- Politik
- Kindersoldaten
Ein ganz normaler Student
Der ehemalige Kindersoldat Innocent Opwonya mahnt am Aktionstag »Red Hand Day«
Die zwei großen Narben auf den Beinen nennt Innocent Opwonya heute eine »wertvolle Erinnerung daran, wer ich einmal war«. Es sind Narben eines Krieges. Ein Krieg zu dem Opwonya gezwungen wurde, als er gerade einmal zwölf Jahre alt war.
Heute ist der Ugander 28 Jahre alt, wohnt in Deutschland und ist Aktivist gegen den Einsatz von Kindersoldaten. Schon unzählige Male hat Opwonya seine Geschichte erzählt, leicht fällt es ihm immer noch nicht. Geboren wurde er im Norden von Uganda. In dieser Zeit herrschte Krieg in dem ostafrikanischen Staat: »Es war ungewöhnlich, wenn an einem Tag kein einziger Schuss fiel.« Die Rebellen der Lord Resistance Army (LRA), die Widerstandsarmee des Herrn, führten einen brutalen Krieg gegen die Regierung. Die christlichen Fundamentalisten wollten einen Gottesstaat errichten. Da ihr Anführer Joseph Kony nur über wenig Rückhalt in der Bevölkerung verfügte, begannen die Rebellen, Kinder zu entführen und zu Soldaten auszubilden. So auch Opwonya.
In einer Nacht im Jahr 2000 überfielen LRA-Kämpfer das Dorf und entführten den Zehnjährigen und seinen Vater. Beide wurden in die Darfur-Region, verschleppt. Als der Vater seinem Sohn helfen wollte, wurde er getötet. Mit Gehirnwäsche und Drogen drillten die Rebellen die jungen Kämpfer.
Opwonya versuchte seinem Martyrium zu entfliehen, wurde aber erwischt. Die Rebellen misshandelten den Jungen als Strafe und fügten ihm die schweren Verletzungen an den Beinen zu.
Der zweite Fluchtversuch gelang. Danach fühlte Opwonya wieder so etwas wie Sicherheit - allerdings war dieses Gefühl nur von kurzer Dauer. Regierungssoldaten wollten ihn als Kämpfer gegen die Rebellen rekrutieren. Der Junge weigerte sich und schaffte es zurück zu seiner Familie. Nach dem Tod des Vaters schien dort alles verloren. Und das Stigma war groß: »Manche bemitleideten mich, wenn ich ihnen meine Geschichte erzählte, andere wiederum waren entsetzt und sahen mich als Killer, der kein Recht hatte, mit ›normalen‹ Menschen zu leben.« Opwonya lernte eine Gruppe US-Amerikaner kennen, die ihm über eine Stiftung zu einem Stipendium verhalfen. Der junge Mann schloss auf diese Weise das Abitur und die Universität ab und wurde Botschafter der US-Organisation »Invisible Children«. Hunderttausende US-Dollar an Spendengeldern wurden dank seines Engagement gesammelt.
Wie viele westliche NGOs in Afrika entpuppte sich die Organisation bald jedoch als wenig hilfreich. Es wurde aufgedeckt, dass nur 30 Prozent der Spenden in Uganda ankamen, der Rest floss in die Organisation. Dem »nd« erzählt Opwonya: »Ich habe die Organisation bei unzähligen Anlässen als gemeinnützig vorgestellt. Das fühlt sich jetzt an, als hätte ich Millionen von Menschen angelogen.« Opwonya beendete die Zusammenarbeit, nicht aber seinen Einsatz. Mit der Unterstützung eines befreundeten Schriftstellers schrieb er seine Lebensgeschichte auf. »Mit dem Buch will ich den unzähligen Kindersoldaten rund um die Welt eine Stimme geben.«
Mittlerweile studiert der eloquente Endzwanziger in Siegen und lebt in Köln. Er ist ein ganz normaler Student - und irgendwie auch nicht. Der heute international begangene Tag gegen den Einsatz von Kindersoldaten fällt auf den Rosenmontag. Sein Lieblingstag in Köln.
Eines Tages will Opwonya zurück in die Heimat. Zwar herrscht kein Krieg mehr in Uganda, aber: »Frieden ist nicht einfach die Abstinenz von Krieg.« Die Probleme im Land sind riesig: Armut, Arbeitslosigkeit, Kriminalität. Insbesondere die junge Generation leidet unter den Folgen der vielen Kriege. »Ich will Teil des Wandels sein«, sagt Opwonya. Deshalb absolviert er den Masterstudiengang Wirtschaftspolitik. Die LRA-Rebellen sind mittlerweile nicht mehr in Uganda aktiv, treiben jedoch in den Nachbarstaaten ihr Unwesen. Immer noch kämpfen viele Kinder in ihren Reihen. Der LRA-Anführer Kony wurde im Jahr 2005 vom Internationalen Strafgerichtshof verurteilt, jedoch ist er immer noch auf freiem Fuß.
Der Aktivist Opwonya blickt nicht nur nach Uganda. Er kämpft auch gegen die Waffenlieferungen des Westens: »Deutschland ist eine unsichtbare Hand, die Kriege anheizt. Waffenexporte müssen gestoppt werden.«
Opwonya hat in seinen jungen Jahren viel Leid erlebt. Wie es sich anfühle seine Lebensgeschichte zu erzählen? »Manchmal werde ich sehr emotional, vor allem, wenn ich die Details erzähle«, sagt er und denkt kurz nach. »Aber wenn die Menschen sich unwohl fühlen nach meinen Worten , habe ich mein Ziel erreicht - denn dann handeln sie.«
Wir behalten den Überblick!
Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.
Vielen Dank!