»Theater ist Spielen. Fertig.«
Ulrich Matthes über Rollenklischees im Beruf des Schauspielers
Herr Matthes, die Ausstrahlung von »Die verschwundene Frau« wurde mehrfach verschoben. Als er in der ARD laufen sollte, spielten Sie am Hamburger Thalia-Theater den König in »Don Carlos« ...
Herrliche Rolle, weil Schiller den mächtigsten Mann in seiner ohnmächtigen Einsamkeit schildert. Als ich die Perücke auf meinem Kopf sah, dachte ich an Donald Trump. Aber ich drohe in Exkurse abzuschweifen, dazu neige ich.
Nur zu.
Ich finde das Menschliche an der Macht ungeheuer interessant. Auch im Film. Uninteressant wird es da erst, wenn Figuren nach kurzer Zeit glasklar sind. Aber am Ende obliegt es uns als Schauspieler, sie in ihrer Ambivalenz zu zeigen, also so, wie Menschen nun mal auch sind.
So wie Ihr Bruno in »Die vermisste Frau« einer ist?
Ja, ein Profikiller, der mit seinem Opfer auf dem Balkon übers Leben sinniert und dabei fast erotische Empathie entwickelt. Toll! Auch weil er so eigenbrötlerisch ist und schweigsam. Mir fällt dazu gerade der von mir hochverehrte Edward G. Robinson ein. Solche Typen hat’s immer gegeben.
Bietet man Ihnen solche Typen verstärkt an?
Ja, alle Schreckensgestalten dieser Welt. Ich wäre fast geneigt, leider zu sagen. Aber da stört mich die Larmoyanz. Weil manche Regisseure etwas fantasielos sind, spiele ich so gern Theater. Dort werde ich abwechslungsreicher besetzt, etwa als Willy Loman im »Tod eines Handlungsreisenden«.
Vielleicht liegt die Fantasielosigkeit der Regisseure ja an Ihren Augen, die übel bohren können.
Ist vielleicht so. Aber ich übe vorm Spiegel keine Blicke. Mir geht es immer um Wahrhaftigkeit für mich, die Figur und ihr Spiel. Ich genieße zwar den Status, Dinge abzulehnen, die mir zu eindimensional sind, habe aber wenig Einfluss darauf, was man mir anbietet.
Jetzt reden Sie Ihren Einfluss klein!
Nein! Man kann Wünsche äußern, das tue ich auch. Sie werden aber selten erhört, weil Regisseure Rollen gemäß ihrer Vorstellung besetzen. Am Ende vieler Arbeiten wird mir zum Beispiel immer versichert, wie lustig ich sei und wie gern sie mal eine Komödie mit mir machen würden. Ich sag dann immer: Mach doch! Und warte. Und warte. Das ist auch die Crux von Christoph Waltz in »Inglourious Basterds« - fantastische Figur, aber seither spielt er sie immer und immer wieder. Ein Dilemma.
Oder ein Geschenk. Offenbar besteht Bedarf nach solchen Charakteren und niemand füllt sie besser aus als er und Sie.
Das mag ja sein. Aber ich bin doch Schauspieler geworden, um mich zu verwandeln. Ich hoffe zwar, schon wegen dieses eindrücklichen Gesichts mit diesen wahnsinnig intensiven Augen - Klammer auf: Lacht! Klammer zu - unverwechselbar zu sein. Trotzdem würde ich gern was Ulkiges mit dicker Hornbrille und schiefer Nase spielen. Herrlich, her damit! Aber ich suche generell auch in ernsten Rollen nach Humor. Keine Ironie, so sehr ich sie privat schätze. Ironie ist Mogelei, um echte Emotionen zu unterlaufen, statt sich dazu zu bekennen. Gerade in dieser politisch aufgeheizten Zeit sollten Künstler Tacheles reden. Man muss nicht jeden Stoff daraufhin abklopfen, wie er sich zu AfD oder Trump verhält. Aber wenn er es tut, bitte mit Klartext. Postmoderne ist over.
Spielen Sie lieber Figuren, von denen Sie innerlich auch überzeugt sind?
Schon weil ich als Kind Lehrer werden wollte, habe ich einen ausgeprägten pädagogischen Eros, emotional wie intellektuell etwas zu erreichen bei meinem Publikum. Dafür muss ich mit der Figur allerdings weder emotional noch intellektuell übereinstimmen, im Gegenteil. Als Schauspieler suche ich das Fremde in mir.
Spielen Sie Ihre Rollen oder verkörpern Sie sie bloß?
Ersteres, mit der höchsten Konzentration und Leidenschaft eines Kindes, das aus Cowboy oder Indianer heraustritt, sobald Mama zum Mittagessen ruft. Meine Identifikation mit einer Figur ist total, aber momentan und vergänglich. Ist das zu theoretisch? Wenn ich mir zuhöre, denke ich mitunter: alles Quatsch. Theater ist Spielen. Fertig.
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