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- Matthias Meisner und die LINKE
Die Binsenweisheit, ein hohes Gut
Warum die Geschichte um einen beleidigten Journalisten in der Linkspartei zum Anlass für prinzipielle Bekenntnisse wird
Eine Groteske läuft derzeit in der Linkspartei ab. Auf den ersten Blick geht es um einen Journalisten, der sich von der Partei gemobbt sieht. Weshalb das Thema eigentlich keine Zeile wert wäre, auch wenn andere Zeitungen dies bereitwillig mit dem Unterton aufgegriffen haben, hier finde eine Beschneidung von Pressefreiheit statt. Doch in diesem Konflikt spiegelt sich das Dilemma der Linkspartei. Und deshalb ist es doch ein Problemfall.
Matthias Meisner, der betreffende Kollege vom Berliner »Tagesspiegel«, beobachtet und beschreibt die LINKE seit vielen Jahren, und nun beklagt er, er sei von Presseverteilern der Bundestagsfraktion gestrichen worden und erhalte keine Einladungen zu Veranstaltungen der Fraktion mehr, zu denen er bisher eingeladen war. Zuletzt schrieb Meisner über die verschiedenen Machtzentren der Linkspartei und über den Kampf, den Oskar Lafontaine meist wenig respektvoll gegenüber seinen Kritikern für eine linke Sammlungsbewegung führt. Vor allem mit einem Beitrag vor dem Jahresauftakt der Linksfraktion aber sorgte er dort für Empörung, weil er diese dabei in die Nähe von Antisemitismus und Putinversteherei rückte und dabei vor allem den Organisator Diether Dehm angriff. Damit sorgte Meisner nicht nur dafür, dass Matthias Platzeck, der frühere brandenburgische Ministerpräsident, seine Teilnahme absagte, sondern auch dafür, dass Auseinandersetzungen in der Partei schnell ins Grundsätzliche mündeten und die Veranstaltung bis zuletzt überschatteten.
Das nimmt man ihm nun übel. Meisners Klage über Mobbing durch die Fraktionsführung kann man trotzdem für eitle Empfindsamkeit halten - Journalisten des »neuen deutschland« erleben regelmäßig, dass sie von Parteien geschnitten, ihnen Informationen vorenthalten werden, die Kollegen anderer Medien umstandslos erhalten. So wie Interviewanfragen positiv oder abschlägig beschieden werden können (»nd« versucht seit Jahren vergeblich, die Vorsitzenden der SPD zu interviewen), haben Parteiinstitutionen natürlich das Recht, Einladungen zu Veranstaltungen zu dosieren und nach Gusto zu vergeben. Die Aufregung um Meisner wirkt auch deshalb mediengemacht und -geschürt, weil dieser seine Klage gegenüber Kollegen äußerte, und zwar just auf jenen Veranstaltungen, von denen er angeblich ausgeschlossen worden war, er also bisher in keinem Fall gehindert wurde, an einer Veranstaltung teilzunehmen.
Weshalb die Geschichte trotzdem für Widerhall sorgt, liegt am empfindlichen Verhältnis von Medien und Politik im Allgemeinen und dem zur Linkspartei im Besonderen. Betrachtet man den Fall als Episode im Kreislauf dieses nervös pulsierenden Mechanismus, der von Macht, gegenseitigem Nutzen und auch gegenseitigem Missbrauch gekennzeichnet ist, ist er die Erwähnung doch wert.
Politiker nutzen Medien, um ihre Position zu stärken und werden von Medien genutzt, nicht nur mit dem Ziel Schlagzeilen zu produzieren, sondern auch, um die Ambitionen und politischen Vorstellungen von Medienmachern zu befriedigen. Die LINKE bietet ein dankbares Betätigungsfeld für ehrgeizige Journalisten, weil sich dort die verschiedenen Strömungen regelmäßig und besonders unversöhnlich in den Haaren liegen. Immer wieder haben Protagonisten der Partei den Kampf um ihre Positionen über die Medien ausgetragen. Und immer wieder haben Journalisten, die um die Zerwürfnisse und Rangeleien in der Partei wissen, die Gelegenheit gefunden, diese öffentlich zu machen und dabei die eine Seite gegen die andere auszuspielen.
Im aktuellen Fall ist es genau so. Inzwischen haben sich die Parteivorsitzenden hinreißen lassen, den Umgang der Fraktionsführung mit dem »Tagesspiegel«-Kollegen zu kritisieren, indem sie dem »Spiegel« bestätigten, dass sie deren Vorgehen nicht billigten. »Aus historischen Gründen und auch bezüglich aktueller Anlässe möchte ich betonen, dass die Pressefreiheit für die LINKE ein hohes Gut ist und bleibt«, erklärte die Parteivorsitzende Katja Kipping. Und ihr Mitvorsitzender Bernd Riexinger ergänzt: »Bei der Partei sind alle Journalisten zu jeder Zeit willkommen.«
Binsenweisheiten, nichts weiter. Jeder Linkspolitiker, in der Bundestagsfraktion oder wo auch immer, würde die beiden Sätze ohne jedes Zögern unterschreiben. Und doch halten die Vorsitzenden der Partei sie für geeignet, ihre Distanz gegenüber der Bundestagsfraktion, besser gesagt, gegenüber ihren beiden Vorsitzenden deutlich zu machen.
Alle Beteiligten, die bearbeitenden Journalisten eingeschlossen, haben den schwelenden Konflikt zwischen der Parteiführung und den Fraktionsvorsitzenden Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch im Hinterkopf, der zu Jahresbeginn in einem Kampf um die Rechte der Beteiligten in der Bundestagsfraktion kulminierte. Dieser war ein Kampf um Richtlinienkompetenzen, um Deutungshoheiten und nicht zufällig ausgebrochen.
Die Differenzen zwischen Parteiführung und Fraktionsspitze sind älter und haben ihre Vorläufer in vergangenen Jahren. Aktuell ausgebrochen sind sie erneut zum Thema Flüchtlingspolitik. Oskar Lafontaine und seine Ehefrau Sahra Wagenknecht hatten nach der Bundestagswahl im September letzten Jahres die Politik der offenen Grenzen, die die Linkspartei in ihrem Programm verankert hat, in Frage gestellt. Sie kritisierten eine »falsche Flüchtlingspolitik«, wie Lafontaine sie nannte, mit Blick auf den Wahlerfolg der AfD, aber auch aus prinzipiellen Gründen. Dabei geht es um das Verhältnis der Partei nicht in erster Linie zu Flüchtlingen - auch wenn große Teile der Partei, nicht zuletzt die Vorsitzenden, Wagenknecht und Lafontaine mehr oder weniger deutlich das Füttern rassistisch begründeter Ressentiments in der Gesellschaft vorwerfen. Im Kern jedoch sind uralte Fragen zur Verortung der Partei im Spektrum und zur Veränderung der Gesellschaft aufgerufen - ihr Verhältnis zur Macht und ihr Verhältnis zu den Menschen, die sie zu vertreten hat. Diese Fragen schimmern regelmäßig und regelmäßig ignoriert durch die Debatten über plurale oder autoritäre Parteistrukturen, über urbane oder proletarische Wählermilieus und über angebliche antisemitische Verfehlungen in den eigenen Reihen.
Dass Lafontaine in seinen Einlassungen zur Flüchtlingspolitik auffällig distanziert alle Bundestagsparteien der letzten Wahlperiode über einen Kamm scherte, so als sei er nicht Mitbegründer der LINKEN, sondern Außenstehender und dass er kurz darauf die Idee einer Sammlungsbewegung äußerte, die seither von Sahra Wagenknecht vehement vorangetrieben wird, ohne dass bisher ein konkretes Projekt erkennbar wäre - dies hat das Misstrauen auf die Spitze getrieben. Ob die angepeilte Sammlungsbewegung auf die Klärung der eigentlich schwelenden Richtungskonflikte zielt, ist dabei nicht einmal klar.
Die Journalisten, die über die Auseinandersetzungen in der LINKEN berichten, teilen in der Mehrzahl die eine Position so wenig wie die andere. Und doch findet man sie in der Regel auf einer der Seiten - der der Kritiker von Wagenknecht und Lafontaine. Es ist dies wohl jene Seite, die ihnen moderner erscheint; vielleicht fühlen sie sich von dieser in ihren eigenen liberalen Grundsätzen sogar angesprochen. Und sie empfinden die gleiche Abneigung wie ihre Protagonisten gegen jene Widersacher, die sogar in Frage zu stellen bereit sind, was man gemeinsam erreicht hat.
Nachvollziehbar ist das alles. Nachvollziehbar ist es erst recht, die eigene Partei gefährdet zu sehen, wenn der Vorschlag zu einer Sammlungsbewegung wie ein Keil in die Debatte getrieben wird. Die Vorsitzenden haben jetzt die Initiative zu Regionalkonferenzen ergriffen. Klar ist, dass nur Dialog die Lage klären kann. Ein direktes Gespräch der vier Vorsitzenden ist aber nicht vorgesehen, wie Katja Kipping zu Wochenbeginn einräumte. Es gehe nicht um »uns vier«. Das stimmt. Und Matthias Meisner wird es freuen.
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