»Wir Filmemacher haben den Laden aufzumischen«
Der Regisseur Tom Tykwer begann seine Karriere mit Filmen wie »Die tödliche Maria« und »Lola rennt«. Jetzt ist er Jury-Präsident der Berlinale
Tom Tykwer ist dieses Jahr der Präsident der internationalen Berlinale-Filmjury. Er und seine Mitstreiter entscheiden über die Vergabe der Bärenpreise.
Wie das Filmemachen geht, dürfte für den 52-Jährigen kein Geheimnis mehr sein. Seit er elf Jahre alt war, dreht der gebürtige Wuppertaler. Mit der Stadt Berlin verbindet ihn eine lange Geschichte: 1988 wurde er Programmplaner im Kreuzberger Moviemento-Kino, einem der ältesten Lichtspielhäuser Deutschlands.
Tykwer wollte aber die Leinwand nicht nur bereitstellen. Und so wechselte er wieder hinter die Kamera. Mit dem Film »Lola rennt« (1998) gelang ihm ein bahnbrechender internationaler Erfolg. Die Angebote, die er danach erhielt, musste er erst einmal sortieren.
Schließlich folgte eine Reihe Arbeiten, die jede für sich brillant waren. Nur auf einen Nenner bekommt man sie nicht; es gibt wenige Regisseure, deren Filme sich jeweils so stark voneinander unterscheiden: »Der Krieger und die Kaiserin« (2000) - der Wuppertalfilm. »Heaven« (2002), nach einem Drehbuch von Krzysztof Kieślowski, spielt im Drogendealermilieu. Und dann »Das Parfüm« (2006): die opulente und bildschöne Verfilmung des Buches von Patrick Süßkind über einen olfaktorisch begabten Mädchenkiller.
Hatte »Heaven« schon 2002 die Berlinale eröffnet, wurde ihm diese Ehre mit dem Film »The International« (2009) abermals zuteil. Und während sich für die Festivaleröffnung immer wieder bunte, aber recht gefällige Streifen bewährt haben, lag der Fall bei »The International« einmal komplett anders: Der Film, der mit Naomi Watts und Clive Owen glänzend besetzt ist, ist ein sehr gut recherchierter Thriller über Finanzkrisen und internationalen Kleinwaffenhandel.
Mag der Berlinale oft eine plakative Politisierung ihres Programms vorgeworfen werden - Tykwer jedenfalls gelingt in diesem Film eine kongeniale Synthese aus Genre-Kino und Kapitalismuskritik.
Es folgte die Komödie »Drei« (2010), eine intelligente Reflexion heutiger Geschlechterverhältnisse, für die der Regisseur den Deutschen Filmpreis erhielt. Danach drehte er zusammen mit Regisseuren wie Chris Kraus und Axel Ranisch die Dokumentation »Rosakinder« (2012), in der es um die Beziehung geht, die die genannten Filmemacher zu ihrem gemeinsamen Mentor und Kollegen Rosa von Praunheim haben.
Tykwer ist auch ein gefragter Musiker. Unter anderem komponierte er mit seiner Band Tracks für Szenen des Science-Fiction-Films »Matrix« (1999). Mit dessen Regisseurinnen, den Geschwistern Wachowski, verbindet ihn eine lange Schaffensphase. Alle drei drehten zusammen auch das Zeitreise-Abenteuer »Cloud Atlas« (2012) - ein missratenes, chaotisches, extralanges Ding, das so viele Schnitte hat, dass einem beim Zusehen die Luft wegbleibt. Aber bestimmt nicht vor Begeisterung. Na und? Gut gemacht! Es muss schließlich auch mal was danebengehen.
Tykwers letztes Spielfilmprojekt war der Film »Ein Hologramm für den König« (2016) mit Tom Hanks in der Hauptrolle, bevor im letzten Jahr seine umstrittene Zwanziger-Jahre-Serie »Babylon Berlin« auf dem Privatsender Sky startete. Ein »Serienmeisterwerk«, wie der »Spiegel« schrieb, »voll in der Tradition eines urdeutschen Angstkinos«.
Aber nicht nur Mord und Totschlag stehen bei Tykwer auf der Agenda. Gemeinsam mit seiner Frau Marie Steinmann, die in der Entwicklungshilfe tätig ist, betreibt er ein Filmprojekt mit Künstlern in Kenia, bei dem die beiden dafür sorgen, dass Technik und Know-how aus Deutschland bereitgestellt werden und ansässige Regisseure dann kenianische Stoffe verarbeiten. Das Ziel besteht darin, eine gemeinsame kontinentübergreifende Filmsprache zu finden. Die Ergebnisse werden in beiden Ländern vorgestellt. Im ersten Film, »Soul Boy« (2009), geht es gleich mal um Handydiebstahl.
Ob von dem diesjährigen Präsidenten Kontroversen zu erwarten sind? Eigentlich ist er ein friedlicher Typ. Zum Interview kommt Tykwer auf die Sekunde pünktlich. Autorisierungen von Interviews schickt er morgens um halb sieben und bedankt sich obendrein noch freundlichst. Seine Filmstoffe verraten ihn da schon eher. Und er hat schon angekündigt, er vermisse »wilde und sperrige Filme« in Deutschland. »Letztlich sind es wir Filmemacher, die den Laden aufzumischen haben.«
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