Fußball lehrt einen rein gar nichts
Christoph Ruf glaubt, der Erkenntnisgewinn beim Betrachten der Sportart ist gering
»Nicht für die Schule, für das Leben lernen wir« - ein Satz wie ein Wackel-Dackel, ein Schrift gewordener Gartenzwerg. Genau wie der Klassiker »11 Freunde müsst ihr sein«. Nostalgiker, selbst kritische Geister, zitieren den Buchtitel von Sammy Drechsel gerne. Leicht ironisierend manchmal, aber trotzdem mit mahnendem Unterton. Dass früher alles besser war, glauben ja nicht nur Konservative, sondern auch Linke, denen beim Fortschrittsglauben aus nachvollziehbaren Gründen der Glaube an den Fortschritt abhanden gekommen ist. Wobei ich resignierte Linke für weitaus zivilisierender halte als solche, die Bilder und Gedichte im Namen der 0,5 Prozent zensieren wollen, deren Recht auf freie Meinungsäußerung sie unangetastet lassen wollen. Ob nackte Haut im Namen von Jesus, Allah oder der Gendertheorie abgehängt wird, ist für die Kunstfreiheit allerdings einerlei.
Dabei hat man beim Fußball wahrscheinlich auch früher schon nicht viel mehr gelernt als Tore zu schießen oder zu verhindern. Wie man auch beim Büffeln der verschiedenen Wüstenformen nichts für Leben, sondern nur etwas für die nächste Erdkunde-Klausur gelernt hat. Wortkombinationen wie »arides Klima« gingen mir in den letzten 25 Jahren jedenfalls selten über die Lippen. Und wenn ich sonntags so untätig wäre wie viele Lehrer, die einen großen Stapel Klausuren auf dem Schreibtisch liegen haben, hätten Sie jetzt nichts zu lesen.
Zurück zum Fußball. Dem kann man natürlich zugute halten, dass er ein Mannschaftssport ist. Mancher akkurat frisierte Achtjährige lernt dabei also vielleicht zum ersten Mal Sozialverhalten, eine Ahnung von der Erkenntnis, dass das Leben kein Selfie ist, kein permanenter Tanz ums eigene Ego, ob der nun 90 Minuten dauert oder länger. Wobei - und das relativiert das Ganze ein wenig - seine SUV-Eltern ihn höchstwahrscheinlich gar nicht erst beim Fußball angemeldet haben. Ist ja so ein Prollsport, bei dem viele Kinder nicht Karl, Mattheo oder Nathan heißen. Das Leben ist kein Ponyhof - außer für das obere Drittel der Gesellschaft.
Ansonsten lehrt Fußball gar nichts, mit dem sich kluge Gespräche beim veganen Abendessen bestreiten ließen. Nichts über Freundschaft und schon gar nichts, das literarischen Stoff hergeben würde. Aber das muss er ja auch gar nicht, um jedes Wochenende Millionen in seinen Bann zu ziehen, von denen allerdings nur wenige vom Fußball so etwas wie Sinnstiftung erwarten. Es gibt eine Fußball-Nationalmannschaft der Autoren und eine der Köche. Doch während in letzterer keiner behauptet, dass er im Stadion viel Inspiration für seine Menüs gewonnen hat, gibt es tatsächlich einige Schriftsteller, die in einem banalen Elfmeter die Re-Inszenierung einer griechischen Tragödie sehen. Darauf muss man erst mal kommen. Man könnte ja auch argumentieren, dass ein verschossener Elfmeter so tragisch oder so banal ist wie ein leerer Kühlschrank, aus dem man sich gerade ein Joghurt herausholen wollte.
Fußball ist ein Sport, bei dem zwei Tore und 22 Spieler auf dem Feld herumstehen. Ansonsten ist der Erkenntnisgewinn ähnlich hoch wie bei Regierungserklärungen im deutschen Bundestag.
Das alles schließt allerdings nicht aus, dass sich auch bei Fußballspielen interessante Beobachtungen machen lassen. Beim Spiel SC Freiburg gegen Werder Bremen zickten sich am Samstag die beiden Trainer, Christian Streich und Florian Kohfeldt, beispielsweise im ersten Durchgang nach allen Regeln der Kunst an. Drehte sich der eine weg, fing der andere an zu zetern, machte der wiederum eine wegwerfende Handbewegung, bekam der andere wieder einen cholerischen Anfall. Das ging minutenlang so. Von der Tribüne aus betrachtet, sah das Ganze sehr danach aus, als würden sich da zwei erwachsene Männer am liebsten für eine Fortsetzung des Zwiegesprächs in einem nahen Waldstück verabreden. Doch siehe da: Anstatt die Fäuste sprechen zu lassen, verhielten sich nach dem Spiel dann wieder beide, als würden sie vor Publikum ein wenig über den gemeinsam verbrachten Sommerurlaub berichten. Gratulationen zum Sieg hier, ein Dankeschön für die Gratulation zum Sieg da, ein paar freundliche Worte hier, ein Schultergetätschel da. Und das war nun doch wieder beeindruckend. Würden cholerische Anfälle und zwischenmenschliche Fouls in der Politik so einfach aus dem Weg geräumt wie beim Fußball, hätte Sigmar Gabriel derzeit nicht solche Probleme..
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