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Revolution in Sex und Arbeit
Elsa Koester meint, dass die MeToo-Bewegung das Patriarchat in Gänze angreift: kulturell und ökonomisch
Wow, da geht es um Sex, um Flirten und Geschlechter, ja sogar um dreckige Geschichten am Arbeitsplatz! Die bürgerlichen Feuilletons sind Feuer und Flamme für die MeToo-Debatte - kein Wunder, berührt sie doch die Lieblingsthemen westlicher Kultur: Arbeit und Sex. Vielleicht ist das der Grund, warum sich die Linke schwer tut mit diesem Kampf. Was die Bürgerlichen beschäftigt, kann keinen linken, emanzipatorischen Anspruch haben, sondern muss - nun ja, eben bürgerlich sein. Dabei greift die aktuelle Frauenbewegung gerade durch die Verbindung von Arbeit und Sex das Patriarchat als allumfassendes, weltweites Machtsystem in seinem Kern an - und ist damit revolutionär.
Zugegeben: Frauen, die mit ihrem Smartphone in der Hand 280-Zeichen-Tweets über ungewollte Hände auf ihrem Po schreiben, sehen nicht wie Revolutionärinnen aus. Zumindest nicht für Bilderbuch-Marxisten, die nach Industriearbeitern mit Schirmmützen Ausschau halten und an das beliebte Märchen Streik - Enteignung - Vergesellschaftung der Produktionsmittel - voilà, befreite Gesellschaft! glauben.
Aber es gibt durchaus einige Argumente, die MeToo-Bewegung als revolutionär zu bezeichnen. Frauen weltweit (immerhin in 85 Nationen!) verweigern sich ihrer Rolle als Unterworfene. Sie bestreiken ihre grundsätzliche sexuelle Verfügbarkeit, aber auch viel mehr als das: Sie widersetzen sich der Abhängigkeit von Männern, männlichen Vorgesetzten, Kollegen und Förderern. Damit widersetzen sie sich dem patriarchalen System, das auf der Abwertung von Frauen beruht - auf kultureller wie ökonomischer Ebene.
Die Abwertung der Frau drückt sich ökonomisch darin aus, dass ihrer Arbeit weniger Wert beigemessen wird als der des Mannes. Dass »weibliche« Arbeiten wie Erziehung, Pflege, Sorge schlecht bezahlt werden oder ganz ins Private und damit Unbezahlte abgeschoben werden. Dass Frauen auf dem Arbeitsmarkt aus Führungspositionen herausgehalten werden. Es ist unter anderem die patriarchale Strukturierung des Arbeitsmarktes und die Aufteilung von privater Sorgearbeit und Lohnarbeit, die Geschlechterungleichheit zu einem Hauptwiderspruch macht.
So sind auch die Kämpfe der IG Metall um eine 28-Stunden-Woche als Folge feministischer Auseinandersetzungen zu sehen. Denn wenn eine Frau nicht mehr abgewertet wird, wenn also Sorgearbeit aufgewertet und ebenso wie Lohnarbeit gerecht zwischen den Geschlechtern verteilt wird - dann ist eine 40-Stunden-Woche nicht mehr haltbar. Das merken auch die Metaller: Wenn sie nach acht Stunden nach Hause kommen, sind Kochen, Wäsche waschen, Küche putzen, Kind ins Bett bringen auf Dauer nicht mehr drin.
Während sich in den Feuilletons reaktionäre Männer und Frauen wegen des Feminismus noch Sorgen um die Kultur des Flirtens machen, stoßen feministische Auseinandersetzungen also längst in die Auseinandersetzungen zwischen Arbeit und Kapital um den Arbeitstag vor (für die Marxisten: Das Kapital Band I, Kapitel 8.). Doch auch wenn der Kampf um die geschlechtsspezifische Arbeitsverteilung ökonomisch geführt werden muss - die gesellschaftliche Akzeptanz der patriarchalen Arbeitsstruktur wird kulturell hergestellt. Wird diese sexistische Kultur bestreikt, hat dies fundamentale Folgen für die patriarchale Ordnung.
Ein leider gängiges Mittel, die männliche Dominanz in der Arbeitswelt aufrecht zu halten, ist der Missbrauch von Sexualität. Schlaf mit mir, erkenne meine Macht an, dann darfst du auch arbeiten - aber nur so viel, wie ich es zulasse: Denn der Bestimmer bleibe ich, meine Macht, meinen Penis hast du zu achten, sonst kann ich dir alles wieder wegnehmen. Dass sexualisierte Gewalt so häufig in Verbindung mit dem Arbeitsplatz auftritt: kein Wunder. Das Patriarchat sitzt an der Schnittstelle zwischen Bevölkerungsregulierung und Arbeitsorganisation, an der Lenkstelle der Macht: zwischen Sex und Arbeit.
Die aktuellen feministischen Kämpfe sind damit doppelt revolutionär: Einerseits bringen sie durch die Verweigerung weiblicher Unterwerfung und männlicher Herrschaft das Patriarchat zum Einsturz. Andererseits mischen sie durch die Verweigerung patriarchaler Arbeitsteilung den Kapitalismus auf. Wer dieses revolutionäre Potenzial verkennt, ist anachronistischer Romantiker. Wer es den Feministinnen abspricht und MeToo als bürgerlichen Klatsch klein redet, ist konterrevolutionär.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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