Braucht Neustrelitz sein Schloss wieder?
Mecklenburg-Vorpommern: 1945 brannte der barocke Adelssitz in der Residenzstadt ab - nun wirbt eine Stiftung für den Wiederaufbau
Ein altes Streitthema mit der SPD/CDU-Landesregierung in Schwerin kommt am Montag in Neustrelitz (Kreis Mecklenburgische Seenplatte) wieder auf den Tisch. Die Stiftung Mecklenburg hat zum »Gedankenaustausch« über das Areal des 1945 abgebrannten Schlosses am restaurierten Park geladen, wie der Vorsitzende des Stiftungsrates, Henry Tesch (CDU), sagt. Tesch war längere Zeit Kultusminister in Schwerin. Unterstützung komme dabei aus der Bundeshauptstadt. Ein Redner werde der Geschäftsführer vom Förderverein Berliner Schloss, Wilhelm von Boddien, sein.
Boddien soll von seinen Erfahrungen beim Bau des Humboldt-Forums berichten, das an das Berliner Stadtschloss erinnert. »Verrückte Ideen sind durchsetzbar - oder wie man Freunde dafür gewinnt«, heißt sein Thema. Tesch, jetzt Leiter am Gymnasium Carolinum, gehört zu einer Gruppe von Politikern, die sich auch für Neustrelitz einen ähnlichen Schloss-Wiederaufbau wünschen.
»Der Stadt fehlt seit Jahrzehnten der Kopf«, verdeutlicht Stadtpräsident Christoph Poland. Auch Historiker sehen die Bedeutung des einstigen barocken Schlosses auf einer Stufe mit den großherzoglichen Schlössern im früheren Mecklenburg-Schwerin. Doch Landesfinanzminister Mathias Brodkorb (SPD) ist anderer Auffassung - das Land ist Rechtsnachfolger für die vielen Adelsimmobilien und deren Eigentümer. Nach Ansicht seines Ministeriums »sind alle Argumente ausgetauscht.« Nach jahrelanger Planung soll der Landesbetrieb für Bau und Liegenschaften (BBL) den fast zugewachsenen Schlosskeller ab März zur »Konservierung« auffüllen. Dafür sind rund 1,2 Millionen Euro vorgesehen. »Das Kellergelände wird beräumt, vorsichtig untersucht, gesichert und soll dann mit einem speziellen Fließsand verfüllt werden«, beschreibt es Liegenschaft-Sprecher Christian Hoffmann. So könnten spätere Generationen den Sand herausholen, falls sie einen Wiederaufbau oder Anderes planten.
Einen »Schildbürgerstreich« nennen das die Schloss-Befürworter. »Im Westen Mecklenburgs fließt Geld nach Ludwigslust, Bothmer, Güstrow und Schwerin und in Vorpommern bald nach Ludwigsburg«, erklärt Poland. Da falle die Region Mecklenburg-Strelitz als ein wichtiger Teil des Landes anscheinend »hinten runter.« Das könne man nicht hinnehmen. Tesch betont: »Wir wollen alle möglichen Varianten noch mal diskutieren und durchspielen.«
Das Großherzogtum hatte durch geschickte Heiratsstrategie Verbindungen in ganz Europa. Das Neustrelitzer Schloss wurde zwischen 1726 und 1731 gebaut und später erweitert. Eine besondere Rolle kam ihm am 29. Januar 1919 zu. Nach dem Ende der Monarchie 1918 beschloss das Parlament des Freistaates Mecklenburg-Strelitz das Landesgrundgesetz, erläutert Tesch. Dies gelte als erste demokratisch-parlamentarische Verfassung auf deutschem Boden nach Ende der Adelsherrschaft. Das Schloss brannte im April 1945 ab. 1949/50 wurden die Ruinen abgetragen.
Auch das Stadtparlament hatte sich mit dem Thema befasst, einen Beschluss dazu aber vertagt, weil man das Forum abwarten wollte. Das Finanzministerium verweist immer wieder darauf, dass Millionengelder des Landes in die Residenzstadt geflossen seien. Dem Land gehören unter anderem die Orangerie, das Theater, mehrere weitere denkmalgeschützte Gebäude und der komplette Schlosspark.
Das lässt Stadtpräsident Poland nicht gelten. Brodkorb habe schon die »unsägliche Theaterreform« eingeleitet, die vor allem Neustrelitz geschadet hätte. Sie ist derzeit auf Eis gelegt, man verhandelt ein Kooperationsmodell. Das würde beim Schloss nicht gehen. Zum Forum der Stiftung will das Finanzministerium nicht kommen, auch BBL-Vertreter nicht. Landespolitik ist aber vertreten: Die Landesvorsitzenden Vincent Kokert (CDU) und Torsten Koplin (LINKE) haben sich angesagt. dpa/nd
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