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Zu viel »Krieg« für einen Karnickelverein
Folge 129 der nd-Serie »Ostkurve«: Dynamo Dresden setzt auf Traditionspflege statt auf neue Marketingzielgruppen
Kurz vor Anpfiff zeigte der K-Block das erste Mal, wozu er imstande ist: Als ein schmächtiger junger Mann aufs das Tor zutrabte, explodierten die Dezibelzahlen. Pädagogisch wertvoller Applaus für einen 19-Jährigen, der im schweren Heimspiel gegen den FC St. Pauli (1:3) sein Zweitligadebüt geben musste?
Das auch. Vor allem aber war es Anerkennung für einen Akteur, der so ist, wie sich Fans von Flensburg bis Burghausen ihre Spieler erträumen: Markus Schubert, der Nachwuchskeeper der SGD ist glühender Dynamo-Fan. Kein Wappenküsser, sondern einer, der jahrlang selbst in der Kurve stand, mittendrin - eben im K-Block. Und einer, bei dem das Spuren hinterlassen hat. 2014 hatte der damals 16-Jährige ein Angebot von RB Leipzig.
Das war - man muss das eigentlich nicht dazuschreiben - finanziell ausgesprochen lukrativ. Doch Schubert blieb. »Mein Traum ist es, irgendwann als Nummer eins im Tor vor dem K-Block im Dynamo-Stadion zu stehen. Und dafür werde ich weiter alles geben.« Für so jemanden geben auch die Fans alles. Er tickt ja wie sie.
Es sind Erlebnisse wie diese, die Dresdens Sportdirektor Ralf Minge Mut machen. Spätestens als sich der mit Unsummen finanzierte Aufstieg von RB Leipzig Richtung Bundesligaspitze abzeichnete, war schließlich auch Dynamos Verantwortlichen bewusst, dass sie ein Problem bekommen würden. Klar, die Hardcore-Fans in der Kurve, den Rentner aus Striesen und den Ultra aus Freital würden ihnen die Roten Bullen nicht abspenstig machen. Aber was ist mit den nur vage Fußballinteressierten, die zwei-, dreimal im Jahr zu Dynamo kamen, aber so gerne einmal die Bayern sehen würden? Was mit den mittelständischen Sponsoren? Den sächsischen Talenten, denen man es nicht mal übel nehmen kann, wenn sie nach einer Führung durchs brandneue Leipziger Nachwuchsinternat mit großen Augen einen Vertrag mit großen Zahlen unterschreiben?
Dynamo hatte also ein Problem. Und löste es auf ungewöhnliche Art. Anstatt sich von Marketingexperten etwas von »Markenkernen« und »neuen Zielgruppen« erzählen zu lassen, schaute man nach innen. Dorthin, wo eine Fanszene schon mehr als einmal dem Verein die Existenz gesichert hatte. Durch freiwillige Erhöhungen der Ticketpreise, durch Sonderumlagen und Solidaritätsaktionen kamen Millionen zusammen. Oft waren es die Millionen, die den Verein vor der Insolvenz retteten.
Man kann das, was in Dresden passiert, mit Begriffen wie »Identifikation« und »Tradition« zusammenfassen. Aber die klingen nach Karnickelzüchtern und Trachtenumzug, dabei können sie im Fußball elementar sein. Christian Streich arbeitet seit Menschengedenken beim SC Freiburg, weil er sich mit dem Verein »identifiziert«. Ginge es dem Mann nur ums Geld, wäre er längst woanders. Und »Tradition«? Die artikuliert sich in Dresden auch darin, dass die Porträts der Ehrenspielführer unterm Tribünendach hängen - und dass das vom 15- bis zum 85-Jährigen auch jeder genau so haben will. Dynamo ist kein Karnickelverein, sondern ein Mehr-Generationen-Projekt, in dem die Anekdoten, die der Opa erzählt, und die, die der Urenkel beiträgt, die Sozialgeschichte einer Region abbilden.
Und es ist ein Verein, der seit der Wende eine bemerkenswerte Geschichte hingelegt hat. Weniger sportlich. So bemerkenswert ein Aufstieg von der dritten in die zweite Liga sein mag - ein achtfacher DDR-Meister und mehrfacher Europapokalteilnehmer druckt so etwas nicht auf Briefköpfe. Dennoch wird Dynamo bundesweit als »großer Verein« wahrgenommen, gezählt in der Währung, die viele für aussagekräftiger halten als Etatzahlen und Tabellenplätze: 28 300 Zuschauer kommen im Schnitt zu den Heimspielen, auswärts ist der Gästeblock voll. Wenn es um beeindruckende Choreografien oder die Dezibelzahlen bei Heimspielen geht, macht Dynamo bundesweit sowieso niemand etwas vor.
Vielleicht ist das ja der Grund, warum einige Dynamofans negative Schlagzeilen als Selbstbestätigung zu brauchen scheinen: Wie beim martialisch anmutenden Fanmarsch in Karlsruhe, bei dem Polizisten Knalltraumata davontrugen und ein Getränkestand geplündert wurde. Für die Szene war es eine aufsehenerregende Demonstration unter dem Motto »Krieg dem DFB«, uniform in Flecktarn - also so medienwirksam wie möglich inszeniert.
Der Rest ist eine Frage der Wahrnehmung, wie so oft, wenn es um Dynamo geht: Die Fans sagen, es habe »nur« wenige Leichtverletzte gegeben, von denen angeblich jeder weiterarbeiten konnte. Der Staat fährt derweil Geschütze auf, die weit martialischer wirken als Flecktarn-Shirts, obwohl er angeblich nur wegen Landfriedensbruch ermittelt. Razzien bei 28 Personen, darunter der kompletten ersten Reihe von »Ultras Dynamo« waren die Folge monatelanger Ermittlungen gegen die Gruppe. Eine Frage, die sich die Behörden offenbar nicht gestellt haben, ist die nach den Folgen ihrer Ermittlungsstrategie. Denn es gibt sie natürlich noch in der Dresdener Fanszene, die Pegida-Sympathisanten, aber auch die knallharten Nazis. Nur dass sie seit einigen Jahren in der Kurve nicht mehr den Ton vorgeben. Doch das kann sich jederzeit wieder ändern.
Dass von den Razzien auch Menschen betroffen waren, die nachweislich gar nicht in Karlsruhe waren, wirft jedenfalls Fragen auf. Fragen, die vielleicht der Trabant beantworten kann, der im Dezember ebenfalls sichergestellt und nach der von der Staatsanwaltschaft Karlsruhe geleiteten Razzia als »Tatmittel« ins Badische überführt wurde. Gerüchten zufolge verweigert das störrische Gefährt bislang allerdings hartnäckig die Aussage.
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