Pippi will ihre verdammten Beine nicht rasieren

Wenn sich frau die Beine epiliert, wachsen ihr Unterhauthaare! Ist es das, was ihr wollt?

  • Elsa Koester
  • Lesedauer: 5 Min.

Eigentlich führen wir eine ganz harmonische Beziehung, aber jeden Morgen unter der Dusche kommt es zum Streit. »Rasier dir endlich mal die Beine«, sagt sie, »das sieht furchtbar aus! Dreckig und ungepflegt!« Sie ist meine kleine Prinzessin, aber sie hat nicht allein das Sagen. »Haare sind nicht dreckig«, zischt Pippi dann nämlich zurück. »Die wachsen da nun mal. Was ist das für eine Gesellschaft, in der Frauen so tun müssen, als wüchsen ihnen keine Haare am Körper?«

Pippi Langstrumpf und die kleine Prinzessin haben sich früher mal gut verstanden. Bis ich zwölf war. Da bekam die Prinzessin langsam mit, dass da etwas ist, das nicht dort sein darf. »Du musst dich rasieren!«, sagten meine Freundinnen und wedelten mit der »Bravo«. Ein Jahr später wollte auch mein erster Freund weibliche Beine – an seiner ersten Freundin. Und so saßen die beiden zusammen im Bad und zankten, mein Pippi-Langstrumpf-Ich und mein »Bravo«-Prinzessinnen-Ich. Die Prinzessin siegte, Pippi verließ stampfend das Bad und knallte die Tür hinter sich zu, dass der Rasierschaum wackelte. Und so begann sich die Prinzessin zum ersten Mal daran zu machen, Beine zu schaffen, die dem Mann an ihrer Seite würdig waren.

Unterhauthaare

Unterhauthaare sind das, was nicht sein darf. Sie jucken, kratzen, pieksen und sind überaus hässlich. Borstig. Dreckig. Peinlich. Weil die Gesellschaft etwas ganz anderes von Frauen erwartet: Glatt zu sein. Geschmeidig. Und rein. In dieser Serie erscheinen feministische Kurzgeschichten und Kolumnen über das, was unter der Haut wächst. Garstiger Widerstand gegen die sexistische Oberfläche: gegen den Überhautdreck.

Alle Artikel dieser Serie finden Sie unter: dasND.de/unterhauthaare

Pippi ist seither ganz schön aufgebracht. Sie schnappt jedes Mal ein, wenn die Prinzessin mit seidenglatter Haut aus der Dusche schreitet. Ein sanfter Film aus Aloe Vera umhüllt die babypopoweiche Haut, ultrateure Viererklingen, die pinken für Ladys natürlich, wer will schon die billigen blauen, haben auch das kleinste Haar entfernt. »Ganz toll. Du unterwirfst dich den Blicken wildfremder Männer auf der Straße, das ist ja mega emanzipiert«, schnauzt Pippi dann. Die Prinzessin weiß sie aber mit nach Kokos duftender Bodylotion zum Schweigen zu bringen, denn Kokos mag auch Pippi voll gerne. Wegen der Pirateninseln und Palmen und so.

Aber dann, der nächste Morgen. Da hat sich die Seidenhaut plötzlich in ein Reißbrett verwandelt. Von wegen Venus. Eher Säufer-Dreitage-Bart. Pippi klatscht freudig in die Hände: »Krass, sieht voll nach Piratin aus!« Die Prinzessin findet das gar nicht lustig. Panisch greift sie zum Rasierer und versucht, alle Spuren dieser schwarzen Borsten zu beseitigen. Doch die Liebe des ersten Morgens ist weg. Es zwickt und brennt. Nichts zu machen: Die Beine sehen aus, als hätten sie die Masern. »Super. Jetzt holst du dir vom dem Scheiß einen Ausschlag«, nölt Pippi. »Das sieht jetzt natürlich viel besser aus als vorher.«

Ich bringe beide zum Schweigen, Pippi und die Prinzessin, sie gehen mir gehörig auf die Nerven. Dafür ziehe ich eine dritte Frau zu Rate, die erfahrene »Brigitte«. In der »Bravo« für erwachsene kleine Prinzessinnen steht: Rasieren ist eh Quatsch. Frau muss epilieren. Die männlichen Haare, die am weiblichen Körper nicht sein dürfen, gleich ganz rausreißen. Schmerzt zwar höllisch, aber da gibt es ein paar Tipps und Tricks: Einfach vorher zwei Gläser Rotwein reinkippen, »klappt ganz prima, tut gar nicht mehr weh!«, schreibt Uta D. aus Düsseldorf, oder vorher mit einem Eispad kühlen, »das betäubt, da merkt man nichts mehr, und die Pads gibt’s ganz praktisch von den Herstellern dazu«, schreibt Dorothea M. aus Kiel.

Ganz prima. Ich epiliere. Und gleich sind meine Beine gar nicht mehr so blass wie sonst, sondern haben eine krebsrote Farbe angenommen. Die Schmerzen bringen uns um den Schlaf, Pippi und die Prinzessin wälzen sich hin und her, darum bemüht, möglichst wenig Beinhaut mit der Decke oder dem Laken in Berührung zu bringen. Wein und Kühl-Pads, von wegen, schnauzen sie »Brigitte« an. Erzähl das mal unseren Knöcheln! Und den Kniekehlen! Und überhaupt: Wenn die Haare nachwachsen, wachsen sie so richtig schön in die Haut rein. Unter-Haut-Haare! Ist es das, was du willst, »Brigitte«?

Aber »Brigitte« lässt sich nicht aus der Ruhe bringen. Iwo, sagt sie, die kann man ganz einfach wegbekommen. Musst nur peelen. Die drüber gewachsene Haut wegreißen. Mit so Reißbrett-Schwämmen. Gibt's ganz praktisch von den Herstellern dazu!

Ich denke an meine Oma: Wer schön sein will, muss leiden, hat sie immer gesagt. Ich denke an Judith Butler: Geschlechterideale werden kulturell produziert und können dekonstruiert werden, hat die immer gesagt. Ich denke, dass es ziemlich leicht ist, Geschlechterverwirrung zu stiften: Vagina haben, Beine nicht rasieren, und schon weiß keiner mehr, was los ist. Ich denke an Pippi Langstrumpf und dass sie viel cooler ist als Prinzessinnen, weil sie ein ganzes Pferd hochheben kann und immer frische Limo im Baum findet.

Pippi setzt sich durch. Wegen der Limo und wegen der Geschlechterverwirrung, sage ich zur Prinzessin, aber eigentlich bin ich einfach viel zu faul für den Scheiß. Nicht rasieren heißt zehn Minuten länger schlafen. Die Haare, die nicht sein dürfen, sind einfach. Nur wenn dieses hotte Girl in Pants mit perfekten Venus-Beinen in der U-Bahn angeekelt schaut, erst auf meine Beine, und dann in mein Gesicht, wird Prinzessin ganz rot und wendet sich schluchzend ab. »Nimm halt den scheiß Rasierer«, schnauzt Pippi dann, denn eigentlich ist sie selbst ganz weich, unter den harten Stoppeln.

Wir-schenken-uns-nichts
Unsere Weihnachtsaktion bringt nicht nur Lesefreude, sondern auch Wärme und Festlichkeit ins Haus. Zum dreimonatigen Probeabo gibt es ein Paar linke Socken und eine Flasche prickelnden Sekko Soziale – perfekt für eine entspannte Winterzeit. Ein Geschenk, das informiert, wärmt und das Aussteiger-Programm von EXIT-Deutschland unterstützt. Jetzt ein Wir-schenken-uns-nichts-Geschenk bestellen.
- Anzeige -
Dazu passende Podcast-Folgen:

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.