- Reise
- Karneval in Trinidad
Einsame Buchten und Tanzen ohne Pause
In den nächsten Tagen geht die heißeste Party der Karibik in ihre Hochphase. Unser Autor war letztes Jahr vor Ort. Eine Reisereportage
Eine Gastlandflagge für Trinidad hat Manager Richard Johnson bei der Bootsübernahme in der Port Louis Marina in Grenada nicht. Unser Anliegen ist zu ungewöhnlich. »Ihr seid die zweite Crew in drei Jahren, die nach Trinidad segelt«, sagt der Dream-Yacht Angestellte, als wir die »Le Titien« übernehmen. Andere Charterunternehmen verbieten Trips nach Trinidad. »Zu gefährlich«, heißt es.
Die meisten Yachten segeln von der Karibikinsel Grenada aus nach Norden in die Grenadinen. Dort finden deutsche Segler das, wovon Viele träumen: Kleine Inseln mit weißen Sandstränden, kurze Segeldistanzen, ein Dutzend Boatboys konkurrieren darum, das »Beach-BBQ« zu organisieren. Der Service ist gut, das Geschäft eingespielt, der entspannte Törn garantiert. Wir wollen dagegen nach Süden segeln, wollen die ausgetretenen Segelrouten verlassen, den Karneval in Trinidad erkunden und auf dem Rückweg Tobago erkunden.
Wie die Grenadinen-Segler nehmen auch wir Condor Flug DE 2254 nach Grenada. Doch anders als die, die am nächsten Tag nach Norden aufbrechen werden, verstauen wir am Abend unserer Ankunft schon minimale Einkäufe, übernehmen die Dufour Grand Large 56 in der Dunkelheit und laufen um 23 Uhr aus. 80 Meilen sind es bis Trinidad, wir wollen den Abend des »Fantastic Friday« nicht verpassen.
In einer pechschwarzen Neumondnacht begleitet von Dutzenden Sternschnuppen, motorsegelt die 17-Meter-Yacht »Le Titien« auf die schmale Passage von Monos Island zu. Am nächsten Vormittag kommt die Nordküste Trinidads in Sicht und etwas ziemlich Großes beißt den Haken, Köder und die Titanschnur von der Angelleine von Mitsegler Christian ab. »So schnell gebe ich nicht auf«, knurrt der und befestigt das Ersatzgeschirr.
Zwei Stunden später folgt zunächst ein Badestopp in der Scotland Bay an der Nordwestküste von Trinidad. Neben uns tanzen junge »Trinis« - so nennen sich die Inselbewohner - auf einem Partykatamaran. Dröhnende Soca-Beats geben einen kleinen Vorgeschmack auf die nächsten Tage. Nach 16 Stunden Fahrt legen wir kurz darauf am Nachmittag am Zollsteg von Chaguaramas an.
Karibische Bürokratie beim Einklarieren
An Land werden wir zum ersten Mal mit der Bürokratie Trinidads konfrontiert, beim Zoll muss nicht ein Formular, sondern drei ausgefüllt werden, inklusive Angaben, ob es auf der Reise Krankheits- oder Todesfälle an Bord gegeben habe. Die Beamtin von der Migrationsbehörde besteht darauf, dass die gesamte Crew persönlich zur Passkontrolle erscheint.
Die ehemalige US-Navy-Base Chaguaramas ist ein El Dorado für Fahrtensegler. Nicht nur beim Zollformular gibt es keinen Unterschied zur Profischifffahrt, hier liegt man Seite an Seite mit den Schleppern und Versorgungsschiffen der Offshore-Ölförderung. Es gibt etwa die schickere »Crews Inn Marina« mit dem stilisierten Leuchtturm auf dem Restaurantgebäude, die rustikale »Powerboats« mit ihrem riesigen staubigen Werftgelände oder eben unsere Wahl, die »Coral Cove Marina«.
An Land dominiert ein Mastenwald aufgebockter älterer Fahrtenyachten, es gibt mehrere kleine Seglerbars, vor allem aber kann hier wirklich alles repariert werden und dann ist da die Bushaltestelle, von der aus Segler und Dorfbewohner die Großstadt Port of Spain in einer halben Stunde erreichen können.
Direkt am Abend des »Fantastic Friday« geht es ins Partyviertel rund um die Ariapita Avenue, von den Trinis nur »The Avenue« genannt. Hier reiht sich Bar an Bar, unzählige Straßenverkäufer verkaufen frittierte »Jerk Chicken« und die scharfen lokalen Curry-Kichererbsen-Spezialitäten »Roti« und »Doubles«. Anschließend ziehen wir weiter zum Hasely-Crawford Stadion. Hier wird normalerweise professionell Cricket gespielt. An diesem Abend treten beim »Soca Monarch«-Konzert die bekanntesten Soca Künstler der Region auf und wetteifern vor mehreren tausend Inselbewohnern mit professioneller Choreografie und Lightshow um den namensgebenden Titel.
Intensiver Körperkontakt auf den Straßen von Port of Spain
Am Rosenmontag geht es schon um 1 Uhr früh per Taxi auf die »Avenue«. Dort sammeln sich langsam Gruppen junger Leute zum Vortrinken, dann beginnt die Parade von »Liquid Colors«. Ziemlich schnell mischen sich nicht nur die Farben, die jetzt wild um her gespritzt werden, sondern auch die Körper der tanzenden Masse. Meistens strecken sich dabei die ausladenden Hüften der weit vornüber gebeugten »Trini gals« in den Schritt der herbeispringenden männlichen Tanzpartner in einem rauen aufreizenden Tanzstil entgegen der irgendwo zwischen Hip Hop und Lapdance liegt.
Doch es geht auch andersherum. Jeder bespringt hier jeden mal, beinahe jedenfalls. Wining heißt der beim Karneval inbrünstig zelebrierte karibische Tanzstil, der entweder intim sensibel fließend oder einer Sexsimulation gleich die Hüften gegeneinander knallen lässt. Im zick zack geht es durch die engen Straßen von Port of Spain, am Ende des Zuges kühlt eine Art Wasserwerfer die Tanzenden ab, treibt sie aber auch vor sich her.
Nach einer kurzen Stärkung am Straßenrand mit Corn Soup, die jeder deftigen deutschen Kartoffelsuppe in nichts nachsteht, ziehen wir weiter zur »Parade of the Bands«. Die ist am Montag mit etwas bequemeren Outfits im bunten Sportlook quasi nur ein Probelauf. »No sleep during carnival« scherzt der Taxifahrer stolz und herausfordernd, als wir nach 15 Stunden Tanzen in der prallen Sonne völlig erschöpft nach Chaguaramas zurückkehren.
Am nächsten Morgen nehmen wir den ersten Bus nach Port of Spain, im vollen Federkostüm. Amüsiert neugierig betrachten die anderen lokalen Businsassen - mehrheitlich im Rentenalter - unsere Gruppe. Knallbunt und knapp sind unsere Kostüme und die der anderen Karnevalsgruppen (Bands), die kulturellen Anleihen reichen von afrikanisch bis römisch, beim Make-up ist das Motto »Eher zu viel als zu wenig«. Egal ob schlank oder mollig, voller Stolz präsentieren sich die »Maskeraders«.
Immer wieder werden wir neugierig gefragt, woher wir kommen. Wir sind fast die einzigen Weißen in unserer Band. Neben dem Plastiktrinkbecher, der immer wieder auf den Barwagen hochgereicht wird und voll mit Rumpunsch zurückkommt, ist das Handy das wichtigste Accessoire des Karnevalisten, ein Foto schlägt einem hier keine(r) ab, man wirft sich stolz in Pose.
Bald kann jeder die gefühlt nur zehn gespielten Songs mitsingen. »We jammin still, we jammin stil« - immer wieder hämmern die Beats der Gruppe Ultimate Rejects auf die Karnevalisten ein. Der Song wird später zum »Road March« des Karnevals 2017 gekürt, weil er ganze 556 mal von den über 130 Bands an den »Judging Points« der neun Kilometer langen Paraderoute gespielt wird. Überall begegnet uns das Lied.
Nicht immer ist auf der Parade klar, wer härter mit wem tanzt. Immer wieder stolpern Frauen lachend nach vorne, weil der Druck ihres Tanzpartners zu groß wird. Manchmal werden männliche Lenden von ausladenden weiblichen Hüften einfach nach hinten weggepusht, der Körperkontakt ist intensiv und spielerisch. Mitsegler Christian, der im Laufe der Parade gefühlt mit der Hälfte der Frauen im Zug tanzt, verschwindet in einem einzigen Federwald, als er von vier Frauen angetanzt wird. Kurz danach zieht er sich zurück: »Vier ist zu viel« lacht er erschöpft. Obwohl eng getanzt wird, sei es angenehm, dass »nicht gegrapscht« würde, resümiert Mitseglerin Jenny hinterher.
Haifisch-Nuggets und Helikopter in der Maracas Bay
»Ja wir haben ihren Float Plan erhalten«, bestätigt die Küstenwache per Handy, dann buchstabieren wir unser Ziel für den Tag und die weiteren Pläne. Am Aschermittwoch bringt der kräftige Motor der Le Titien, die verkaterte Crew an der Nordküste Trinidads entlang nach Maracas Bay. Der beliebteste Strand der Insel ist über zwei Kilometer lang und umgeben von steil aufragenden grünen Höhenrücken des Aripa-Massivs. Hier entspannen die Trinis am Wochenende, vom Strand dröhnen die Beats der »Cooldown Fete« herüber.
Wir sind die einzige Yacht, die in der etwa zwei Meilen breiten Bucht ankert. Am Abend dann eine Machtdemonstration der Küstenwache: Vor Sonnenuntergang zeigt ein graues Patrouillenboot in der Bucht Präsenz, um 22 Uhr abends fliegt ein Helikopter zwei Mal über die Bucht und leuchtet per Suchscheinwerfer das komplette Ufer ab. Für einige Sekunden steht auch die Le Titien im grellen Licht, die »North Post Station« wacht über die Küste.
Die zeigt sich von ihrer rauen Seite, die roten Flaggen der Lifeguards verbieten das Schwimmen offiziell, auch am etwas ruhigeren Oststrand ist die Brandung hoch. Also wird das Beiboot vor der Brandungsrolle geankert, die letzten 50 Meter schwimmen wir mit dem Drybag an den Strand.
Dort tummeln sich an diesem Wochentag nur wenige Trinis im knietiefen Wasser und beobachten von den Ladeflächen ihrer Pickups den Strand. Wir probieren den berühmten Snack von Maracas, der in einem dutzend Strandhütten verkauft wird: Bake and Shark. Für 4-6 Euro gibt es die fritierten Haifisch-Nuggets mit Pommes, Salat und natürlich scharfer Soße. Ob es ein Hai war der auf der Fahrt hierher auch den zweiten Köder von Christian abgebissen hat?
Ein frischer 25-Knoten-Passatwind und der Nordäquatorialstrom, der hier zwei Knoten schnell ist, treffen uns mit voller Wucht, nachdem wir mit Sonnenuntergang den Anker lichten. Motorkreuzend kämpfen wir uns nachts direkt an der Nordküste 25 Meilen nach Osten, vorbei an grell erleuchteten Ölplattformen. Dann segeln wir die Le Titien hart am Wind nach Norden und kreuzen an die Südwestküste von Tobago.
Bay Hopping auf der Naturinsel Tobago
Die Store Bay empfängt uns mit türkisblauem Wasser, tieffliegenden Pelikanen, Rochen und immerhin zehn anderen Ankerliegern. Nach dem obligatorischen Besuch bei den Behörden in der Inselhauptstadt Scarborough, wo wir unsere »Bay Hopping Clearance« von sehr gewissenhaften Beamten erhalten – wir müssen genau angeben, welche Buchten wir in welcher Reihenfolge anlaufen wollen - segeln wir am Nachmittag nach Pidgeon Point. Der Holzanleger des weißen Korallenstrands ist auf jeder zweiten Tobago-Postkarte abgebildet.
In den nächsten Tagen segeln wir an der Küste Tobagos entlang. In vielen Buchten der grünen Dschungelinsel, die Daniel Defoe als Vorbild zu Robinson Crusoe gedient haben soll, sind wir die einzige Yacht, so auch in Parlatuvier, eine kleine Bucht mit einem goldgelben Sandstrand. Etwa zwei Dutzend Pirogen dümpeln an ihren Murings vor der Pier. Bunte gepflegte Häuser schmiegen sich an die Hänge. Nur ein kurzer Fußweg durch den Regenwald, vorbei an 30 Meter hohen Bambusbäumen, ist es zum Wasserfall. Dort baden wir zusammen mit einigen Einheimischen im kühlen Quellwasser. Die laden uns noch ein von ihrem in Bananenblättern gegarten Fisch zu kosten.
Kurz vor Sonnenuntergang sind auch die letzten zwei Fischerboote zurück. Die Fischer nehmen den eher spärlichen Fang von etwa 5-10 Fischen pro Boot aus. Drei Euro pro Pfund kostet der frisch gefangene Mahi Mahi. Wir machen es uns mit ein paar Flaschen Carib-Bier als »Sundowner«-Drink direkt an der Pier am Strand gemütlich, ein paar Dorfkinder spielen im Sand, ein älterer Junge sitzt gedankenversunken auf einem umgedrehten Boot, hin und wieder schlurfen ein paar Dorfbewohner zum kleinen Supermarkt an der Pier. Sonst sind wir allein.
Nach Sonnenuntergang flüchten wir vor dem einsetzenden Tropenguss in Miss Vees »Sunshine Restaurant«, ein kleines »Beachshack«, das Platz für genau zwölf Gäste hat und einfache lokale Küche bietet. Während die Fischer an der nahen Pier im Halbdunkeln die letzten Fische ausnehmen und der Regen auf das Blechdach trommelt, wird der komplette braune Rum des Dorfsupermarkts aufgekauft und ein feuchtfröhlicher Abend mit drei Rumflaschen beginnt. Ein paar neugierige Einwohner gesellen sich zu uns, zeigen der Crew, wie der lokale 70-prozentige Rum getrunken wird. Irgendwann kommen Reis, Linsen, Kürbisgemüse, Salat und der Mahi Mahi auf den Tisch.
Abenteuer abseits ausgetretener Pfade
Ein weiteres Törnhighlight ist auch der von wuchernder tropischer Vegetation gesäumte Weg nach Fort Campleton. Nach 13 Tagen fliegt die Le Titien über Nacht mit durchschnittlich fast 10 Knoten auf Raumwindkurs von Charlotteville nach Grenada. In der Port Louis Marina trifft eine aufgekratzte Crew am nächsten Tag auf entspannte Grenadinensegler, deren Reaktion auf Gruppentanzen im Federkostüm von belustigt bis genervt reicht. Die angebotenen »Wining Lessons« werden nur zögernd angenommen, doch die lokalen schwarzen Marineros reagieren mit einem breiten zustimmenden Grinsen.
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