Der Schwindel von der Grundrente
Ulrich Schneider: Nicht mehr als »Sozialhilfe plus«
Zu den »Erfolgen«, die die SPD als Ergebnis der Sondierungen und der Koalitionsverhandlungen mit CDU und CSU auflistet, gehört auch die Einführung einer »Grundrente« für langjährig sozialversicherungspflichtig Beschäftigte mit geringen Rentenansprüchen. Was für SPD-Chef Martin Schulz ein Beleg dafür ist, dass man »gerade im Bereich der sozialen Verbesserungen extrem viel durchgesetzt« habe, ist nach Ansicht von Ulrich Schneider, Hauptgeschäftsführer des Paritätischen Gesamtverbands, »dreister Etikettenschwindel«.
In der Tat handelt es sich bei der »Grundrente« eben nicht um eine gesetzliche Alterssicherung, auf die man aufgrund sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung und anrechenbarer Ersatzzeiten wie Erziehung und Pflege als eigenständigen Anspruch erwirbt. Wie bei der Hartz-IV-Grundsicherung und der Sozialhilfe werden sowohl Einkünfte von Lebenspartnern als auch eigene Ersparnisse und Vermögenswerte mit dem möglichen Anspruch verrechnet. Der Freibetrag beträgt lediglich 5000 Euro.
Nur zusätzliche Einkünfte aus privaten Rentenversicherungen sollen bis zu einer noch nicht bezifferten Obergrenze anrechnungsfrei bleiben. Allerdings können vor allem Menschen mit geringen Einkünften und niedrigen Rentenansprüchen kaum privat vorsorgen. Eine Grundrente, so Schneider, wäre dagegen »ein Anspruch, der ganz unabhängig von weiteren Einkommen oder Vermögen erworben wird. Das hier ist keine Rente, sondern eine ›Sozialhilfe plus‹ für lediglich einen kleinen Teil der von Armut bedrohten Menschen.«
Auch die Höhe der »Grundrente« orientiert sich an Hartz IV. Vorgesehen ist ein zehnprozentiger Aufschlag auf den Regelsatz und die regional unterschiedlich gedeckelten Sätze für Wohnkosten. Im Durchschnitt würde dies eine Erhöhung der monatlichen Leistung von 800 auf 880 Euro bedeuten. Aber nur, wenn mindestens 35 Jahre Beiträge für die gesetzliche Rentenversicherung bezahlt wurden oder Ersatzzeiten zu berücksichtigen sind.
Rund eine Million Menschen beziehen derzeit die Hartz-IV-Grundsicherung im Alter. Durch die Voraussetzung von 35 Beitragsjahren schätzt der Paritätische Gesamtverband jedoch, dass nur rund 20 Prozent der armen und alten Menschen Anspruch auf den zehnprozentigen Zuschlag haben werden. Und die »Generation prekär« mit gebrochenen Erwerbsbiografien und langen Zeiten der unversicherten Soloselbstständigkeit wird künftig einen stetig wachsenden Anteil der Ruheständler ausmachen.
Wie es anders geht, demonstriert das Nachbarland Österreich. Dort gibt es eine Art Bürgerversicherung für alle Erwerbseinkommen, also auch für Selbstständige. Das gesetzliche Rentenniveau ist deutlich höher als in Deutschland. Ein Durchschnittsrentner enthält in Österreich monatlich 1436 Euro, (in Deutschland 909 Euro). Bei Erwerbsminderungsrenten betragen die unterschiedlichen Werte 1322 gegenüber 808 Euro. Aber vor allem gibt es eine Basisabsicherung für Pensionäre mit niedrigen Renten. Wer bei Erreichung des Rentenalters 30 Versicherungsjahre nachweisen kann, hat Anspruch auf knapp 1200 Euro pro Monat. Angerechnet werden alle Einkünfte aus Erwerbsarbeit, Ersparnisse dagegen nicht.
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