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Keine gemeinsame Vision von Europa
Gabriele Zimmer über die Linke und die LINKE und deren Leerstellen in Sachen europäische Integration
Bis zu den nächsten Europawahlen. ist es noch ein gutes Jahr. Was kann die GUE/NGL-Fraktion auf der Haben-Seite vorweisen?
Es gibt eine ganze Reihe von Erfolgen. Wir haben im Sozialbereich einiges erreicht, auch beim Thema Handel. In der Debatte zur Energieunion haben wir die entscheidenden Stimmen geliefert für klare Forderungen an Rat und Kommission, insbesondere, was Zielverpflichtungen in den einzelnen Mitgliedsländern betrifft. Die eigentlich brisante Frage ist aber: Was wird davon umgesetzt? Wie schaffen wir es, die Brücke zu schlagen zwischen dem, was wir im Europäischen Parlament an Forderungen beschließen, und der politischen Umsetzung auf EU-Ebene und in den Mitgliedstaaten? Wenn die parlamentarischen Ebenen enger zusammenarbeiten würden, könnten wir in den Beratungen im Rat, also dem Gremium der Regierungen, sagen: Seht, wir haben eine Position, die mit der Mehrheitsmeinung auch in euren Ländern übereinstimmt. Das würde den Druck auf die Regierungen erhöhen. Denn letztlich ist es immer noch so, dass der Rat die entscheidende Instanz ist. Und wenn dort blockiert wird, dann kommen wir an vielen Stellen nicht weiter.
Gibt es eine solche Kooperation der parlamentarischen Ebenen bei den Linken?
Das ist sehr unterschiedlich, die Mitgliedsparteien bei uns in der Fraktion haben ein ganz unterschiedliches Verständnis ihrer parlamentarischen Arbeit. Wir haben Parteien, die schicken de facto jede wichtige Entscheidung, die sie hier im Parlament mit treffen müssten, erst mal nach Hause an ihr Politbüro und lassen die Partei dazu die Linie festlegen, von der sie dann nicht abweichen. Und es gibt andere, da existiert bereits eine echte, enge Kooperation. Bei den Nordisch-Grünen ist das beispielsweise so.
Wie sieht es bei der deutschen LINKEN aus?
Da habe ich Hoffnungen. Die Bundestagsfraktion hat jetzt ihre Ausschussmitglieder und Sprecher*innen festgelegt. Durch die andauernde Regierungsbildung in Berlin hat sich einiges verzögert, das waren für uns wichtige Monate, in denen wir mit der Abstimmung von Positionen in der Luft hingen.
In den vergangenen Jahren lief die Zusammenarbeit also nicht reibungslos?
Es war sehr widersprüchlich. Es hängt immer von Personen ab, davon, welche Fachpolitiker aus dem Bundestag für sich erkennen, dass diese Kooperation sehr wichtig für beide Seiten ist. Ich formuliere es mal positiv: Es sind neue Leute da, es ist eine neue Fraktion. Und wir haben die gemeinsame Verantwortung, dass wir unsere Positionen angleichen und gemeinsam handeln.
Warum wird das Thema Europa in Deutschland so wenig wahrgenommen, von allen Parteien?
Das hängt mit den politischen Akteuren selbst zusammen und mit dem Selbstverständnis der meisten Parteien. Europapolitik ist nach wie vor lediglich als Außenpolitik in den Parteistrukturen verankert. Wahlkämpfe werden so geführt, als würden sie in einem engen abgeschotteten Raum geführt und hätten nichts, aber auch gar nichts mit der Europäischen Union zu tun und mit der Rolle, die beispielsweise die Bundesrepublik spielt für die Entwicklung in der EU. Und ebenso mit den Rückwirkungen, die es von dort für nationale Politik gibt. Als Martin Schulz Spitzenkandidat der SPD wurde, hatten wir gehofft, dass er mit seiner Agenda die anderen Parteien zwingt, im Wahlkampf Stellung zu Europa zu nehmen. Leider hat er diese Gelegenheit verpasst. Jetzt wirkt es etwas merkwürdig, wenn er quasi als Notnagel damit ankommt, um wenigstens in einer Frage noch eigenes Profil zu zeigen.
Befürchten Sie, dass eine Große Koalition den bisherigen Kurs auf eine »deutsche EU« fortsetzen würde?
Ich sehe das so, da die grundsätzliche Einstellung sich nicht gewandelt hat. Gut, man wird gegenüber Griechenland vielleicht einen abgemilderten Kurs fahren, aber die wesentlichen Punkte sind ja ohnehin längst durchgesetzt. Schäuble hat seine Rolle erfüllt, das wird nachhaltige Wirkungen und Folgen haben, nicht nur für die Menschen in Griechenland. Sondern auch für das Grundvertrauen zwischen den Mitgliedstaaten, zwischen den Menschen in der EU. Das wird sich nicht so einfach reparieren lassen.
Ich habe nicht die Hoffnung, dass, wenn es zur Koalition kommt, ein entscheidender Umschwung erfolgt. Gerade auch, weil Martin Schulz, der eigentlich als Protagonist gelten könnte für eine andere Europapolitik, in der Vergangenheit mehrfach gezeigt hat, wie schnell er seine Position ändern kann. Er gehörte mit zu denen, die anfänglich die Spardiktate sehr wohl unterstützt haben. Er war nicht der Kontrahent von Schäuble und Merkel, gerade in der Griechenland-Politik. Da hat sich erst in den letzten Jahren etwas geändert, weil auch er gespürt hat, dass die europäischen Sozialdemokraten in die Abwärtsspirale gerutscht sind. Übrigens nicht zuletzt, weil sie mit den Konservativen und Neoliberalen gemeinsame Sache gemacht haben.
Ich spreche niemandem die Lernfähigkeit ab, habe aber gelernt, dass ohne den Druck auf Veränderungen sich neu gewonnene Erkenntnisse nicht automatisch in Politik umsetzen. Die Rückfallgefahr ist latent hoch.
Stichwort soziales, solidarisches Europa: Abgeordnete der Linksfraktion haben zum »Manifest von Ventotene«, in dem Antifaschisten 1941 die Vision eines geeinten Europas zeichneten, Beiträge gestellt, die die Ideen in die heutige Zeit transformieren. Würden alle Linken in Europa bei der Umsetzung dieser Ziele mitziehen?
Zunächst einmal: Wer das Manifest von Ventotene liest, stellt fest, dass Menschen, die das dunkelste Kapitel europäischer Geschichte am eigenen Leib erlebt haben, mit einer beeindruckenden visionären Kraft Vorstellungen entwickelt haben, wie Europa aus Feindschaft und Kriegen herauskommen könnte. Davon hat das Manifesto nichts eingebüßt. Auch wenn die Bedingungen sich heute vehement unterscheiden: Die Frage der Globalisierung spielt eine völlig andere Rolle, jene von Mobilität, Migration, viele andere Dinge haben sich verändert. Das ist klar. Aber was eben den linken progressiven Kräften, wenn ich es jetzt ganz breit definiere, in den letzten Jahrzehnten absolut gefehlt hat, seit dem Zusammenbruch des Staatssozialismus: Es gibt keine gemeinsame linke Vision für Europa mehr. Es gibt sie einfach nicht.
Spinelli und die Mitunterzeichner des Manifests sprachen von der »sozialistischen Perspektive«. Sie als Chefin der Linksfraktion sagen, dass es keine gemeinsame linke Vision für Europa gibt. Das ist doch ein Armutszeugnis.
Das zeigt vor allem erst einmal, dass wir eine Diskussion verpasst haben. Dass wir vielleicht schon viel eher beispielsweise das Manifest als Anregung, für Visionen hätten nutzen sollen anstatt uns darüber zu zerfetzen, ob die EU nun ein neoliberales Projekt ist oder nicht. Da sind wir uns weitgehend einig. Aber finden wir auch eine Vision, wie unser Europa aussehen soll? Finden wir die Stellen, wo wir ansetzen müssen, um zu einem anderen Europa zu kommen? Manche sagen ja, wer Visionen hat, solle zum Arzt gehen. Aber gerade weil uns die Tagespolitik oft vollkommen in Beschlag nimmt, müssten wir doch auch darüber hinaus sehen wollen. Sonst rackern und rackern wir und wachen eines Tages in einer Welt auf, in der wir jede Anziehungskraft verloren haben und sich Menschen nicht mehr mit uns und unseren Vorstellungen identifizieren. Notwendige Diskussionen führen wir zu wenig. In geschlossenen Zirkeln ja, jeder für sich. Nach der typisch deutschen Methode, wir gehen in eine Diskussion hinein, jeder mit seinem Argument, hören die Argumente an und gehen aber mit unseren eigenen Argumenten wieder raus. Eine ganze Reihe von politischen Akteuren schaut nach wie vor auf sich selbst. Damit verspielen wir die Chance, uns zu öffnen, in einer anderen Form von Kooperation auch neue Wege zu erschließen und vielleicht zu gemeinsamen Erkenntnissen zu kommen. Das Marseille-Forum war dafür ein Anfang.
Die deutsche LINKE spricht gern vom nötigen Neustart der EU. Heißt das Zerschlagung des Bisherigen?
Eine Zerschlagung der EU würde nur den rechten Nationalisten in die Hände spielen. Es entstünde ein Vakuum; und unter dem Wegfall der ja doch vorhandenen sozialen und rechtlichen Regularien hätten vor allem die Schwächsten der Gesellschaft zu leiden. Das ist eine große Gefahr. Denken Sie daran, was passiert ist nach der Wende, als der RGW zusammenbrach und Strukturen wegfielen. Es ist ein großes Loch entstanden, Deindustrialisierung und sozialer Kahlschlag waren Folgen. Wer glaubt, dass er bei einem solch verflochtenen System wie der EU nur etwas durchhacken müsse und dann werde es schon wieder, unterliegt einer totalen Fehleinschätzung. Ich kann ja manche solcher Ansätze bei DiEM25 und der Plan-B-Diskussion verstehen. Darüber kann und muss man mit diesen Bewegungen reden. Und wenn sie es schaffen würden, das nicht mit Hassausbrüchen gegenüber SYRIZA zu verbinden, wäre das schon ein erheblicher Fortschritt.
Eine andere linke Position zu Europa lautet, die Verträge müssten grundlegend geändert werden.
Das ist sicher richtig. Aber eine linke Position zu Europa kann sich nicht allein auf die Formulierung »Die Verträge müssen geändert werden« reduzieren. Wenn wir stets nur lamentieren, wie schlimm die EU ist, verpassen wir etwas. Wir verpassen, dass es bei einem Großteil der jungen Leute inzwischen ein europäisches Lebensgefühl gibt. Und dass wir auch verstehen müssen, beides zusammenzubringen: Die Kritik an den Strukturen, an den rechtlichen Grundlagen, unsere Vorstellung, wie die EU in der globalisierten Wirtschaft handeln soll, und dabei dieses Lebensgefühl aufzugreifen.
Wollen Sie das in der nächsten Legislatur noch einmal angehen?
Nein, ich habe mich definitiv entschlossen, nicht wieder anzutreten. Es ist Zeit, ich bin dann 15 Jahre im Europaparlament gewesen. Es ist auch Zeit dafür, dass andere die Verantwortung übernehmen. Ich halte mich immer noch an den Grundsatz aus dem Ende der DDR-Zeit, als wir davon gesprochen haben, dass rechtzeitig Wechsel stattfinden müssen. Wohin das Kleben an Posten führt, haben wir in der DDR ja erlebt.
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