Spritzen im Sand machen Neuköllnern Angst

Unter anderem mit einem Drogenkonsummobil versucht der Bezirk, dem Problem Herr zu werden

  • Tim Zülch
  • Lesedauer: 3 Min.

»Wer macht so etwas? Diese Frage hat uns sehr beschäftigt«, sagt Jens Vogel, wenn er berichtet, wie Mieter letztes Jahr zwei Spritzen im Sandkasten eines Spielplatzes in der Nähe der Karl-Marx-Straße fanden. Der Abteilungsleiter bei der Berliner Baugenossenschaft, in deren Anlage die gefährlichen Fundstücke auftauchten, schüttelt den Kopf. Mieter und Kollegen seien verunsichert.

Auch wenn solche Funde nicht die Regel seien und Vogel auch keine steigende Fallzahl bekannt ist, hat die Genossenschaft schnell Maßnahmen ergriffen. »Wir haben den Sandkasten verschlossen, und seitdem patrouilliert in unregelmäßigen Abständen ein Sicherheitsdienst«, so Vogel.

Das Gefühl, dass die Drogenproblematik in Neukölln zugenommen hat, haben viele Bewohner des Bezirks. Im November hatten Anwohner Alarm geschlagen, nachdem vier Kinder einer Kitagruppe auf einem Spielplatz mit benutzten Spritzen in Kontakt gekommen waren. Seit Anfang 2017 seien die Funde von Drogenbesteck im öffentlichen Raum sprunghaft angestiegen, sagte Wieland Voskamp, Leiter des Neuköllner Grünflächenamtes, auf einer daraufhin anberaumten Veranstaltung des Bezirks in der Karlsgarten-Grundschule. Davon berichtete der »Tagesspiegel«.

Dass das nicht nur ein Gefühl ist, bestätigt der Neuköllner Bezirksstadtrat für Jugend und Gesundheit, Falko Liecke (CDU). Er führt gegenüber »neues deutschland« mehrere Indizien an, die den Anstieg des Drogenkonsums im Bezirk untermauern. Neukölln habe eine »mehr als doppelt so hohe Anzahl von opioidbedingten vollstationären Krankenhausaufenthalten wie der zweitplatzierte Berliner Bezirk«, so Liecke. Konkret habe es von 2009 bis 2013 105,5 drogenbedingte Krankenhausaufenthalte gegeben, in Mitte seien es im gleichen Zeitraum 45,7 gewesen. Diesbezüglich gebe es für Neukölln »einen starken Anstieg seit mindestens 2004«. Auch bei der ambulanten Betreuung von Drogenabhängigen ist Neukölln führend in Berlin, wie der Drogen- und Suchtbericht 2017 des Bezirks ausweist. Danach befanden sich im Jahr 2014 978 Neuköllnerinnen und Neuköllner wegen Drogenabhängigkeit in ambulanter Betreuung.

Um der Lage endlich Herr werden zu können, setzt Liecke - zusammen mit Bezirksbürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) - auf eine Mischung aus Repression, Hilfsangeboten und Prävention. Die 2017 gestartete Umsetzung eines Zehn-Punkte-Plans sorgte für Veränderungen in mehreren Bereichen. Die Polizeipräsenz wurde ausgebaut und regelmäßige Razzien, wie zuletzt Ende Januar, wurden durchgeführt. An mehreren Orten stellte der Bezirk kindersichere Spritzenbehälter für gebrauchtes Drogenbesteck auf. Außerdem steht seit Sommer 2017 an drei Tagen die Woche für jeweils vier Stunden ein Drogenkonsummobil des Berliner Suchthilfeprojekts Fixpunkt in der Karl-Marx-Straße, unweit des Körnerparks. Dort können Abhängige mit sauberem Besteck und unter ärztlicher Aufsicht Drogen konsumieren.

Ein Angebot, das gut angenommen wird, wie Nicola Blättner von Fixpunkt gegenüber »nd« betont. Sie kämpft jetzt für eine Ausweitung der Standzeiten. Blättner: »Drei Tage reichen nicht. Opiatabhängige richten sich nicht nach der Uhrzeit. Wir brauchen auch am Abend und am Wochenende solche Angebote.« Das sieht auch Falko Liecke so. Er wandte sich Anfang Februar an Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) mit der Bitte, Gelder für eine Ausweitung der Standzeiten des Drogenkonsummobils auf sieben Tage zu bewilligen. Außerdem fordert Liecke eine »Sonderkommission Opium« bei der Polizei. »Mehr Polizei führt schnell zu einer Verlagerung der Szene, was wir auch schon im letzten Jahr beobachten konnten, als sie sich in die Nebenstraßen verteilt hat«, sagt diesbezüglich Praktikerin Nicola Blättner von Fixpunkt. »Damit löst man das Problem nicht, weil es woanders wieder aufploppt.« Sie betont aber auch, dass Neukölln, abseits von solchen inhaltlichen Differenzen, sehr kooperativ in der Zusammenarbeit sei.

Die Problematik der Verdrängung sieht auch Nina Pritszens von der Beratungsstelle Confamilia in der Nähe des S- und U-Bahnhofs Neukölln. Sie hat beobachtet: »Die Verwahrlosung in der Szene nimmt zu.« Daher sei vor allem auch soziale Unterstützung nötig. »Drogenkonsum ist somit für viele nicht das vorrangige Problem, sondern im Gegenteil eine Art Überlebensstrategie.«

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