Wenn Kindern Radikalisierung droht

Niedersachsen denkt über Möglichkeiten amtlichen Eingreifens nach

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 3 Min.

Die Attrappe eines Sprengstoffgürtels um den Leib gebunden, so zieht ein Kind mit in den Reihen einer islamistischen Demonstration: An dieses Bild erinnert Hans-Joachim Heuer, Abteilungsleiter im Niedersächsischen Sozialministerium, als er die Presse über ein Projekt des von Ressortchefin Carola Reimann (SPD) geführten Hauses informiert. Es will prüfen, inwieweit Kinder vor schon früher Radikalisierung durch ihre eigenen Mütter und Väter oder andere Erziehungsberechtigte geschützt werden können. Anlass sei eine steigende Zahl gewaltbereiter Islamistenfamilien, argumentiert das Ministerium.

Gemeinsam mit Bayern leitet Niedersachsen derzeit eine Arbeitsgruppe, die sich mit der Problematik befasst und die Frage erörtert: Müssen Gesetze geändert werden mit dem Ziel, den Jugendämtern mehr Möglichkeiten zum Eingreifen zu geben? Die es den Behörden bei drohender Radikalisierung notfalls sogar ermöglicht, das Kind von seiner Familie zu trennen. So wie es derzeit etwa dann angeordnet werden kann, wenn Verwahrlosung oder Misshandlung im Raum stehen.

Ausgiebig diskutiert werden soll das Thema im Mai auf der Konferenz der Sozial- und Familienminister in Kiel. Die Arbeitsgruppe wird dort darstellen, in welchem Umfang die staatliche Jugendhilfe aufgrund der aktuellen Rechtslage in punkto »Schutz vor Radikalisierung« tätig werden kann.

Für seine Initiative erntet das Ministerium in Hannover sowohl Kritik als auch Zustimmung, letztere vom GroKo-Partner CDU. Deren Parlamentarischer Geschäftsführer Jens Nacke fordert ein »konsequentes Einschreiten« der Jugendämter. Diese sollten verhindern, dass Kinder durch die islamistischen Beeinflussung seitens der Eltern »für sich und andere zur Gefahr werden«. Der Begriff der Kindeswohlgefährdung müsse »dringend auf die ideologische Indoktrinierung durch Erziehungsberechtigte ausgeweitet werden«. Die Radikalisierung in der Familie beginne bereits vor dem Besuch einer Kindertagesstätte und ende nicht mit dem Schulabschluss, betont der Politiker.

Zu bedenken gibt ihm die Fraktionsvorsitzende der oppositionellen Grünen im Landtag, Anja Piel, dass staatliche Eingriffe in Familienstrukturen wegen möglicher politischer oder religiöser Einflussnahme auf minderjährige Kinder oder Jugendliche im Grundgesetz bisher nicht vorgesehen sind. In Sachen Radikalisierung gebe es strukturell ähnliche Probleme in Familien von Rechtsextremen, erklärte Piel gegenüber der »HAZ«. In diesen Fällen hätten Kindswohlgefährdungen für die CDU bisher keine Rolle gespielt. Lägen jedoch Verdachtsmomente von radikalem Islamismus vor, solle nun plötzlich das Gesetz geändert werden. Es entstehe der Eindruck einer »sehr willkürlichen und einseitigen Grenzziehung der CDU«, so Anja Piel. Ihre Fraktion will die Pläne des Ministeriums im Sozialausschuss des Landtages erörtern lassen.

Ähnlich skeptisch wie Piel, so berichtet der NDR, werden die Pläne des Sozialministeriums von Juristen betrachtet. Sie haben Zweifel, dass Eingriffe in Familien aufgrund religiös-radikaler Inhalte verfassungskonform sind. Immerhin seien Ehe und Familie durch das Grundgesetz besonders geschützt und ebenso die Religionsfreiheit.

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