• Kultur
  • Feministische Ausstellung in Hannover

Müssen Frauen nackt sein?

Seit 1985 kämpfen die Guerrilla Girls gegen Sexismus. Die Kestnergesellschaft widmet ihnen eine Ausstellung

  • Radek Krolczyk
  • Lesedauer: 4 Min.

Es gehört zu den bekanntesten Bildern der jüngeren Kunstgeschichte und ist doch kein wirkliches Kunstwerk: das Plakat mit der liegenden Nackten, die auf ihren Schultern den Kopf eines Gorillas trägt. Vor gelbem Hintergrund steht die berechtigte Frage: »Do women have to be naked to get into the Met. Museum?« (Müssen Frauen nackt sein, um ins Met. Museum zu kommen?)

Gerade hängt es im großen Querformat an einer Wand im Hauptsaal der Kestnergesellschaft - ganz so, als handele es sich um ein klassisches Tafelbild. Ursprünglich allerdings hing es in den Straßen von Soho und East Village in New York. Eine feministische Gruppe junger Künstlerinnen mit dem Namen Guerrilla Girls hatte dieses Plakat 1989 verbreitet. Der traditionsreiche Hannoveraner Kunstverein würdigt den Kampf der Gruppe nun mit einer Ausstellung.

Das besagte Plakat war Teil einer Kampagne, in der sie die Marginalisierung von Frauen im Kunstbetrieb anprangerten. Erklärend findet man auf dem Poster unterhalb der Parole die folgende Information: weniger als fünf Prozent der Werke der Abteilung für Moderne des Metropolitan Museums stammen von Frauen, wohingegen 85 Prozent aller Akte der Sammlung Frauen zeigen. So einfach, so klar, so skandalös.

1985 hatte sich die Gruppe gegründet, um den feministischen Kampf in den männerdominierten Kunstbetrieb zu tragen. Ihre Mitglieder blieben anonym; sie trugen Gorilla-Masken aus Gummi und dazu passende Handschuhe. Was zunächst wie eine theatralisch-romantische Übertragung der Kämpfe lateinamerikanischer Guerillatruppen wie der kolumbianischen FARC oder der philippinischen New Peoples Army in den amerikanischen Großstadtdschungel aussieht, hatte in Wirklichkeit auch seine praktische Notwendigkeit. Die Affen-Masken verbargen die Identität der Aktivistinnen; sie verhinderten zum einen die Vermischung der individuellen künstlerischen Arbeiten mit den Aktivitäten der Gruppe, schützte sie zum anderen aber auch vor Benachteiligungen im Kunstbetrieb.

Es ist bezeichnend, dass die Aktivistinnen noch in den achtziger Jahren in einer westlichen Metropole wie New York aufgrund ihrer Aktionen überhaupt Nachteile zu befürchten hatten. Durch die Anonymisierung sollte allerdings auch jeglicher Kult um die aktiven Personen verhindert werden. Sie verwendeten für Statements und Interviews die Namen bereits verstorbener Künstlerinnen wie Käthe Kollwitz, Frida Kahlo und Eva Hesse. Zusätzlich wechselte die Besetzung oft. Seit ihrer Gründung hatte die Aktionsgruppe mehr als 60 Mitglieder. Neben Künstlerinnen waren später auch Schauspielerinnen, Musikerinnen und andere Kreative in der Gruppe aktiv. Vor einigen Jahren warfen sie in Anlehnung an ihr Plakat aus den achtziger Jahren die Frage auf: »Do women have to be naked to get into Music Videos?«

Die Gründung der Gruppe geht auf ein konkretes Ereignis des Jahres 1984 zurück: Das New Yorker Museum of Modern Art eröffnete eine Großschau zeitgenössischer Kunst. Der Titel lautete: »An international Survey of Recent Painting and Sculpture«. Eine Art Bestandsaufnahme und gleichzeitig der Anfang einer neuen Kanonisierung sollte es werden. Unter den 165 ausgestellten Arbeiten stammten nur 13 von Frauen. Mit Bannern, Plakaten und öffentlichen Auftritten brachten sie Umstände wie diese lautstark zur Sprache.

Zu den größten Erfolgen der Guerrilla Girls gehörte ihr Protest zur Eröffnungsausstellung einer Dependance des Guggenheim-Museums in Soho. Er führte dazu, dass der Anteil an Kunstwerken von Frauen erhöht wurde und eine Künstlerin im kanonisch gemeinten Titel auftauchte: »From Brancusi to Bourgeois«. In der Hannoveraner Show sind vor allem Reproduktionen der historischen Plakate zu sehen.

Daneben ist der Ausstellung sehr an einer Aktualisierung der Institutionskritik gelegen. Ein Plakat klärt über den vermeintlichen Fortschritt der Institutionen auf: Während Guggenheim, Metropolitan und Whitney-Museum 1985 noch keiner einzigen Künstlerin eine Einzelausstellung widmeten, war es 2015 immerhin jeweils eine. In einem Video erfahren wir außerdem eine Menge über die bedeutende Sammlung des Kölner Ludwig-Museums. Der Anteil an Soloshows von Frauen beträgt dort nur 20 Prozent. Man erfährt aber auch, dass zwar 14 Prozent der Kölner Bevölkerung einen türkischen Hintergrund haben, in der Ludwig-Sammlung allerdings nur ein einziger türkischer Künstler vertreten ist, der dort 2009 eine Einzelausstellung hatte.

Was an der Ausstellung nervt, ist das pseudo-revolutionäre Gehabe der Gruppe. Mit ihrem Namen, den Affen-Masken und der Selbstinszenierung als Großstadtrebellinnen wirken sie gefährlich. Auch der Titel der Ausstellung suggeriert dies: »The Art of Behaving Badly«. Die Guerrilla Girls planen keinen Umsturz. Sie bewegen sich nicht in der Illegalität, ihr Platz ist der Kampf um Bürgerrechte. Besonders lächerlich ist dabei dieser Achtziger-Jahre-Anstrich ihres Radical-Chic-Styles. In den Videos zeigen sie sich beim Plakatieren in einem New York, das direkt aus einem Video der Beastie Boys zu stammen scheint und das es heute so nicht mehr gibt. Ein New York, das geprägt ist von Graffiti, Skateboards, Hip-Hop und Punk. Das macht diese performanceartigen Auftritte beim Plakatieren in ihren Videos und diese aktuellen Plakate mit der Ästhetik der achtziger und neunziger Jahre so harmlos. Es ist dann schon so, als transponiere Oma ihren Krieg von damals in die Gegenwart. Ganz gleich, wie berechtigt dieser Kampf damals war und wie aktuell die Probleme auch heute noch sind.

»Guerrilla Girls: The Art of Behaving Badly«, bis zum 8. April im Haus der Kestnergesellschaft, Goseriede 11, Hannover

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