt in der Alten Försterei dennoch wieder einen angenehmen Normalzustand erreicht hat, liegt vor allem an dem Neuen, der ein alter Bekannter ist. Die Entscheidung, den Ur-Unioner André Hofschneider zum Cheftrainer zu machen, war auch eine zum Wohle des Familienfriedens.

Von der Eignung Hofschneiders müssen die Verantwortlichen auch überzeugt gewesen sein. Richtige Entscheidungen hat er jedenfalls schon getroffen. In der Winterpause entschied er sich, Torwart Daniel Mesenhöler zur Nummer eins zu machen. Zwischen den Pfosten ist er mindestens genau so gut wie Jakob Busk, dafür aber sehr viel besser mit dem Ball am Fuß. Das gibt der anfälligen Abwehr mehr Sicherheit.

Am Dienstag rechtfertigte der 22-jährige Mesenhöler das Vertrauen und entschärfte mehrere Torchancen der offensivstarken Kieler. So trug er entscheidend zum 2:2 beim Tabellenzweiten bei. Den Anschlusstreffer hatte Steven Skrzybski erzielt. Noch eine Personalentscheidung, die Hoffnung macht. Für viele unverständlich, saß der 25-jährige Außenbahnspieler unter Keller oft nur auf der Bank. Stattdessen stand Akaki Gogia in der Startelf - ohne annähernd entsprechende Leistungen auf den Platz zu bringen.

Das Unentschieden von Kiel ist mehr als nur der erste Punktgewinn im dritten Spiel unter Hofschneider. »Wir haben gesehen, dass wir nach einem Rückstand zurückkommen können, das sollte uns Mut geben«, sagte Kapitän Felix Kroos, nachdem ein 0:2 aufgeholt wurde. Solch ein Erlebnis hatten die Spieler zuletzt im August gegen Arminia Bielefeld. Danach hieß es immer: Führt der Gegner 1:0, verliert Union. Zugleich wurde in fünf Spielen eine Führung verspielt. Das System von Jens Keller war starr, seine Philosophie von Pressing und Umschaltspiel nicht variabel genug und die Mannschaft somit nicht in der Lage, auf neue Situationen zu reagieren. In Kiel kämpfte sich das Team zurück und fand mit einem gestärkten Mittelfeld und mehr Ballbesitz zu Ruhe und Sicherheit. Ansätze davon waren auch schon in den ersten beiden Spielen unter Hofschneider zu erkennen, nach sieben Wochen gemeinsamer Arbeit scheint es immer besser zu funktionieren.

Den nächsten Beweis können Trainer und Mannschaft an diesem Freitag erbringen, im Heimspiel in der Alten Försterei gegen Nürnberg. Sollte dann auch im achten Spiel in Folge kein Sieg gelingen, wird sich die Fußballwelt in Köpenick ganz normal weiterdrehen. Weil André Hofschneider wohltuende Ruhe auch wieder in den Verein gebracht hat. Natürlich will auch er gewinnen. Aber den Unterschied zwischen Wort und Tat betont er bei fast jeder Gelegenheit - und konfrontiert damit nicht nur seine Spieler mit dem Gegensatz von Anspruch und Wirklichkeit, sondern den ganzen Verein. Kapitän Kroos sagt es so: »Über den Aufstieg brauchen wir nicht mehr groß reden.«

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